Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Krefeld sagt: Danke „Schu“

- VON PETRA DIEDERICHS

Morgen hat Ingrid Schupetta ihren letzten Arbeitstag. Zum Jahresende geht die Leiterin der NSDokument­ationsstel­le in den Ruhestand. Der Fördervere­in richtete ihr einen Abschiedsa­bend aus. Dabei wurde klar: Krefeld hat allen Grund, der Historiker­in Danke zu sagen. Die 62-Jährige hinterläss­t große Fußstapfen.

Es gibt einen Satz, den Ingrid Schupetta niemals akzeptiert: „Darüber ist nichts bekannt.“Dann fährt die promoviert­e Historiker­in erst recht alle Antennen aus, durchstöbe­rt Archive, gräbt Quellen aus und findet jene Puzzleteil­chen, die sich zu einem Schicksal zusammenfü­gen und das Bild aus einer Zeit, die viele am liebsten vergessen wollten, immer weiter komplettie­rt. Erinnerung­skultur ist ihr Lebenswerk.

Die „Schu“, wie Bekannte sie liebevoll nennen, ist der aktivste Part im historisch­en Gedächtnis Krefelds, wenn es um die dunkle Zeit des Nationalso­zialismus geht. Eine „sekundäre Zeitzeugin“nennt sie sich selbst. Sie hat ungezählt viele Gespräche mit Überlebend­en und deren Angehörige­n geführt. Das prägt. Und dabei sind zahlreiche, herzliche Verbindung­en und wertvolle Netzwerke – auch für Krefeld – entstanden.

Sie hat eine zeitgemäße Dauerausst­ellung initiiert und den Wandel der Erinnerung­skultur begleitet. Sie hat gegen den Schwarz-WeißZeitge­ist informiert, der einen faschistis­chen Volkschara­kter unterstell­t, und gegen die mangelnde historisch­e Informatio­nen heutiger Schüler, sie hat Erinnerung­skultur als Bildungsau­ftrag verstanden – für Lehrer, Schüler und alle anderen Zeitgenoss­en.

Wenn Ingrid Schupetta morgen nach Dienstschl­uss ihren Schreibtis­ch in der oberen Etage der Villa Merländer räumt, ist der leere Platz symbolisch. Ihre Stelle als Leiterin der NS-Dokumentat­ionsstelle ist ausgeschri­eben, und es liegen mehrere Bewerbunge­n vor, über die eine Auswahlkom­mission um Oberbürger­meister Frank Meyer Anfang des Jahres entscheide­t. Aber ihr Vermächtni­s ist groß.

Schupetta hat das 1991 eröffnete NS-Dokumentat­ionszentru­m in der Villa Merländer von Anfang an begleitet. Anfangs gab es kaum historisch­e Quellen. Emsig, fleißig und kundig hat sie geforscht und publiziert. Die Krefelder Geschichte hätte ohne sie deutlich weniger Seiten. In einem Vierteljah­rhundert hat sich die Villa des jüdischen Kaufmanns zu einer historisch­en Gedenkstät­te, einer Dokumentat­ionsstelle mit Krefeld verbundene­r Schicksale, aber zu auch einem Ort der Begegnung entwickelt, an dem auch junge Leute mit ganz verschiede­nen Wurzeln über Demokratie, über Rassismus und Diktatur sprechen. Und das ist vornehmlic­h das Werk dieser engagierte­n Forscherin. Ausdauernd und mit einer Hartnäckig­keit, der sie die Diplomatie gelegentli­ch unterordne­te, hat sie das Haus an der Friedrich-Ebert-Straße zu einem Menschenre­chtsmuseum gemacht. „Die Ideologie von der Minderwert­igkeit der Anderen und Ausgrenzun­g ist nicht verschwund­ene Geschichte, sondern brandaktue­ll“, ist ihr Credo. Wissenscha­ftlich im- mer akribisch bis zur letzten Stelle hinterm Komma, unbeugsam ihrer Sache verpflicht­et. In den Begegnunge­n mit den Menschen, deren Schicksal sich hinter den Fakten und Zahlen verbarg, aber weitherzig und sensibel. Der Fördervere­in Villa Merländer, deren Geschäftsf­ührerin Schupetta ist, hat ihr einen sehr bewegenden, aber auch heiteren Abschiedsa­bend organisier­t, um für die Jahre des Engagement­s zu danken. Schupetta und das Haus seien für einander bestimmt gewesen, erklärte Bürgermeis­terin Karin Meincke. Heute sei die Dokumentat­ionsstelle nicht mehr aus dem Krefelder Kulturlebe­n wegzudenke­n.

In den 1990er Jahren während der großen Spardebatt­en war das anders. Auch da war Schupettas Beharrlich­keit entscheide­nd. Mit der Hilfe etlicher Unterstütz­er hielt sie das Haus am Leben. Seit diesem Jahr gibt es sogar eine Basisförde­rung des Landes von 42.000 Euro. Dies ist der Lobbyarbei­t des Arbeitskre­ises der Gedenkstät­ten und Erinnerung­sorte NRW zu verdanken, bei dem Schupetta Gründungsm­itglied ist. Eugen Gerritz, langjährig­er Vorsitzend­es des Vereins Villa Merländer, sprach in einer sehr warmherzig­en Rede von ihrem Eigen-Sinn, den er unbedingt in zwei Worten geschriebe­n wissen will. Für die vielen Fortbildun­gen für Lehrer und die gute Kooperatio­n dankte auch der Vorsitzend­e des Vereins für Christlich-Jüdische Zusammenar­beit, Joachim Klupsch.

Und das Kreschthea­ter, das so alt ist wie das Dokumentat­ionszentru­m, steuerte improvisie­rte Szenen und Gedichte bei. Sehr bewegend war für Schupetta der Moment, in dem sie ihr Geschenk auspackte: Verein und viele Spender in der Stadt hatten zusammenge­legt und zwei Tusche-Arbeiten von Will Cassel erworben: ein Marienbild und eine Frühlingss­zene. Als Erinnerung.

 ?? RP-ARCHIV: THOMAS LAMMERTZ ?? Ingrid Schupetta vor den Tüchern, in die alle Namen der jüdischen Krefelder eingestick­t sind, die deportiert wurden. Die neu konzipiert­e Ausstellun­g in der Villa Merländer, die Arbeit mit den Lehrern und Schülern und der neue Katalog zur Villa hat...
RP-ARCHIV: THOMAS LAMMERTZ Ingrid Schupetta vor den Tüchern, in die alle Namen der jüdischen Krefelder eingestick­t sind, die deportiert wurden. Die neu konzipiert­e Ausstellun­g in der Villa Merländer, die Arbeit mit den Lehrern und Schülern und der neue Katalog zur Villa hat...

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