Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
ANALYSE Wie
politisch darf und wie politisch muss die Kirche hierzulande sein? Diese Frage hat sich jetzt an den Themen Migration und Flüchtlinge entzündet, die zu einer merklichen Politisierung beider christlicher Kirchen beigetragen haben.
Die unbedingte Hilfspflicht scheint der Kirche – will sie im wahrsten Sinne glaubhaft sein – kaum eine andere Wahl zu lassen. Die Kirche hilft so gesehen den Schutzbedürftigen und Flüchtlingen nicht, weil es irgendwie christlich ist. Es ist weit mehr das Grundverständnis eines gelebten Christentums, so zu handeln. Und dazu bedarf es keiner Auslegung der Heiligen Schrift. Dementsprechend gering sind die Handlungsspielräume. Das heißt: Wer sich als Christ versteht, hilft. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat das vor zwei Jahren auf diese Formel zugespitzt: „Wer fromm ist, muss auch politisch sein.“
Was sich in dem Konflikt gegenübersteht, ist eine Ethik der Gesinnung
und eine Ethik der Verantwortung
So weit, so gut – und so christlich. Die Kritik am kirchlichen Engagement bezieht sich aber nicht auf das Bemühen, das Evangelium zu leben. Sondern darauf, dass man für sein moralisches Tun auch für die Folgen aufzukommen habe. Dass also zwischen moralischem Anspruch und gesellschaftspolitischer Realität Lücken klaffen. Was sich in diesem Konflikt unversöhnlich gegenübersteht, ist die Gesinnungsund die Verantwortungsethik. Kann der, der bloß seiner Gesinnung folgt, all die Faktoren kennen und berücksichtigen, wie der, der letztlich die Verantwortung tragen muss?
Dieser Konflikt ist so nicht zu lösen. Vielleicht muss er es aber auch nicht. Weil den Kirchen das Recht bleiben muss, glaubhaft daran zu mahnen, was Nächstenliebe, soll sie kein Lippenbekenntnis bleiben, heißt. Christlicher Glaube ist viel explosiver, als es manchem lieb sein kann. Möglicherweise ist der strenge Hinweis, die Kirche möge bei ihrem Engagement die Kernbotschaft nicht vergessen, eine Warnung nur in den Wind – wenn nämlich genau diese Hilfe als Teil der Kernbotschaft erkannt wird. Zu bedenken ist schließlich, dass der, der nicht politisch handelt, am Ende immer politisch handelt, indem er mit seinem Schweigen die herrschende Meinung unterstützt.