Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wo Koons draufsteht, ist Kunst drin

- VON ANNETTE BOSETTI

Die Premiere von Rainald Goetz’ Stück „ Jeff Koons“kam gut an in Düsseldorf. Die Sammlung Philara erweist sich als Glücksfall für das Schauspiel­haus. An jedem Aufführung­sabend bewegen sich 90 Menschen durch einen Parcours.

Von Jeff Koons ist nichts zu sehen. Wem gilt diese Vernissage? Das Premierenp­ublikum ist vollzählig erschienen und formiert sich zur Besuchergr­uppe einer nicht-öffentlich­en Vernissage. Zu Partygänge­rn werden sie und stehen im Raum herum, froh, dass sie eine Karte haben. Man plaudert, lauert, sichert Plätze, denn es gibt nur wenige Papierhock­er. Was wird das hier geben?

In Rosa gekleidete junge Männer mit eng an den Kopf gegelten Haaren ziehen durch die Menschentr­aube. Sie heißen den ein oder anderen persönlich willkommen. Punkt acht Uhr stellt sich einer aufs Podest und beginnt mit seiner Ansprache. Man glaubt schon, jetzt den üblichen Kunstsprec­h ertragen zu müssen, die blasierte geschwätzi­ge Sprache, die Vernissage­n oft unerträgli­ch macht. Aber nein. Es ist nicht dieser Jargon, sondern die Galeristen­ansprache wurde mit Wahrheit angereiche­rt. Statt hohler Phrasen ertönen kunstvoll geschmiede­te Wortgewitt­er, wie man sie von diesem Autor gewohnt ist.

Willkommen in Düsseldorf, willkommen in der Sammlung Philara, willkommen im Kosmos des Schriftste­llers Rainald Goetz, der dieses auf eine Weise merkwürdig un(auf)fassbare Stück vor 19 Jahren herausbrac­hte. Im Geiste muss er sich dem fast gleich alten US-Pop- und Pornokünst­ler Koons verwandt fühlen; er hat ihm das Stück gewidmet, den programmat­ischen Titel geschenkt.

Kultautor, Dramatiker, Blogger, Techno-Fan, preisgekrö­nter PopPoet und noch viel mehr ist Goetz, der eine ganze schillernd­e Welt in diesem schmalen Text zu fassen weiß, ohne Figuren zu benennen. Es ist die Welt der Kunst, der Betrieb, seine Akteure, die Mechanisme­n und Exzesse, die Triebe, die Sehnsüchte des Kunstschaf­fenden, die Verzweiflu­ng, das Chaos, der Sex, die Höhen und Tiefen. All dies schlägt meist deutlich höher aus als im Leben eines durchschni­ttlichen Angestellt­en des öffentlich­en Dienstes. Solch ein Künstler-Alltag ist Thema des Stückes, ohne die Liebe auszuspare­n. Immer, wenn es um Liebe geht, passen Text und Szene perfekt übereinand­er. Dann wird es echt emotionale­s Theater.

Steigern kann den Rausch der Sinne nur noch die Musik. Nichts wird erlösender empfunden in diesem Wahnwitz, in dieser oft unerträgli­chen Tristesse als der Beitrag von Thomas Klein, der seine Soundanlag­e am Rande aufgebaut hat. Unter den Blitzen des Stroboskop­s, die sich in einem Kunstwerk der Sammlung Philara spiegeln, dröhnen elektronis­che Kompositio­nen durch die Halle. Diese gleichförm­ige, symmetrisc­h rhythmisie­rte Musik zügelt das Exaltierte der vorausgega­ngenen Dramatik. Ein 50-jähriger Zuschauer beginnt mitten im Stück zu tanzen. Man kann den Mann verstehen. Es war bisher arg grell und laut. Sicher will er Stress abbauen. Und es ist der Sound seiner Jugend.

Thomas Klein, Drummer (Kreidler) und Klangkünst­ler, hat einen weiteren Höhepunkt geschaffen mit seinem ergreifend­en Song für Amy Frega. Sonderbar entrückt verwandelt sich die Sängerin während ihres erdigen voluminöse­n Vortrags in eine lebendige Koons-Skulptur.

Das Besondere an der von André Kaczmarczy­k und Felix Kracke eingericht­eten Theater-Installati­on ist die Einpassung in einen real existieren­den Kunst-Raum. Man hat hier hohe Decken, große Räume, Betonböden und zieht doch einen knisternde­n pinken Vorhang als Raumteiler ein. Man schickt das Publikum an verschiede­ne Orte, ins Atelier des Künstlers, in die Bar, an sein Bett und in seine Factory. An diesem Punkt des Parcours inspiziere­n die Besucher zwangsweis­e die Räume der exquisiten Bronner-Sammlung.

Die Schauspiel­er sind an diesem Abend wie aufgedreht, es wird ge- sungen, gefeixt, gestritten, geliebt, getanzt, geschwätzt. Sechs Frauen und Männer wollen mit ihren antrainier­ten Attitüden wohl den Nerv der Zeit treffen, in der dieses Stück entstand. Sie sind bunt gekleidet nach Koons-Manier, und sie formen dessen künstleris­che Setzungen nach. André Kaczmarczy­k, Jonas Hackmann, Marie Jensen, Yascha Finn Nolting, Florenze Schüttler und Minna Wündrich geben alles.

„Ratlosigke­itstext“nannte Goetz’ sein Buch. Auf der Bühne wird nicht alles so verstanden wie beim Lesen. Unbedingt erschließt sich aber die feingeschm­iedete Poesie, die sich aus einer Sehnsucht speist, „dass es Licht wird und das Leben gelingt, dass Kunst draus wird“.

90 Menschen applaudier­ten dem ungewöhnli­chen Premierena­bend.

 ?? FOTO: THOMAS RABSCH ?? Könnte vom Künstler Jeff Koons stammen: Diese lebendige Installati­on dreier Schauspiel­er erinnert an eine Skulptur des US-Künstlers. So ähnlich sehen die Bilder des Theaterabe­nds von „Jeff Koons“aus. Hier eine Szene mit André Kaczmarczy­k, Yascha Finn...
FOTO: THOMAS RABSCH Könnte vom Künstler Jeff Koons stammen: Diese lebendige Installati­on dreier Schauspiel­er erinnert an eine Skulptur des US-Künstlers. So ähnlich sehen die Bilder des Theaterabe­nds von „Jeff Koons“aus. Hier eine Szene mit André Kaczmarczy­k, Yascha Finn...

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