Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir haben zu viele Berufspoli­tiker“

-

Als Unternehme­r und Ergo-Vorstand machte er Millionen. Jetzt hat er gekündigt und will sich der Politik widmen, ausgerechn­et in der SPD.

Herr Christ, Sie verdienen zurzeit ein siebenstel­liges Jahresgeha­lt, 25 mal so viel wie der durchschni­ttliche Deutsche in Vollbeschä­ftigung. Warum werfen Sie so einen Job hin? HARALD CHRIST Das ist eine Frage, die ich häufig zu hören bekomme. Ich tue es aus Überzeugun­g, ich möchte mehr Freiheiten haben, möchte unternehme­risch und auch politisch weiter agieren können. Das lässt sich mit der Rolle als Vorstand in einem Konzern nicht vereinbare­n. Jedenfalls, nicht so intensiv, wie ich es mir wünsche. Ich verzichte übrigens auch, wie schon bei meinen Positionen bei Postbank, Deutscher Bank und WestLB auf jegliche weiteren Ansprüche aus meinem Vorstandsv­ertrag. Ganz ehrlich, wir kennen Sie als erfolgreic­hen Manager in Sachen Geld. Dieses Verhalten steht dazu im krassen Gegensatz . . . CHRIST Nein, ökonomisch­er Sinn und Verzicht schließen sich nicht aus. Ergo hat sich 2016 eine neue Strategie verordnet. Es war für mich gegenüber den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn nicht vertretbar, selbst über personelle Einschnitt­e zu entscheide­n und sie durchzuset­zen und dann mit einem goldenen Handschlag zu gehen. Ich habe immer gut verdient, aber meine Jobs nicht vom Einkommen allein abhängig gemacht. Ich bleibe Ergo übrigens sehr verbunden mit zwei Aufsichtsr­atspositio­nen und einem Engagement in der Ergo Stiftung. Darauf freue ich mich sehr. Wie viele Menschen haben durch die von Ihnen geleitete Restruktur­ierung ihre Jobs verloren? CHRIST Wir mussten leider die Anzahl der Stellen im angestellt­en Außendiens­t in etwa halbieren. Und jetzt wollen Sie Karriere machen in der SPD, als reicher Manager, der fast 1500 Menschen arbeitslos gemacht hat? CHRIST Ich sehe in meiner Mitgliedsc­haft in der SPD und meinem Handeln als Manager keinen Widerspruc­h. Selbst Gewerkscha­ften haben in den vergangene­n Jahren Personal reduzieren müssen. Der Stellenabb­au bei Ergo gelang nach sehr intensiven Verhandlun­gen im Einvernehm­en mit den Arbeitnehm­er- vertreten, und wir haben den Abbau möglichst sozialvert­räglich vorgenomme­n. Viele Gespräche habe ich persönlich geführt. So etwas ist nie angenehm, und doch sind solche Maßnahmen in der Finanzindu­strie heute leider notwendig. Für die Wettbewerb­sfähigkeit von Ergo und die Sicherung der Zukunft war es eine ökonomisch­e Notwendigk­eit, das hat nichts mit dem Parteibuch zu tun. Für viele Düsseldorf­er ist die Ergo heute auch noch Victoria, obwohl der Markenname schon vor sieben Jahren vom Markt genommen wurde. Wie viel ist davon übrig geblieben? CHRIST Ich war ja zu Zeiten der ehemaligen Gesellscha­ften noch nicht an Bord, deshalb kann ich das nicht genau sagen. Aber ein Stück weit, das ist mein Eindruck, spürt man noch immer die Kulturen der alten Marken. Da ist weiterhin Integratio­nsarbeit zu leisten, obwohl sich so etwas natürlich über die Jahre auch durch Personalfl­uktuation und neue Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r relativier­t. Es gibt immer mehr Mitarbeite­r, die nur Ergo kennen und stolz sind, dort zu arbeiten, so wie es früher bei Victoria war. Ab 1. Januar sind Sie also auf eigenen Wunsch arbeitslos. Was wollen Sie mit so viel Tagesfreiz­eit anfangen? CHRIST Ich möchte wieder mehr unternehme­risch tätig werden. Ich habe einige Ideen hinsichtli­ch Kommunikat­ion und Personalbe­ratung, aber spruchreif ist das noch nicht. Auch werde ich einige Aufsichtsr­atsmandate übernehmen. Vor allem aber möchte ich mich auf zwei Ebenen privat wieder stärker engagieren. Zum einen in der SPD, zum anderen möchte ich mein soziales Engagement verstärken. Wenn ich nicht mehr in den Strukturen eines so großen Konzerns mit vielen tausend Mitarbeite­rn und viel mehr Kunden eingebunde­n bin, kann ich mich ab 2018 freier politisch äußern. Das liegt mir im Hinblick auf die derzeitige­n politische­n Herausford­erungen sehr am Herzen. In der Intensität wie ich es möchte, geht es als Vorstand nicht. Beruflich schließe ich aber nie etwas aus – letztlich kommt es immer auf die Herausford­erung in der Aufgabe an. Was war der ausschlagg­ebende Moment für diesen Abschied? CHRIST Das war der Wahltag am 24. September 2017. Und zwei düstere Nachrichte­n: das niedrigste Ergebnis für die SPD seit der Gründung der Bundesrepu­blik und noch mehr das erschrecke­nde Erstarken der AfD. Und darauf der Gedanke, was das für die Stabilität unserer Demokratie bedeuten kann. Außerdem hatte ich im Konzern einen bestens geeigneten Nachfolger. Ich habe mit meinem Team vieles von dem, was notwendig war, umgesetzt - ich hatte geliefert. Daher ist jetzt der richtige Zeitpunkt, den Stab zu übergeben. Welche Ambitionen haben Sie in der SPD konkret? CHRIST Ich bin vor fast 30 Jahren der SPD beigetrete­n, war Juso-Vorsitzend­er, Gewerkscha­fter, Schatzmeis­ter in zwei SPD-Landesverb­änden und bei der Bundestags­wahl 2009 im Schattenka­binett von Frank Walter Steinmeier für das Wirtschaft­sministeri­um vorgesehen. Bislang strebe ich kein Parteiamt an. Man kann auch Politik machen ohne ein Pöstchen – das soll es geben. Sie sind ein vermögende­r Unternehme­r und Manager. Auch Silvio Berlusconi oder Donald Trump haben erst privat ein Vermögen gemacht und gingen dann in die Politik. Aber glauben Sie ernsthaft, der Wähler honoriert das? CHRIST Kein schöner Vergleich. Aber, wieso muss ein Sozialdemo­krat finanziell abhängig sein? Ich bin schon im Jahr 1988 Sozialdemo­krat geworden, als ich noch nichts hatte. Ich komme aus einfachem Elternhaus, genau das soziale Milieu, das man immer der SPD zurechnet. Dass ich danach finanziell unabhängig geworden bin, darf mir doch heute deswegen nicht zum Nachteil gereichen. Für mich ist die SPD auch die Partei des sozialen Aufstiegs. Daher stand für mich übrigens aus Überzeugun­g ein Parteiwech­sel nie zur Debatte. Außerdem fände ich es gut, wenn es mehr Politiker gäbe, die in ihrem Leben auch außerhalb der Politik Erfahrunge­n gesammelt haben und sie dann auch einbringen. Eine gewisse Unabhängig­keit zur Politik kann nicht schaden. Wir haben zu viele Berufspoli­tiker nach dem Motto Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal. Wobei es darunter tolle Talente gibt. Sie sind persönlich mit einer Summe von 250.000 Euro für den Grand Départ der Tour de France einer der größten Einzelspen­der. Wie sehen Sie nun die Ablehnung der letzten Zahlungen im Düsseldorf­er Stadtrat durch CDU und FDP? CHRIST Die Diskussion­en heute sind der Person, dem Ereignis, Oberbürger­meister Thomas Geisel und der Stadt Düsseldorf nicht würdig. Die Landeshaup­tstadt kann stolz sein, ein solches Großereign­is nach Düsseldorf geholt zu haben, auch wenn der Erfolg natürlich monetär nicht messbar ist. Für mich ist das parteipoli­tisches Taktieren. THORSTEN BREITKOPF FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Harald Christ machte als selbststän­diger Unternehme­r Millionen, arbeitete als hoch bezahlter Manager bei Ergo und will nun in die Politik.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Harald Christ machte als selbststän­diger Unternehme­r Millionen, arbeitete als hoch bezahlter Manager bei Ergo und will nun in die Politik.

Newspapers in German

Newspapers from Germany