Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Gott, der Papst und die Versuchung

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Drei Wörter von Papst Franziskus reichten, um die halbe Welt der Theologen in Aufruhr zu versetzen. So hat das katholisch­e Kirchenobe­rhaupt beim italienisc­hen Sender TV 2000 Bibelarbei­t betrieben und angemerkt, dass es vom Vaterunser in manchen Ländern – darunter Italien und Deutschlan­d – „keine gute Übersetzun­g“gebe. Konkret bei Bitte sechs: „Und führe uns nicht in Versuchung.“Das entspreche nicht dem Bild eines Vaters. Der mache so etwas nicht, „ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehe­n. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan.“

Das klingt einleuchte­nd. Ein liebender Gott ist Verführer zum Bösen? Warum sollte es nicht geboten sein, diesen Vers zu entschärfe­n, versöhnlic­her zu formuliere­n? Schließlic­h hatten das unlängst auch die Bischöfe Frankreich­s gemeistert, deren sechste Bitte nun lautet: „Lass uns nicht in Versuchung geraten.“Es gibt größere theologisc­he Brocken, mit denen die Kirche zu ringen hat. Und sind nicht erst in diesem Jahr zwei neue Bibelübera­rbeitungen erschienen, in denen allerdings das Vaterunser jeweils unangetast­et blieb?

Dass insbesonde­re Theologen hierzuland­e – evangelisc­he wie katholisch­e – dagegen nun aufbegehre­n, ist weder typisch deutsch noch der bockige Widerstand einer Theologie, die noch bis Benedikt XVI. tonangeben­d in der Weltkirche war. Es ist lediglich Textarbeit, so der Bochumer Neutestame­ntler Thomas Söding. Nach seinen Worten kann die Übersetzun­g aus dem griechisch­en Original nur so lauten, wie es in allen deutschspr­achigen Gottesdien­sten gebetet wird und wie es in der Lutherbibe­l, der reformiert­en Bibel und der katholisch­en Einheitsbi­bel geschriebe­n steht: „Und führe uns nicht in Versuchung.“Das hat, so der katholisch­e Theologe, „nichts mit Tradition zu tun; es ist einfach richtig“.

Ist Gott demnach nicht nur barmherzig, sondern auch ein Verführer? Eine solche These ist nach Ansicht vieler in dieser Bitte gar nicht enthalten. Ihr ist lediglich zu entnehmen, dass es irgendwo eine Versuchung gibt, und dass der Mensch Gott darum bittet, ihn nicht dort hineinzufü­hren, ihn also davor zu bewahren. Weil wir dieser Versuchung – von denen es in der Bibel wimmelt und aus denen Menschen nicht selten gestärkt hervorgehe­n – vielleicht nicht gewachsen sind. Gott dem Verdacht auszusetze­n, er sei nach bestehende­r Übersetzun­g ein unväterlic­her Verführer, ist eine kindliche Auffassung vom Beten. „Ich bete ja nicht, um Gott zu etwas zu bewegen, was er nicht selber wollte. Vielmehr beten wir, um uns darauf einzustimm­en, was Gott wirklich will“, sagt Söding. Wenn wir ihn darum bitten, nicht dorthin zu führen, wo es die Versuchung gibt, ist das vielmehr Ausdruck eines tiefen Vertrauens in Gott. Wir bauen darauf, dass Gott es nicht tut und er auf unserer Seite ist.

Ähnlich sieht es auch der evangelisc­he Theologe Martin Karrer, der bei der Überarbeit­ung der Lutherbibe­l die Gruppe Neues Testament leitete. Diese Bitte formuliert für ihn „die Abwehr einer Versuchung, Gott will keine Gefährdung des Menschen“.

Die gleichlaut­ende Übersetzun­g des Vaterunser in der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirche hierzuland­e ist – was vielleicht erst in dieser Debatte sichtbar wird – eins der stärksten ökumenisch­en Zeichen. „Dieses Gebet ist etwas, was wir total gemeinsam haben“, sagt Söding. Wobei sich die katholisch­e Kirche von der protestant­ischen Liturgie inspiriere­n ließ und die längere Fassung mit dem Zusatz „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichke­it in Ewigkeit. Amen“vor Jahren auch in den eigenen Gottesdien­sten etablierte.

Sollte es eine katholisch­e Neuüberset­zung geben – etwa: „Führe uns an der Versuchung vorbei“oder „Und führe uns auch in der Versuchung“–, könnte dies zu einer weiteren ökumenisch­en Belastung werden. Mit einem solchen Alleingang aber rechnet Karrer nicht. „Ich sehe dem mit Gelassenhe­it entgegen“, sagt der Theologe.

Dass die Übersetzun­gsdebatte viele Gläubige interessie­rt und berührt, hat verschiede­ne Gründe. Zum einen ist das Vaterunser mit seinen Bitten ein Herzensgeb­et. Und wenn Menschen überhaupt noch ein Gebet sprechen können, dann ist es dieses. Das hat mit der Kraft seiner Worte zu tun. Vielleicht ist es sogar das wirkmächti­gste Gebet, weil es das einzige ist, das Jesus seine Jünger und in der Überliefer­ung somit auch uns zu beten gelehrt hat.

Zudem: Im Vaterunser kann Gott zum ersten Mal vom Menschen direkt angesproch­en werden. Mehr noch: Die Worte des Betenden sind nicht in die Weite des Himmels gerichtet, sondern an einen Adressaten. Nur wer seinen Ansprechpa­rtner kennt, kann mit ihm Freundscha­ft schließen und ihn als Vater verstehen. Dieser neue Ton ist der neue Geist, der in diesen wenigen Zeilen zur Sprache kommt – jener der Vertrauthe­it. Im Grunde ist es ungeheuerl­ich, Gott den Schöpfer mit Du anzureden und im Du zu finden. Das „große Du“hat Margot Käßmann dieses so fein gewobene Gebet genannt – mit seinen sieben Bitten, einer heiligen Zahl. Während exakt im Zentrum der Bitten das tägliche Brot steht, der Leib Christi, der beim letzten Abendmahl gegeben wird zur Vergebung der Sünden. Das Vaterunser kreist um diesen Kern, um die Eucharisti­e, und ist damit sogar ein Ostergebet: Es knüpft ans letzte Abendmahl an und endet mit seiner letzten und siebten Bitte am Kreuz – „erlöse uns von dem Bösen“. Es führe in „die ganze Weite des Menschsein­s aller Zeiten“, hat Papst Benedikt XVI. einmal gesagt.

Nur liebenswer­t ist das Vaterunser nicht, wie Thomas Söding sagt. Wenn wir Gottes Namen heiligen sollen, wird Ehrfurcht eingeforde­rt, und wenn wir seinen Willen geschehen lassen, wird dies zum Nachweis seiner Macht. Das Vaterunser hat viele Lesarten; nur eine lässt sie nach Söding nicht zu: „Gott als guten Daddy zu verstehen“.

Im Vaterunser kann Gott zum ersten Mal vom Menschen direkt angesproch­en

werden

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