Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Ein zu hoher Preis für eine neue Regierung
Die wichtigste Botschaft der drei Parteichefs gestern Morgen war: Wir haben verstanden. Merkel, Schulz und Seehofer gehen in dem Sondierungspapier mehr als bisher auf die Sorgen, Wünsche und Nöte ihrer Wähler ein: Rente, Steuern, Pflege, Bildung, Begrenzung der Flüchtlingszahlen, Familienförderung, Digitalisierung.
Die Themen sind die richtigen, auch die Ziele für eine schnellere Digitalisierung und bessere Bedingungen für junge Familien stimmen. Doch so richtig verstanden haben die drei Parteichefs leider nicht. Sie wiederholen den Fehler von vor vier Jahren und beschließen unmäßige Ausgabenprogramme. Dem nun vorliegenden Sondierungsbeschluss fehlen Kreativität, Inspiration und der Mut, Geld nur gezielt auszugeben. Das ist auch kein Wunder: Wenn man die wichtigen Weichenstellungen für die kommenden vier Jahre einer Nation in einer 24-stündigen Marathon-Sitzung vornimmt, dann kommt da eben ein Papier heraus, das sich liest wie ein Notfallplan zur Zurückgewinnung von Wählern. Doch so funktioniert das nicht. Die Wähler haben sich 2017 auch nicht dafür bedankt, dass sie 2014 die Mütterrente bekommen haben.
Für ihr eigenes politisches Überleben und für die Bildung einer gemeinsamen Regierung zahlen Merkel, Schulz und Seehofer einen zu hohen Preis. Die Beschlüsse zu Rente, Gesundheit und Pflege werden die Sozialabgaben in die Höhe treiben und die Entlastungen bei der Arbeitslosenversicherung sowie der kleinen und mittleren Einkommen beim Solidaritätszuschlag wieder aufzehren. Wenn die Konjunktur richtig brummt, machen sich höhere Sozialabgaben nicht gleich in einer steigenden Arbeitslosenquote bemerkbar. Doch was machen wir eigentlich, wenn es mal nicht mehr so gut läuft?
Die Union besteht darauf, dass die schwarze Null im Haushalt erhalten bleiben muss. Wenn aber die zusätzlichen Leistungen stattdessen über die Sozialkassen finanziert werden, dann ist das ebenfalls eine Hypothek für die Zukunft. Und verlogen obendrein.
Für das, was wir vor vier Jahren noch als Deutschlands neue Verantwortung in der Welt definiert haben, ist kaum Geld eingeplant. Entwicklungsarbeit und Verteidigung gehen nach dem Sondierungspapier weitgehend leer aus. Der ökonomische Riese Deutschland, der seine Waren in alle Welt verkauft, darf sich aber bei der Bekämpfung internationaler Krisen und Armut keinen schlanken Fuß machen. Für Europa und die Welt ist es immerhin ein positives Signal, dass Deutschland sich nun auf den Weg macht, wieder eine stabile Regierung zu bilden. BERICHT GROSSE KOALITION, GROSSE KOSTEN, TITELSEITE
Kurz als Brückenbauer
Der eine ist noch jung für sein Amt, der andere sogar sehr jung: Das Treffen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Österreichs Kanzler Sebastian Kurz fand auch deswegen solche Beachtung, weil die beiden die nächste europäische Politikergeneration verkörpern. Beide wollen Europa reformieren, haben dabei aber nicht unbedingt dieselben Vorstellungen. In gewisser Weise verkörpern Macron und Kurz sogar die beiden Lager in der EU, deren Differenzen zuletzt immer offener zutage getreten waren. Der Franzose tritt für eine noch stärkere europäische Integration ein; der Österreicher pocht auf nationale Souveränität.
Wo genau der gemeinsam mit der rechtspopulistischen FPÖ regierende Kurz politisch steht, muss sich erst noch zeigen. Dann wird man sehen, wie belastbar sein Bekenntnis zur EU ist. Und vielleicht kann Kurz ja tatsächlich als Brückenbauer zu den osteuropäischen Staaten dienen, von denen einige offen euroskeptisch sind. Damit übernähme der Wiener Kanzler jene Rolle, die früher einmal deutsche Regierungschefs ausfüllten. So ändern sich die Zeiten. BERICHT