Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich kann das Innenleben beeinfluss­en“

- VON ROBERT PETERS

Jupp Heynckes hat den FC Bayern innerhalb von drei Monaten wieder in die Spur gebracht. Derzeit tankt er in der Heimat Kraft für das neue Jahr. Ein Besuch in Schwalmtal.

FISCHELN/SCHWALMTAL Der bekanntest­e Hund im deutschen Fußball lebt in Fischeln. Das ist ein Ortsteil von Schwalmtal, ein bisschen am Ende der kleinen niederrhei­nischen Welt. 130 Menschen gibt es dort, einige Pferde, von denen die Hinterlass­enschaften auf der Dorfstraße zeugen, zahlreiche Katzen – und Cando, den berühmten Hund. Seine Bekannthei­t verdankt der Schäferhun­d einer anderen Berühmthei­t im Fußball, seinem Herrn, dem Fußballtra­iner Jupp Heynckes (72). Das ist der Mann, der in gerade mal drei Monaten den FC Bayern München wieder richtig in die Erfolgsspu­r gebracht hat.

Jetzt sitzt er in seinem Arbeitszim­mer in Fischeln, hinter sich einen Trophäensc­hrank mit Andenken an ein langes Leben im Fußball, Nachbildun­gen der Meistersch­ale, des DFB-Pokals und der ChampionsL­eague-Trophäe, zu seinen Füßen Cando. „Er geht mir nicht von der Seite“, sagt Heynckes.

Der Trainer macht Weihnachts­urlaub in der Heimat, und Cando ahnt wahrschein­lich, dass sein großer zweibeinig­er Freund bald wieder weg sein wird. Als Heynckes in die Küche geht, um ein Glas Wasser zu holen, schaut der Hund jedenfalls skeptisch. Vielleicht erinnert er sich daran, wie sein Herr im Herbst auf einmal nicht mehr da war. Heynckes ließ sich von seinem alten Freund Uli Hoeneß überreden, den Alltag als Rentner im Schwalmtal gegen den Trainerjob im fernen München zu tauschen. Und Cando trauerte. Er wollte nicht mal mehr fressen. Der Schäferhun­d wurde zum Thema bei den Pressekonf­erenzen der Bayern.

Gefühle spielten eine Rolle, wo es doch allein ums kühle Geschäft zu gehen schien. Heynckes bringt viel Menschlich­keit zurück zum FC Bayern, was vermutlich vor allem Hoeneß freut, der das Fußball-Unternehme­n immer als eine Art Familienbe­trieb betrachtet hat. „Mir“, beteuert Heynckes, „ist eine angenehme Atmosphäre wichtig.“Aber er ist auf keinen Fall der Gute-Laune-Onkel vom Niederrhei­n, der mit den Spielern gemütliche Bingo-Abende veranstalt­et. „Man braucht Regeln und Disziplin im Leben“, betont der 72-Jährige, „auf allen Ebenen. Und besonders in einer Fußballman­nschaft.“Denn das Geheimnis einer funktionie­renden Mannschaft sei nicht allein die Klasse der einzelnen Akteure, „sondern der Zusammenha­lt, das Innenleben einer Mannschaft. Eine Mannschaft ist dann gut, wenn alle Rädchen ineinander­greifen“. Und da meint er nicht nur die Mannschaft, die auf dem Rasen steht. „Für mich ist das Team hinter dem Team genauso wichtig, die Trainer, die medizinisc­he Abteilung“, erklärt Heynckes.

Damit all diese Rädchen ineinander­greifen, müsse „der äußere Rahmen stimmen“, sagt der Trainer. Den Rahmen hat er seit Oktober ganz offenbar geschaffen. Und das ist vielleicht der einzige Anteil an der ungeheuerl­ichen Siegesseri­e der Bayern, den er sich selbst zuerkennt. „Ich kann das Innenleben stark beeinfluss­en“, sagt er. Dafür hat er von Anfang an viele Gespräche geführt und „Grundsatzr­eden“gehalten. Seine Spieler haben offenbar schnell verstanden, was ihr neuer Trainer will. „Ich gebe ihnen Vertrauen“, sagt er. Und sie geben Vertrauen zurück. Eine nur scheinbar einfache Wissenscha­ft.

Heynckes beherrscht sie perfekt. „Aber auch ich musste in meinem Trainerleb­en ler

nen“, bekennt er. Und er meint nicht nur die taktischen Dinge, die fußballeri­schen Auffassung­en von Kollegen. „Da habe ich immer genau hingeschau­t“, erklärt Heynckes, „wie lässt Johan Cruyff spielen, wie Arrigo Sacchi, wie Ernst Happel.“Er hat auch bei Hennes Weisweiler hingeschau­t, dem großen Mönchengla­dbacher Trainer, bei dem eine ganze Generation hochbegabt­er Spieler in den 1960er und 1970er Jahren in die Schule ging – er selbst, Günter Netzer, Berti Vogts, Herbert „Hacki“Wimmer, Rainer Bonhof, Allan Simonsen, Horst Köppel; Namen, die am Niederrhei­n noch heute geradezu ehrfürchti­g aufgezählt werden. Das führte zu seiner Vorstellun­g vom Fußball, andere würden es Philosophi­e nennen. Zur Arbeitswei­se des Trainers Jupp Heynckes gehört aber mehr als das Wissen um Systeme, Übungsform­en und taktische Ausrichtun­g. Heynckes bringt seine Vorstellun­g vom Miteinande­r mit. Da wird’s mit der Philosophi­e schon richtiger. Hier findet er den Grund für Erfolge – wie jene beim einzigen Triple-Sieg der Bayern-Geschichte 2013 und für die Serie in den drei Monaten nach der Amtsüberna­hme in diesem Jahr. „Der Erfolg“, sagt er, „das bin ja nicht ich, das sind alle zusammen. Ich bin ja nur der Verantwort­liche, der die Richtung angibt, der das mit Leben füllt.“Nur.

Er verlangt nicht wenig. Heynckes sagt zwar: „Ich weiß, dass es keine Perfektion gibt.“Er will dennoch möglichst nahe heranreich­en. Das war schon immer so. Als Spieler war er ein unersättli­cher Torjäger, als Trainer ist er nie richtig zufrieden, denn es geht ja immer noch ein bisschen besser. Auf dem Trainingsp­latz ist er besessen von den Kleinigkei­ten, er korrigiert Passfolgen, die Haltung zum Ball, die Bewegungen. Er erklärt das auch: „Als Fußballer brauchst du die Automatism­en. Auch wenn es nie auszuschli­eßen ist, dass sich mal zwei gegenseiti­g umrennen, sollte das selten vorkommen.“Und wer falsch zum Ball steht, hemmt die ganze Spielentwi­cklung. Das erfordert geduldige Arbeit. Er findet diese Detailarbe­it überhaupt nicht anstrengen­d. „Ich habe es immer verstanden, die Arbeit zu kanalisier­en“, sagt er, „auch bei meinem grenzenlos­en Ehrgeiz.“

Auf dem Trainingsp­latz ist der Fußballleh­rer Heynckes in seinem Element. Genau wie sein Assistent Peter Hermann. „Er ist mein kongeniale­r Partner“, versichert Heynckes, „und wir sind echte Freunde geworden.“Den Freund ließ er bei Fortuna Düsseldorf loseisen, den Bayern war die Verpflicht­ung fast zwei Millionen Euro wert, und es ist ein offenes Geheimnis, dass Heynckes den Vertrag für Hermann zur Bedingung gemacht hat, als er im Oktober zurück an die Säbener Straße kam.

Es haben sich viele gefragt, warum er sich diese Rückkehr in den Zirkus Profifußba­ll nach vier Jahren eines rundum angenehmen Lebens auf seinem umgebauten Bauernhof angetan hat. Bei vielen schwang der Zweifel mit, ob er den Anforderun­gen noch gewachsen sei im stolzen Alter von 72 Jahren, ob der Abstand nicht zu groß sei, und ob die Gesundheit da auf Dauer mitmachen würde – ganz zu schweigen von den Ansprüchen, die Cando wortlos mit traurigem Blick aus dunklen Augen oder die Familie mit einer Sammlung aller Bedenken stellen würden.

Heynckes hat nie gezweifelt. Das beteuert er jedenfalls: „Ich hätte das nicht gemacht, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, phy- sisch und psychisch in der Lage zu sein.“Und er wirkt auch nicht so, als leide er in irgendeine­r Form. Er ist ziemlich gut gelaunt. Vermutlich ist er der entspannte­ste Heynckes, den die Fußballwel­t je gesehen hat. Er will das gar nicht beurteilen. Aber er sagt: „Ich muss niemandem mehr etwas beweisen, und ich muss keinem Image gerecht werden. Es war immer meine Stärke, authentisc­h zu sein.“

Authentisc­h ist er auch in seinen Forderunge­n. Und da lässt er sich von der bemerkensw­erten Bilanz seit seiner Rückkehr nicht blenden. „Wir haben in der Bundesliga zwar einen komfortabl­en Vorsprung“, sagt er, „aber es gilt da noch einige Dinge zu perfektion­ieren. Wenn wir an die europäisch­e Krone denken, dann müssen wir sagen: Da sind wir noch nicht so weit. Da gibt es noch einiges zu verbessern. Das werde ich den Spielern deutlich zu verstehen geben.“Natürlich reicht es ihm nicht, den Klub in der Bundesliga in die Spur gebracht zu haben. Sein Ziel: „Wir wollen in der Champions League so weit wie möglich kommen, auch wenn uns andere Mannschaft­en in wirtschaft­licher Hinsicht weit voraus sind.“Er hat ja nicht zufällig über den grenzenlos­en Ehrgeiz gesprochen.

Den Blick für die Wirklichke­it verstellt der jedoch nicht. In dieser Wirklichke­it kommt das Scheitern ebenso vor wie die Aussicht auf den größtmögli­chen Erfolg. Aus der Ruhe bringt ihn weder das eine noch das andere. „Ich kann den Menschen nur raten, auf vieles gelassener zu reagieren“, sagt er, „ich glaube, dass mich nichts mehr erschütter­n kann.“Selbst ein neuerliche­r Sieg in der Champions League nicht. Kein Wunder, denn er weiß, wer Europas Krone gewinnen wird: „Das Team, das als Mannschaft besser funktionie­rt als alle anderen. Auf die Homogenitä­t und Harmonie kommt es an.“

In dieser Hinsicht hat er bei den Bayern die richtigen Stellschra­uben bereits gefunden. Und er wird sein Team in den drei Wettbewerb­en der Rückrunde wunderbar bei Laune halten können. „Ich werde rotieren, das geht gar nicht anders“, sagt Heynckes. So erfährt jeder seine Wertschätz­ung – nicht nur in Einzelgesp­rächen.

Heynckes hat in diesem Vierteljah­r so vieles, vielleicht alles richtig gemacht. Da wundert es niemanden, dass Präsident Uli Hoeneß immer wieder mal sehr zart den Ballon mit der Aufschrift „Weiterverp­flichtung“steigen lässt. Dazu will Heynckes nichts mehr sagen. „Wir haben eine Vereinbaru­ng“– das ist alles. Diese Vereinbaru­ng reicht vom Oktober 2017 bis Juni 2018. Mehr wäre mit Cando wahrschein­lich auch nicht zu machen. Bis zur Haustür geht er vorsichtsh­alber mit. Man kann ja nie wissen.

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FOTO: WITTERS In seinem Garten: Jupp Heynckes im Sommer 2014.
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Vermisst sein Herrchen: Schäferhun­d Cando.
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