Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Unpolitisch inkorrekt
Shahak Shapira hat keine Lust mehr auf Politsatire. Hitler und die AfD sind dem Comedian aus Israel
zu billig geworden. Für sein Live-Programm probiert er nun den maximalen Gegensatz.
Was ist das Ziel von Shahak Shapira? „Ich habe viele verschiedene“, antwortet der 29Jährige. „Nur ein Ziel zu haben, ist nicht gut. Weißt du, wer nur ein Ziel hatte? Hitler.“Zu den diversen Zielen des gelernten Werbers zählen: Musik produzieren und als DJ auflegen, Schauspielern dazu. Und ein Spagat: „Mit Comedy will ich die Leute zum Lachen bringen, mit politischer Satire gern auch zum Weinen.“
„Schaaahack“nennen die meisten Deutschen Shahak Shapira, weil sie sich vorsichtig vorantasten durch seinen fremdartigen Namen, Silbe für Silbe. Richtig ist „Schachack“, mit kehligem „ch“, einem Laut, der Arabisch klingt, aber gewissermaßen das Gegenteil ist, nämlich Hebräisch. Insgesamt also klingt sein Vorname wie eine Kombination aus Schach und Hack, dem in seinem Geburtsland Israel populären Brettspiel und dem deutschesten aller Fleischgerichte. In Mett statt auf Rosenblüten räkelt er sich auch auf dem Plakat für seine Stand-Up-Tour „German Humor“.
Shapira ist fast beleidigt, wenn man ihn als Kabarettist bezeichnet. „Ich mache Comedy – so schlecht deren Ruf in Deutschland auch ist. Ich will niemanden belehren darüber, was er zu denken hat. Wenn überhaupt, dann spreche ich darüber, was man nicht sein oder denken sollte. Das ist etwas anderes, nicht so oberlehrerhaft.“
Shapiras Lebensgeschichte hätte sich kein noch so böser Satiriker besser ausdenken können. Er wuchs in der israelischen Siedlung Oranit auf, einem der diversen völkerrechtlich umstrittenen Städtchen im Westjordanland, dem Palästinensergebiet. Einer seiner Großväter überlebte mit viel Glück das Warschauer Ghetto, der andere wurde 1972 in München ermordet, von Terroristen der palästinensischen Gruppe „Schwarzer September“.
Shapira zog 2002 mit seiner Familie nach Deutschland, zum Freund seiner Mutter, in den Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt, genauer: in die NPD-Hochburg Laucha. „Der erste Mensch, den ich dort sah“, erinnert sich Shapira, „hatte ein Hakenkreuz-Tattoo.“Seine Klassenkameraden rufen „Ausländer raus!“und „Sieg Heil!“und machen Auschwitz-Witze. Auf Kosten des Israelis, der blonder ist und blauere Augen hat als sie. Shapira versucht sich dennoch zu integrieren, doch der Fußballtrainer hat sein Mofa nicht zufällig braun lackiert. Der Mann, der für die NPD im Stadtrat sitzt, trägt Hitlerbart zum Vokuhila.
Entsprechend schnell verlässt der junge Shahak den Club und igelt sich in seinem Zimmer ein, weil ihm die Alternativen fehlen. Er verschlingt Comics, „Star Wars“-Filme, alle „Herr der Ringe“-Bücher – und macht ein Einser-Abi.
Mit gleich drei Aktionen hat Shapira 2017 weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Im Januar kombiniert er unpassend fröhliche Selfies vom Holocaust-Mahnmal mit historischen Fotos, so dass die MahnmalBesucher auf Leichen herumtanzen. Das Sahnehäubchen ist der Name der Aktion: „Yolocaust“, in Anlehnung an das angebliche Motto junger Leute: „Yolo“. You only live once, also: Du lebst nur einmal.
Im August sprüht er Hassbotschaften vor die Zentrale von Twitter in Hamburg. Es ist eine Auswahl der 300 Tweets, die er zuvor mit der Bitte um Löschung gemeldet hatte. „Schwule nach Auschwitz“gehörte dazu, und „Jüdischer Abschaum“. Auf 291 dieser Bitten hatte Twitter laut Shapira gar nicht reagiert, die restlichen neun befanden Algorithmen oder Angestellte für harmlos.
Anfang September schließlich der dritte Streich: Gemeinsam mit Satiriker-Kollegen aus der Partei-Persiflage „Die Partei“enttarnt er ein Netzwerk aus 31 privaten FacebookGruppen. In den Gruppen hatten Rechtsextreme andere Nutzer mit Hass und Falschnachrichten überzogen. Shapira hatte sich nicht etwa illegal in die Gruppen gehackt, sondern sich zuvor ausdauernd und fleißig durch Debattenbeiträge hochgearbeitet. Elf Monate lang. Dann überließen die Hintermänner ihm freiwillig die Kontrolle über die Seiten. Als er alles öffentlich macht, erhält Shapira Morddrohungen von einem Absender, der sich „AfD-To- tenkopfstandarte“nennt, nach SSVerbänden im Zweiten Weltkrieg. Shapiras Mutter steht zwei Wochen unter Polizeischutz.
Vielleicht ist auch das ein Grund, warum er mal weg will, von AfDund Hitler-Witzen. Auch Reportern hat Shapira schon Judenwitze erzählt. Dann fiel ihm auf, dass Juden in Deutschland „ausschließlich mit dem Holocaust und Antisemitismus“verbunden werden. Daraus zog er Schlüsse: Von einem unterstellten „Juden-Bonus“will er sich nicht abhängig machen, und schon gar nicht von der AfD. „Ich will meine Karriere nicht an eine Nazi-Partei binden“, sagt er. „Das wäre viel zu einfach vor meinem linksversifften Publikum. Ich habe gute AfDWitze, genug für ein abendfüllendes Programm. Die Leute würden es super finden. Aber es wäre nichts Neues oder Mutiges, es sei denn, man tut das in einem Bierzelt in Chemnitz.“
Im echten Leben wird der Atheist Shapira immer wieder daran erinnert, dass er Jude zu sein hat. Zum Beispiel von seinen Mitspielern im Fußballverein in Wilmersdorf, die ihn wegen seiner Wurzeln beschimpfen und verprügeln, woraufhin der Trainer ihm den Austritt empfiehlt. Ihm, dem Opfer, könnte man sagen, aber in diese Rolle lässt sich Shapira nicht drängen. Nicht mal, als er in der Neujahrsnacht 2015 von arabischen Jungs attackiert wird, die er auf ihre antisemitischen Parolen anspricht. Noch aus dem Krankenhaus twittert er, dass er nicht daran denke, sich von Islamhassern instrumentalisieren zu lassen.
20 Minuten vor seinem Auftritt in Schwerte, Kreis Unna, bittet Shapira zum Interview. Das hier ist die Generalprobe für sein erstes StandUp-Programm „German Humor“, mit dem er Anfang 2018 durch 15 deutsche Städte tourt. Es ist gut – und genau so unpolitisch, wie er angedroht hatte. Eine grandiose Trump-Parodie, ein, zwei Spitzen gegen die AfD im Nebensatz – mehr Politik ist nicht, mehr Tabubruch auch nicht. Das war schon mal anders. In der Online-Sendung „Disslike“, wo Künstler Pöbeleien über sich selbst lesen und kontern sollen, imitierte er ein Telefonat, blickte todernst in die Kamera und sagte an die Adresse der bräunlichen Kritiker: „Das war Adolf Hitler. Wegen eurer miesen Rechtschreibung hat er sich gerade selbst vergast.“Krass.
Nun aber will er raus aus dieser Nische, egal wie dankbar sie war, weil er darin keine Konkurrenz fürchten musste. Also macht er nun unpolitische Gags über die (Selbst-) Ausbildung zum Stand-Up-Comedian sowie böse Zoten über Kinder, die Kunstform Poetry-Slam und die katholische Kirche. Drückt den vorlauten Marcel und Jan aus dem Publikum ein paar Sprüche.
Die Fotos falsch gezeichneter Hakenkreuze und Screenshots sagenhaft dämlicher, aber echter NegativBewertungen für KZ-Gedenkstätten („Der Trip nach Auschwitz war nicht so deprimierend wie erwartet“) sind nur Zubrot, länger befasst sich Shapira mit Peniswitzen und der Tierhandlung von Ex-Gangsterrapper Bushido. Applaus und Lacher erntet er dafür in überschaubarem Maße. Erwartet hatten viele etwas anderes. Mehr Politsatire, weniger Peniswitze. Eine junge Frau, die sonst selbst in der Halle arbeitet, schwört allerdings: „So viel wurde in Schwerte überhaupt noch nie gelacht!“Shapira sagt, dass er das sehr schön fände, aber auch ziemlich deprimierend.
Die Bücher, die er geschrieben hat, verkauft er nicht, weder die Autobiografie noch die Bibel-Verballhornung, er ist alleine da und mit dem Zug. Aber jedem, der eins von zuhause mitbringt, malt er eine Widmung ins Buch und dazu einen Penis oder auf Wunsch auch zwei. Schließlich lässt er ein Foto von sich knipsen, mit einer Frau, die sagt, sie habe sich schon immer ein Bild mit einem Juden vor einem Weihnachtsbaum gewünscht. Shapira protestiert: „Ich bin Atheist“, aber die Frau sagt fröhlich: „Wer Jude ist, entscheiden in Deutschland nicht die Juden, sondern die Deutschen. Hast du auf der Bühne eben selbst gesagt.“Shahak Shapira gefällt das.
Das Unpolitische hat er wohl auch zum Wohle seiner eigenen geistigen Gesundheit gewählt. Das Abarbeiten an Faschisten kostet Kraft. „Ich muss auch mal lachen können“, hat Shapira einmal gesagt, „denn sonst müsste ich weinen.“