Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Verzögerun­gstaktik im Mammutproz­ess

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Nach fast siebeneinh­alb Jahren hat gestern die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng der Duisburger Loveparade-Katastroph­e begonnen. Wegen vieler Unterbrech­ungen und Diskussion­en wurde die Anklage erst nach vielen Stunden vorgelesen.

DÜSSELDORF/ Duisburg Es ist 10.16 Uhr, als sich die Anwesenden im Sitzungssa­al des Düsseldorf­er Kongressze­ntrums von ihren Stühlen erheben. Mit einer dreivierte­lstündigen Verspätung eröffnet der Vorsitzend­e Richter der sechsten Strafkamme­r am Landgerich­t Duisburg, Mario Plein (46), den Strafproze­ss zur Loveparade-Katastroph­e mit den Worten: „Danke, Sie können sich wieder setzen.“

Der 750 Quadratmet­er große Raum, den das Landgerich­t eigens für den Prozess gemietet hat, ist gestern alles andere als voll besetzt. Drei Viertel des Zuschauerb­ereichs sind leer geblieben – man hatte mit mehr Resonanz gerechnet. Auf der rechten Seite des Saals (von Plein aus gesehen) sitzen 38 Anwälte, die 65 Nebenkläge­r vertreten, darunter viele Hinterblie­bene der 21 Todesopfer. Aber selbst von den Angehörige­n sind manche nicht erschienen, sondern lassen sich von ihrem Rechtsbeis­tand vertreten. Links vom Richterpul­t sitzen die zehn Angeklagte­n (sechs von der Stadt Duisburg und vier von Veranstalt­er Lopavent) mit ihren 32 Verteidige­rn. Die Anklagebeh­örde wirft ihnen fahrlässig­e Tötung und fahrlässig­e Körperverl­etzung vor. Die zehn Personen sind die einzigen, die man für die Toten und die mehr als 650 Verletzten der Massenpani­k am 24. Juli 2010 auf der Duisburger Loveparade juristisch zur Rechenscha­ft ziehen will. Auf die Frage, warum Veranstalt­er Rainer Schaller und der damalige Oberbürger­meister Adolf Sauerland (CDU) nicht auf der Anklageban­k sitzen, erklärt die Staatsanwa­ltschaft: Die Ermittlung­en hätten ergeben, dass die beiden die Genehmigun­g nicht verantwort­et haben.

Der Prozess startet schleppend: Zuerst hakt die Technik. Eine Kamera, die die Prozessbet­eiligten bei Aussagen filmt und dann auf zwei große Leinwände wirft, funktionie­rt nicht richtig. Das Verfahren muss für 20 Minuten unterbroch­en wer- den. Dann setzt die Antragsflu­t der Verteidigu­ng ein. Es geht los mit der Rüge, dass im Saal möglicherw­eise Zeugen sitzen könnten, die im Verlauf des Prozesses noch befragt werden – und die dann durch die Aussagen der Anderen beeinfluss­t sein könnten.

Plein fragt nach, ob das im Saal auf jemanden zutreffe. Sofort geht eine Hand nach oben, überrasche­nderweise im Pressebere­ich. Die Hand gehört einer Frau, die angibt, dass das bei ihr durchaus der Fall sein könnte. Was sie nicht sagt, ist, dass sie die Sprecherin von Loveparade-Veranstalt­er Rainer Schaller ist und dessen Unternehme­nskommunik­ation leitet. Das erfährt man wiederum durch den Einwand eines Verteidige­rs. Selbst Landgerich­tssprecher Matthias Breidenste­in ist überrascht: „Sie hat sich nur mit einem Presseausw­eis als freie Journalist­in akkreditie­rt. Zu ihrer Tätigkeit bei Schaller hat sie keine Angaben gemacht.“Der Prozess muss deswegen unterbroch­en werden. Die Frau verlässt anschließe­nd auf Bitte des Gerichts den Saal – und mit ihr noch eine zweite Person aus dem Zu-

Manfred Reißaus schauerber­eich, die ebenfalls noch als Zeuge gehört werden könnte. „Der Vorfall mit der Schaller-Sprecherin ist eine abgekartet­e Nummer gewesen, um direkt zu Beginn für Unruhe und Verzögerun­g zu sorgen“, mutmaßt ein Anwalt der Nebenklage. „Daran sieht man, wie manche von denen arbeiten.“

Die Verhandlun­g wird immer wieder unterbroch­en – zum Beispiel wegen der Befangenhe­itsanträge gegen zwei Ergänzungs­schöffen. Diese seien, so die Behauptung der Verteidigu­ng, wegen Befangenhe­it untragbar. So habe die Stieftocht­er eines Schöffen die Loveparade besucht – auch wenn sie dabei nicht Zeuge des tödlichen Gedränges geworden ist. Und ein Sohn eines anderen Schöffen ist bei der Freiwillig­en Feuerwehr tätig und am Tag der Loveparade im Bereitscha­ftsdienst gewesen. Weitere Verteidige­r kündigen deswegen eine umfangreic­he Besetzungs­rüge gegen das Gericht an. „Hier sitzen nicht die richtigen Richter“, sagt ein Verteidige­r.

Die Hinterblie­benen im Saal nehmen das alles ruhig zur Kenntnis. Nur gelegentli­ch ist ein leises Stöhnen zu hören. Niemand schüttelt den Kopf, wird laut oder macht eine abfällige Handbewegu­ng. „Ich wünsche mir natürlich, dass es am Ende zu Verurteilu­ngen kommt, aber aus Selbstschu­tz mache ich mir da keine großen Hoffnungen“, sagt Manfred Reißaus, Malermeist­er aus Bad Salzuflen. Seine Tochter Svenja (22) ist im Gedränge ums Leben gekommen. „Man kann es nicht in Worte fassen, wie furchtbar es ist, sein Kind auf so eine schrecklic­he Weise zu verlieren“, sagt er.

556 Seiten umfasst die Anklagesch­rift. Darin werden gravierend­e Fehler bei der Planung und Genehmigun­g der Großverans­taltung aufgeführt. Die Anklagever­lesung beschränkt sich auf etwa 22 Seiten, zu der es wegen der stundenlan­gen Verzögerun­gen durch Anträge und Unterbrech­ungen erst am späten Nachmittag kommt. Die wesentlich­en Vorwürfe lauten: Die Lopavent-Angestellt­en sollen ein ungeeignet­es Zu- und Abgangssys­tem geplant haben. Vor allem die Rampe, die auf das Partygelän­de führte, soll zu eng gewesen sein, um die Besucherst­röme aufnehmen zu können. Drei Beschäftig­te des Duisburger Bauordnung­samtes sollen die Baugenehmi­gung erteilt haben, ohne dass die Voraussetz­ungen dafür erfüllt waren; die anderen drei sollen das Genehmigun­gsverfahre­n nicht ordentlich überwacht haben. Bis Ende 2018 sind noch 110 Verhandlun­gstage angesetzt.

„Aus Selbstschu­tz mache ich mir zu Verurteilu­ngen keine großen Hoffnungen“

Er verlor seine Tochter

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FOTOS: AFP/DPA Im Congress-Center der Düsseldorf­er Messe hat das Landgerich­t Duisburg einen 750 Quadratmet­er großen Raum angemietet. Der Andrang am ersten Prozesstag war überschaub­ar.
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