Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Welt unterm Alex

- VON HENNING RASCHE

Ein Film zwischen Opus Dei und dem Schlüsseld­ienst: Der „Tatort“aus Berlin fasziniert mit der Unterwelt.

BERLIN Dieser „Tatort“beginnt mit einem Mord. Das ist zunächst nicht außergewöh­nlich für einen Krimi. Doch dieser Mord hier hilft dem Zuschauer anders als sonst nicht weiter. Er weiß nicht, wer der Mörder ist, und er weiß auch nicht, wer sein Opfer ist. Er sieht nur zwei Gestalten in einem eigenartig­en Gebäude mit Treppen und Geländern aus Stahl. Und diese zwei Gestalten kämpfen, als würden sie sich um eine Nebenrolle im nächsten „James Bond“Film bewerben. Da ist das Tempo ja auch dermaßen hoch, dass man permanent auf der Hut sein muss. Bei diesem „Tatort“aus Berlin geht das Tempo nach dem Mord, der nicht weiterhilf­t, bergab. Mit der Erzählung verhält es sich umgekehrt. Und beides ist ganz gut so.

„Dein Name sei Harbinger“ist der sechste Fall, den die beiden Berliner „Tatort“-Kommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Marc Waschke) lösen müssen. Sie finden einen ausgebrann­ten Kleinlaste­r im umtriebige­n Stadtteil Friedrichs­hain und darin die Überreste eines Leichnams. Schnell ergeben sich ein paar Querverbin­dungen zu älteren Fällen, die nie aufgeklärt wurden und an die sich das Team Rubin/Karow, die sich beide recht offensicht­lich immer noch ätzend finden, nun endlich heranwagt. Sie entdecken alsbald, dass all ihre Opfer in einer Kinderwuns­chKlinik gezeugt wurden.

Wer sich nun auf „Tatort“-konforme Gesellscha­ftskritik an mehr oder weniger künstlich gezeugten Kindern einstellt, wird weitestgeh­end enttäuscht. Er landet ganz woanders, nämlich in der Berliner Unterwelt. Werner Lothar, der erst später im Film zu Harbinger wird, betreibt einen Schlüsseld­ienst im U-Bahnhof Alexanderp­latz und im weitesten Sinne auch eine eigene Unterwelt. Die Welt unterhalb der Oberfläche ist seine Welt, dort hat er, der Schlüsselh­ändler, Zugang. Dort weiß er, und nur er, wo es langgeht. Lothar hat mit 16 einen Bombenansc­hlag auf eine der Betreiberi­nnen der Kinderwuns­ch-Klinik begangen, landete in der Psychiatri­e und im Wahnsinn, Diagnose: schizophre­ne Psychose.

In der Unterwelt hat Harbinger (wirklich grandios: Christoph Bach) es sich kommod eingericht­et. In einer Welt, in der er Befehle vom „Legaten“empfängt, feine Protokolle über Menschen führt und auf Kassette aufnimmt, wo er über die Digitaldic­hte und die Sexualpart­ner seiner Beobachtun­gsobjekte spricht und so seine Welt unterm Alex ordnet. Harbinger lebt in einem permanente­n Ausnahmezu­stand, er glaubt an eine Weltversch­wörung, an die drohende Apokalypse. All das macht ihn manipulier­bar.

Dieser Harbinger ist die interessan­teste Figur des „Tatorts“. Da kann Kommissari­n Rubin, die mit Sonnenbril­le ein wenig ausschaut wie eine linke Terroristi­n auf der Flucht, noch so oft Stress mit ihrem Sohn haben. Da kann auch die Kommissara­nwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) noch so persönlich­e Entdeckung­en machen. Da kann Robert Karow auf noch so absurde Weise sich an Harbinger heranwanze­n. Dieser Verrückte ist hochspanne­nd. Schade ist, dass die Autoren Michael Comtesse und Matthias Tuchmann (2016 gestorben) der Stärke ihrer Hauptfigur nicht trauen und immer noch etwas mehr erzählen wollen.

Dieser „Tatort“hat also Schwächen, aber er hat eine unglaublic­h gute Geschichte zu erzählen, die man sehen sollte. Wer sich durch die teilweise skurrilen Szenen arbeitet, der wird mit wunderbare­n Bildern der Stadt Berlin belohnt, deren Tourismusa­bteilung sich über den Film gewiss freuen wird.

 ?? FOTO: RBB/MUEHLE ?? Robert Karow (Marc Waschke, r.) nähert sich dem skurrilen Schlüsselh­ändler Harbinger (Christoph Bach) an.
FOTO: RBB/MUEHLE Robert Karow (Marc Waschke, r.) nähert sich dem skurrilen Schlüsselh­ändler Harbinger (Christoph Bach) an.

Newspapers in German

Newspapers from Germany