Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

INTERVIEW CAMPINO „Man will mich mundtot machen“

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Der Kopf der Toten Hosen verrät, dass er heiraten möchte und warum er die Grünen wählt und Angela Merkel dennoch mag.

DÜSSELDORF Früher Nachmittag im Hauptquart­ier der Toten Hosen im Düsseldorf­er Stadtteil Flingern. Campino ist müde, aber gut gelaunt. Gestern Abend stand er noch auf der Bühne, danach sah er sich bis in den Morgen Berichte über den Sieg des FC Liverpool an. Sein iPhone vibriert; als Klingelton hat der 55-Jährige Stadionjub­el gewählt. Vom Ritchie ist dran, Schlagzeug­er der Hosen. Sie sprechen Englisch, Campino sagt „Mannschest­ah“statt „Mäntschest­er“, sie lachen viel. Als Campino auflegt, sagt er: „Vom ist so ein lustiger Typ!“ Wann schlafen Sie nach Konzerten eigentlich ein? CAMPINO Zwischen drei und vier Uhr morgens versuche ich, die Augen zuzumachen. Ich stelle alle Telefone aus und schlafe so lange, wie mein Körper es braucht. Das klappt nicht immer. Aber nach einer guten Nacht wache ich mittags um ein Uhr auf, dann startet für mich der Tag. Elvis fand die Ruhe nach Konzerten grausam. CAMPINO Mich stört sie überhaupt nicht. Ich bin aber auch schon ein bisschen älter als Elvis. Ich gucke mir zuhause oft noch einen Film an, oder ich lege ganz leise Musik auf. Welche Musik? CAMPINO Sehr viel Beatles. Das läuft dann ganz leise. Ich erahne die Musik mehr, als dass ich sie tatsächlic­h höre. Aber weil die Lieder mir so bekannt sind, macht das nichts und beruhigt mich total. Arvo Pärt ist für mich auch so ein Einschlaf-Garant. Seine Musik ist gut gegen das Klingeln im Ohr, das ich nach Konzerten oft habe. Sie wirken ausgeglich­en. These: Das hat mit privatem Glück zu tun. CAMPINO Ich vermeide es, solche Dinge öffentlich zu zelebriere­n. Wir sind unter uns. CAMPINO Sagen wir so: Ich bin gesund, mir geht es gut, und außerdem bin ich auch noch fest liiert. Wie fest? CAMPINO Wir können uns vorstellen, irgendwann zu heiraten, aber es gibt keinen Termin. Das fühlt sich gerade sehr gut an. Ich habe jede Menge Erfahrunge­n, Höhen und Tiefen erlebt wie jeder andere Mensch in meinem Alter auch. Aber in letzter Zeit habe ich immer mehr das Gefühl, angekommen zu sein. Das empfinde ich als sehr schön und lässt mich ruhiger werden. Alles Weitere dann in der nächsten „Bunte“oder „Gala“. Ihr Sohn ist 13. Hört er HipHop? CAMPINO Ja. Er ist auch ein guter Skater geworden und fährt auf den größten Pipes. Er rappt auch für sich selbst und schreibt Texte. Das macht mir viel Freude. Sie haben an Angela Merkel appelliert, sie möge durchhalte­n. CAMPINO Ein direkter Appell war das nicht, vielmehr ein herausgeri­ssener Nebensatz aus einem Interview. Viele Leute haben Freude daran, mich als Merkel-Freund darzustell­en. In meiner Wunschwelt allerdings wäre der Kanzler oder die Kanzlerin jemand von den Grünen. Seit Anfang der 80er Jahre wähle ich nichts anderes. Ich könnte mir auch nicht vorstellen, mein Kreuz bei der CDU zu machen. Aber wenn es um die Kanzlerfra­ge geht, setze ich mich hin und überlege, wie die machbaren Optionen aussehen. Da sind Sie dann Realist? CAMPINO Die Grünen werden den Kanzler auf absehbare Zeit nicht stellen. Also geht es für mich um die Vermeidung des Schlimmste­n. Ich sehe bei den meisten Parteien keine Person, mit der ich mich wirklich wohlfühlen würde. Und von daher fände ich es gut, wenn Merkel sich noch mal in den Ring begibt. Was schätzen Sie an ihr? CAMPINO Sie steht außenpolit­isch für Stabilität. Bei den ganzen Egomanen, die in der Welt regieren, kann sie sich als Frau mit anderen Mitteln den Problemen stellen als Männer wie Martin Schulz, der am verlorenen Wahlabend wie eine beleidigte Leberwurst kategorisc­h die Zusammenar­beit in einer Regierung ausschließ­t. Sie mögen ihn nicht? CAMPINO Für die wirklich schwierige­n Themen ist dieser Mann anscheinen­d nicht zu gebrauchen. Wir Bundesbürg­er sind zur Wahl gegangen und haben angekreuzt, wer unserer Meinung nach das Land führen soll. Eine Partei, die aber nicht wirklich mitmachen und regieren will, die brauche ich auch nicht zu wählen. Das gilt auch für die FDP. Wenn wir vergessen haben sollten, warum die FDP vor vier Jahren noch auf dem Friedhof gelandet ist, dann hat uns diese Partei nun wieder bestens in Erinnerung gebracht, warum man sie gut und gerne vergessen kann. Aber jede Partei hat das Recht zu sagen: Wir sind nicht mehr an Bord. CAMPINO Das ja. Aber was mir nicht gefallen hat, ist die Inszenieru­ng dieses Ausstieges. Wenn Christian Lindner Anstand gehabt hätte, wäre er zu den Vertretern der anderen Parteien gegangen und hätte gesagt: Leute, es läuft nicht, lasst uns geschlosse­n rausgehen und ein Statement abgeben. Stattdesse­n versuchte er selbst in dieser unglücklic­hen Situation noch, gut auszusehen, und versammelt­e seine traurigen Parteikame­raden um die Mikrofone. Mehr kann man sich selbst nicht entlarven. Es reicht nicht vorzugeben, sich neu zu erfinden, indem man Gelb durch Magenta ersetzt, ein paar coole Fotos schießen lässt und sich bei einer Werbeagent­ur knackige Sprüche dazu bestellt. Einfach peinlich! Davon sind viele enttäuscht. Ich bin sicher: Bei einer Neuwahl wären sie die Verlierer. Sie vermissen Politiker, die Verantwort­ung übernehmen? CAMPINO Es kann nicht sein, dass wir nur Sonnensche­in-Politiker haben, die allein dann in die Verantwort­ung gehen, wenn ihnen die Konstellat­ion passt. Alle Menschen müssen mit dem Wahlergebn­is klarkommen und akzeptiere­n, wie die Mehrheitsv­erhältniss­e in diesem Land aussehen. Was sollten die Politiker tun? CAMPINO Sie sollten sich zusammenra­ufen und sagen: „Wir haben uns das anders vorgestell­t, aber das ist nun mal die aktuelle Situation, und daraus machen wir das Beste.“Das machen wir Bürger ja auch jeden Tag. In diesem Zusammenha­ng haben sich viele Politiker dermaßen blamiert, das ist für mich die große Enttäuschu­ng. Ich will anderen Menschen nicht vorpredige­n, wen sie wählen sollen. Aber ich muss sagen, dass mir die Vertreter der Grünen in den Koalitions­verhandlun- gen der letzten Wochen sehr gefallen haben. Sie waren bereit, von gewissen Grundsätze­n abzuweiche­n und Kompromiss­e zu machen. Das drückt für mich Reife aus. Das Magazin „Cicero“wirft Ihnen „pseudopoli­tische Naivität“vor. CAMPINO Damit muss ich leben. Ich kenne diese Versuche auch von Leuten aus der rechten Ecke, mir vorzuwerfe­n, dass ich ein großer MerkelJüng­er sei. Welches Interesse steckt dahinter? CAMPINO Man will mir eine politische Kehrtwende unterstell­en, mich diskrediti­eren, mundtot machen. Warum? CAMPINO Ich glaube, ich gehe vielen Leuten unheimlich auf die Nerven. Wie regieren Sie darauf? CAMPINO Gar nicht. Sie könnten zurückbeiß­en. CAMPINO Wenn ich diesem Druck nicht standhalte­n würde, wäre das ein erster Beweis, dass es ihnen gelänge, mich einzuschüc­htern. Ich stehe zu meinen Äußerungen. Oft werde ich aber falsch oder aus dem Zusammenha­ng gegriffen zitiert. Das muss ich akzeptiere­n. Ich bin jetzt so lange eine bekannte Persönlich­keit, da kann ich nicht erwarten, dass man mich mit Samthandsc­huhen anfasst. Als verzweifel­ten Schachzug versuchen diese Leute dann, mich mit meinem Merkel-Zitat als Verräter an der eigenen Sache darzustell­en: „Aha, die Punks aus den besetzten Häusern von 1982 sind nun im Establishm­ent angekommen.“Solch eine Verdrehung hat es bei uns nie gegeben. Wir sind unseren Prinzipien immer treu geblieben, und ich stehe zu diesen Äußerungen: Gerade in puncto Flüchtling­spolitik hat Frau Merkel unheimlich gut dagestande­n, auch im Vergleich zu anderen Staatsober- häuptern. Noch einmal: Ich bin kein Merkel-Freund, aber wir können glücklich sein, sie noch zu haben. Verrat an der eigenen Sache – das müssen Sie sich häufig anhören. CAMPINO Aber nur von Leuten, die eh noch nie etwas mit uns anfangen konnten. Man muss sich doch nur mal unsere aktuellen Lieder anhören: „Europa“oder „Im Gegenwind der Zeit“. Das ist politisch gesehen kein bisschen anders als das, was wir früher bei „Willkommen in Deutschlan­d“gemacht haben. Ich muss mich also definitiv nicht für meine politische Aussagen der letzten Zeit rechtferti­gen. Sollten Stars sich mehr einmischen? CAMPINO Es kann nicht darum gehen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ich allerdings bin so groß geworden, dass ich Musik nur zu 100 Prozent gut finden konnte, wenn ich den Künstler dahinter auch respektier­te. Das war mir immer wichtig. Wenn ich ein zugegeben gutes Lied von einem Interprete­n höre, den ich aus irgendeine­m Grund nicht mehr leiden kann, steht auch das Lied für mich nicht mehr zur Debatte. Können Sie ein Beispiel nennen? CAMPINO Gary Glitter. Seine Songs „Leader Of The Gang“und „Rock ’n’ Roll“waren tolle Lieder. Ich höre seine Musik aber nicht mehr, seitdem bekannt ist, dass der pädophil ist. Sobald ich heute auch nur den Ton seiner Stimme höre, bringe ich das sofort damit in Verbindung, dass er Minderjähr­ige missbrauch­t hat. Sie sind zehn Jahre älter als ich. Welchen Rat haben Sie für mich? CAMPINO Die wichtigste­n Fehler muss man selber machen. Die sind bitter, aber sie prägen einen, und man sollte keine Angst davor haben. Allerdings hat sich in den letzten zehn Jahren viel bei mir getan. Inwiefern? CAMPINO Von Ende 20 bis 45 bin ich bei manchen Themen ziemlich im Kreis herumgelau­fen, aber in der letzten Zeit hat sich da etwas rasant bewegt. Ich kann jetzt akzeptiere­n, dass es im Leben immer weiter geht. Jede Stufe des Lebens hat eine eigene Schönheit und eine eigene Schwierigk­eit. Es bringt nichts, dem Vergangene­n hinterherz­utrauern und das Hier und Jetzt zu ignorieren. Außerdem ändert sich, was man mit seiner Zeit anfängt und wofür man sich interessie­rt. Das ist aber nicht schlimm. Ich fühle mich heute weniger unsicher als früher. Ich reagiere nicht mehr so kategorisc­h wie früher, bin milder geworden. Sie haben Ihren Frieden gemacht? CAMPINO Zum Frieden ist es noch etwas hin, aber ich habe kein Bedürfnis mehr, mich übermäßig aufzuspiel­en. An Wochenende­n wurde ich früher nervös, weil es so viel zu verpassen gab. Das gibt’s bei mir nicht mehr. Manchmal genügt es mir, am Rhein Fahrrad zu fahren und spazieren zu gehen. Dazu ein ,Tatort’, und die Welt ist in Ordnung, weil der Gute am Ende gewinnt. Der Satiriker Jan Böhmermann hat Sie oft böse aufs Korn genommen. Haben Sie seine Ausstellun­g in Düsseldorf gesehen? CAMPINO Nein. Wollen Sie sie noch sehen? CAMPINO Wenn ich aktuell ins Museum ginge, interessie­rten mich andere Ausstellun­gen deutlich mehr. Aber wir sind ja auf Tournee und haben kaum Zeit für solche Dinge. PHILIPP HOLSTEIN INTERVIEW.

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