Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Kein Misserfolg ist schon ein Erfolg

- VON JANNIK SORGATZ

Heute spielen Gladbach und Schalke im Duell den derzeit Besten im Westen aus. In einer seltsam ausgeglich­enen Liga sind beide Mannschaft­en oben dabei, ohne mit sich und den eigenen Auftritten völlig zufrieden sein zu können.

Juri Borsakowsk­i war ein berüchtigt­er 800-Meter-Läufer. Der Russe bewegte sich in der ersten Runde fast schon provokant im hinteren Teil des Feldes, um in der zweiten möglichst noch an allen Gegnern vorbeizuzi­ehen. 2004 wurde er auf diese Weise sogar Olympiasie­ger. Empfehlens­werter wäre es jedoch, sich von Beginn an in Position zu bringen, um auf der Zielgerade­n mitmischen zu können. Was das mit Borussia Mönchengla­dbach und dem FC Schalke zu tun hat? Nun, sie sind auf keinen Fall die Borsakowsk­is der Bundesliga, befinden sich aber zweifellos in einem Rennen um die Europapoka­l-Plätze, das einem 800Meter-Lauf gleicht: Erst am Ende dürfte die Entscheidu­ng im Sprint fallen. Der Kandidaten­kreis umfasst neun Mannschaft­en. Als Borsakowsk­i, der aufholt, bietet sich höchstens der VfL Wolfsburg an, momentan noch Elfter.

Heute empfängt der Vierte, Gladbach (24 Punkte), den Dritten, Schalke (25), zum Topspiel. Es geht um den Status des „Besten im Westen“, aber nach 14 Spieltagen haben beide allenfalls die Gewissheit, gut dabei zu sein. Am vergangene­n Wochenende ließen sie nacheinand­er die Chance aus, an RB Leipzig vorbei auf den zweiten Tabellenpl­atz zu springen. Der Sieger kann das immer noch nachholen, der Verlierer aber könnte am Sonntag im schlechtes­ten Fall Neunter oder Achter sein – willkommen in der Bundesliga im Advent 2017. „Wir stehen irgendwie Woche für Woche am Scheideweg, wie neun andere Mannschaft­en auch“, sagt Gladbachs Christoph Kramer. „Jedes Spiel ist das vermeintli­ch entscheide­nde, in dem du dich absetzen kannst. Aber in so einer engen Liga nehmen sich alle gegenseiti­g die Punkte weg.“

Studierend­e, die vor ihrer Abschlussa­rbeit im Fach Statistik stehen, könnten mal erheben, ob die Punkteausb­eute in Tippspiel-Runden zurückgega­ngen ist. Prognosen fallen schwer wie nie. Den Zweiten und Neunten trennen nur fünf Zähler. Diese acht Teams haben entweder drei oder vier Spiele verloren, bis auf Schalke und Borussia Dortmund niemand zweimal in Folge. Gleichzeit­ig haben nur Augsburg (drei), Leipzig und Dortmund (je vier) Mal mehr als zwei Siege hintereina­nder eingefahre­n.

Dass Gladbachs Trainer Dieter Hecking die Pressekonf­erenz vor dem Schalke-Spiel etwas griesgrämi­g absolviert­e, lag weniger an der jüngsten 0:3-Niederlage beim VfL Wolfsburg. Die ließ zwar die Euphorie nach dem Erfolg gegen den FC Bayern verpuffen, im Soll liegt Gladbach aber immer noch. „Wir müssen erstmal schauen, wer spielen kann“, sagte Hecking, der auf mindestens acht Spieler verzichten muss. „Das ist das viel größere Fragezeich­en, das mich beschäftig­t. Wenn ich weiß, wer spielen kann, kann ich mir darüber hinaus Gedanken machen.“Noch nicht hundertpro­zentig sicher ist der Einsatz des Topscorers Thorgan Hazard, der genau wie Raffael und Lars Stindl bislang immer begonnen hat.

Dass Gladbach von der ersten Minute an furios nach vorne stürmt, ist eher nicht zu erwarten. Hecking dürfte sich an Schalkes Kompakthei­t orientiere­n. „Für mich ist es nicht überrasche­nd, dass sie dort oben stehen. Sie sind eine sehr gewachsene Mannschaft, die jetzt eine gute Struktur aufweist in ihrem Spiel“, sagte der 53-Jährige, was auch als Lob für Kollege Domenico Tedesco verstanden werden durfte. „Von daher denke ich, dass sie in ihrer Entwicklun­g schon etwas weiter sind als wir.“

Weder Gladbach noch Schalke würde eine Niederlage heute, kurz vor dem Ende der ersten Runde im 800-Meter-Lauf namens Bundesliga, umwerfen. Doch nach dann erstmals zwei Pleiten in Folge oder drei Spielen ohne Sieg wäre in der Woche vor der Winterpaus­e wohl wieder vom „Scheideweg“die Rede. Und in ausgeglich­enen Rennen um Europa bedeutet Erfolg vor allem die Vermeidung von Misserfolg.

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FOTO: IMAGO Applaus mit Handbremse: Gladbachs Nationalsp­ieler Matthias Ginter (rechts) mit Teamkolleg­e Raúl Bobadilla.

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