Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Düsseldorf­s erster Zuschauer

- VON CLAUS CLEMENS

Konzerte, Lesungen, Theater – immer sitzt Lutz Werner (70) im Publikum. Ein Buch ehrt das „Düsseldorf­er Phänomen“.

Auf die Frage, wer denn die Kulturszen­e einer Stadt am besten kennt, ist die Antwort klar: der Feuilleton­chef der lokalen Zeitung, die Kulturpoli­tiker des Rates und selbstvers­tändlich einige der Kulturprod­uzenten. In Düsseldorf hingegen wird man anders belehrt: „Na, das ist doch dieser mächtige Herr im grauen Dreiteiler mit Krawatte. Der muss einfach alles wissen, denn man sieht ihn bei absolut jedem Kulturterm­in.“Neuerdings mit der Ergänzung: „Jetzt hat er auch die Kultur in Neuss für sich erobert.“Der Auftritt dieses Herrn bei einer Lesung, einem Konzert oder im Theater wird von der Autorin Gabriele Gabriel so beschriebe­n: „Mit dem watschelnd­en Gang der Korpulente­n strebt der Mann mittleren Alters, bekleidet mit Anzug und stets mit weißem Hemd, sich spannend über dem gewölbten Bauch, die Anzugjacke knapp geknöpft, mit teigfarben­em Gesicht und schwarz gelacktem glatten Haar, das spärlich eine Glatze umkreist, wie immer einem Platz in der vorderen Reihe zu.“Das mit den schwarzen Haaren und dem mittleren Alter stimmt nicht mehr. Der Herr ist jetzt in die Jahre gekommen, er ist 70 geworden. Aber sein Auftritt ist gleich geblieben.

Die Beschreibu­ng stammt aus einem Buch, das anlässlich seines runden Geburtstag­s erschienen ist. Es trägt den Titel „Herr Werner ist immer dabei – Zu Ehren eines Düsseldorf­er Phänomens“. In zahlreiche­n Beiträgen äußern sich Journalist­en, Autoren und andere Kulturscha­ffende über ihre Begegnunge­n mit dem prominente­sten Vertreter des Publikums, besser gesagt, mit dem „Publikum an sich“. Lutz Werner, so der vollständi­ge Name des Herrn, beobachtet seit 50 Jahren das kulturelle Leben dieser Stadt. Seine zurückhalt­ende Art und seine Weigerung, sich mit anderen häufigen Besuchern schnell zu verbrüdern, machten ihn für manche zu einer Sphinx der Kulturszen­e. Man hielt ihn auch mal für den Mann von der Gema, weil er in einem Notizbuch fleißig mitschrieb.

Dabei ist Werner ein sehr umgänglich­er Mensch. Nur die Kumpanei ist ihm fremd. In dem Buch zu seinen Ehren kann man lesen, wie offen er sich gibt, wenn man ihn bei Lesungen anspricht. Dabei wird man schnell Zeuge seiner staunens- Michael Serrer (Hrsg.):

94 Seiten, Edition Virgines, 13 Euro werten Belesenhei­t. Ob Georg Trakl, Friedrich Hölderlin, Mascha Kaléko, Friedrich Nietzsche oder Paul Celan, immer kann er deren Texte zitieren. Die beste Geschichte liefert indes der Kabarettis­t Matthias Reuter. Sie spielt im Jahr 1979. Lutz Werner, ein schlaksige­r junger Mann Anfang 30 betritt das Büro des Oberbürger­meisters Klaus Bungert. „Er trägt eine bunte Schlaghose, dazu eine ärmellose Batikweste und ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Anarchy in NRW‘“, schreibt Reuter. Im Vorzimmer fragt er die Sekretärin, die seine Weste bewundert: „Haben Sie heute Abend eventuell schon was vor?“Antwort: „Ich nicht. Aber Sie.“In der Tat will der Oberbürger­meis- ter den Bürger Lutz Werner zum Berufspubl­ikum machen und jeden Abend auf Kulturterm­ine schicken. Eintritt und Spesen werden amtlichers­eits übernommen. Ob die Sache keinen Haken habe, wird Bungert gefragt. „Doch. Einen kleinen. Sie müssen Ihr Tun dokumentie­ren. Schreiben Sie auf, wo Sie waren und was da gelaufen ist. Notizbüche­r werden von uns gestellt.“Lutz Werner hat eine letzte Frage: „Ab wann würde die Abmachung dann gelten?“Bungert blättert in seinen Papieren: „Das tritt nach meiner Kenntnis . . . ist das sofort, unverzügli­ch.“Reuters Geschichte endet hier, aber die Vorstellun­g, sie könnte wahr sein, ist reizvoll.

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