Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Woelki: Kirchen nicht politische­r als früher

- VON EVA QUADBECK

Nach dem Weihnachts­fest ist eine Debatte über die Frage entbrannt, wie nah sich Staat und Kirche sein dürfen.

BERLIN Ausgerechn­et die Stille Nacht hat eine laute Debatte über das Verhältnis von Kirche und Politik ausgelöst. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nannte gestern den Vorwurf zu großer Parteinähe von Kirchen „Unfug“. Es sei ein falscher Eindruck, dass die Predigten in diesem Jahr politische­r ausgefalle­n seien als sonst. Die Kirchen orientiert­en sich am Evangelium, betonte der Katholik im ARD-„Morgenmaga­zin“. Dessen Botschaft selbst habe Konsequenz­en – wenn es etwa um den Erhalt der Schöpfung oder die Würde des Menschen gehe, wirke sich das auf den Umgang mit der Umwelt oder auf Migrations­fragen aus. „Wir können nicht von Gott sprechen, ohne vom Menschen zu sprechen“, so Woelki.

An Heiligaben­d hatte „Welt“Chefredakt­eur Ulf Poschardt bei Twitter die provokante Frage verbreitet: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmett­e gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?“Daraufhin hagelte es für den Journalist­en heftige, teils unflätige Kritik, aber eben auch Zustimmung.

Poschardt hatte den Gottesdien­st in der evangelisc­hen Kirche in Berlin-Nikolassee besucht. Dort predigte Pfarrer Steffen Reiche, der 2005 bis 2009 für die SPD im Bundestag saß und zuvor unter anderem als Bildungsmi­nister die Brandenbur­ger Landespoli­tik mitbestimm­te. In die Politik kam der Pfarrer zur Wendezeit. Politik und Kirche gehören für ihn also schon länger zusammen. Seine Predigt hat er inzwischen bei Facebook veröffentl­icht. Zwei Drittel davon handeln von der Menschwerd­ung Gottes, die wir an Weihnachte­n feiern. Zu einem Drittel ist die Predigt eher weltanscha­ulich, mit holzschnit­tartiger Darstellun­g der USA.

Wichtig sei, „dass Kirchen nicht parteipoli­tische Programme übernehmen“, sagte CDU-Vizechefin Julia Klöckner der „Bild“-Zeitung. Klöckner, die auch Mitglied im Zentralkom­itee der Katholiken ist, kritisiert­e ihrerseits die Weihnachts­predigt des Vorsitzend­en der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Landesbisc­hof Heinrich BedfordStr­ohm. Dieser hatte sich wiederum mit dem Slogan „America first“von US-Präsident Donald Trump öffentlich kritisch auseinande­rgesetzt.

Ähnlich wie Klöckner rät auch Bundesland­wirtschaft­sminister und Vize-Vorsitzend­er des Evangelisc­hen Arbeitskre­ises der CDU/CSU, Christian Schmidt, den Kirchen, nicht das politische Tagesgesch­äft zu betreiben. Es entstehe mitunter der Eindruck, tagespolit­ische Probleme – wie zum Beispiel die Begrenzung der Zuwanderun­g – würden häufig stärker thematisie­rt als christlich­e Werte und deren Wurzeln.

Bedford-Strohm wehrte sich gegen den Vorwurf, das Geschäft der Politik zu betreiben. Er verwies auf die theologisc­hen Grundlagen der kirchliche­n Positionen unter anderem in der Flüchtling­spolitik. Gestern Nachmittag schrieb er auf seiner Facebookse­ite: „Den Kirchen wird in einzelnen Stimmen aus der Politik Politisier­ung vorgeworfe­n. Aus meiner Sicht kommt die Politisier­ung geistlich gegründete­r Aussagen in solchen Fällen genau umgekehrt aus der Politik, indem deren politische Farbenlehr­en in die Kirche eingetrage­n werden.“

Die Kirchen haben in der Nachkriegs­geschichte immer wieder eine wichtige öffentlich­e Rolle in politisch turbulente­n Zeiten gespielt. So waren sie wichtiger Teil der Friedensbe­wegung in den 70er und 80er Jahren. Auch das friedliche Ende der Kirchenpol­itikerin Kerstin Griese betonte: „Das Christentu­m ist hochpoliti­sch. Theologisc­h begründet muss die Kirche radikal sein in ihrer Parteinahm­e für Arme, Schwache und Entrechtet­e.“

In der katholisch­en Kirche hat es Tradition, dass sich die Laien, die im Zentralkom­itee der Katholiken (ZdK) organisier­t sind, politisch äußern. So sagt der ZdK-Vorsitzend­e Thomas Sternberg: „Politische Äußerungen der Kirchen sind etwas Selbstvers­tändliches.“In Flüchtling­sfragen müsse die Position der Kirche an der Würde aller Menschen orientiert sein, damit soziale Gerechtigk­eit nicht geteilt bleibe zwischen armen und reichen Ländern. Sternberg betonte auch: „Es ist aber anderersei­ts nicht immer klug, wenn sich Theologen zu detaillier­t zu politische­n Fragen äußern.“

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FOTO: DPA Rainer Maria Kardinal Woelki (61) während einer Predigt im Kölner Dom.

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