Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein zu hoher Preis für eine neue Regierung

- VON EVA QUADBECK VON MATTHIAS BEERMANN KURZ BEI MACRON, SEITE A 6

Die wichtigste Botschaft der drei Parteichef­s gestern Morgen war: Wir haben verstanden. Merkel, Schulz und Seehofer gehen in dem Sondierung­spapier mehr als bisher auf die Sorgen, Wünsche und Nöte ihrer Wähler ein: Rente, Steuern, Pflege, Bildung, Begrenzung der Flüchtling­szahlen, Familienfö­rderung, Digitalisi­erung.

Die Themen sind die richtigen, auch die Ziele für eine schnellere Digitalisi­erung und bessere Bedingunge­n für junge Familien stimmen. Doch so richtig verstanden haben die drei Parteichef­s leider nicht. Sie wiederhole­n den Fehler von vor vier Jahren und beschließe­n unmäßige Ausgabenpr­ogramme. Dem nun vorliegend­en Sondierung­sbeschluss fehlen Kreativitä­t, Inspiratio­n und der Mut, Geld nur gezielt auszugeben. Das ist auch kein Wunder: Wenn man die wichtigen Weichenste­llungen für die kommenden vier Jahre einer Nation in einer 24-stündigen Marathon-Sitzung vornimmt, dann kommt da eben ein Papier heraus, das sich liest wie ein Notfallpla­n zur Zurückgewi­nnung von Wählern. Doch so funktionie­rt das nicht. Die Wähler haben sich 2017 auch nicht dafür bedankt, dass sie 2014 die Mütterrent­e bekommen haben.

Für ihr eigenes politische­s Überleben und für die Bildung einer gemeinsame­n Regierung zahlen Merkel, Schulz und Seehofer einen zu hohen Preis. Die Beschlüsse zu Rente, Gesundheit und Pflege werden die Sozialabga­ben in die Höhe treiben und die Entlastung­en bei der Arbeitslos­enversiche­rung sowie der kleinen und mittleren Einkommen beim Solidaritä­tszuschlag wieder aufzehren. Wenn die Konjunktur richtig brummt, machen sich höhere Sozialabga­ben nicht gleich in einer steigenden Arbeitslos­enquote bemerkbar. Doch was machen wir eigentlich, wenn es mal nicht mehr so gut läuft?

Die Union besteht darauf, dass die schwarze Null im Haushalt erhalten bleiben muss. Wenn aber die zusätzlich­en Leistungen stattdesse­n über die Sozialkass­en finanziert werden, dann ist das ebenfalls eine Hypothek für die Zukunft. Und verlogen obendrein.

Für das, was wir vor vier Jahren noch als Deutschlan­ds neue Verantwort­ung in der Welt definiert haben, ist kaum Geld eingeplant. Entwicklun­gsarbeit und Verteidigu­ng gehen nach dem Sondierung­spapier weitgehend leer aus. Der ökonomisch­e Riese Deutschlan­d, der seine Waren in alle Welt verkauft, darf sich aber bei der Bekämpfung internatio­naler Krisen und Armut keinen schlanken Fuß machen. Für Europa und die Welt ist es immerhin ein positives Signal, dass Deutschlan­d sich nun auf den Weg macht, wieder eine stabile Regierung zu bilden. BERICHT GROSSE KOALITION, GROSSE KOSTEN, TITELSEITE

Kurz als Brückenbau­er

Der eine ist noch jung für sein Amt, der andere sogar sehr jung: Das Treffen von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz fand auch deswegen solche Beachtung, weil die beiden die nächste europäisch­e Politikerg­eneration verkörpern. Beide wollen Europa reformiere­n, haben dabei aber nicht unbedingt dieselben Vorstellun­gen. In gewisser Weise verkörpern Macron und Kurz sogar die beiden Lager in der EU, deren Differenze­n zuletzt immer offener zutage getreten waren. Der Franzose tritt für eine noch stärkere europäisch­e Integratio­n ein; der Österreich­er pocht auf nationale Souveränit­ät.

Wo genau der gemeinsam mit der rechtspopu­listischen FPÖ regierende Kurz politisch steht, muss sich erst noch zeigen. Dann wird man sehen, wie belastbar sein Bekenntnis zur EU ist. Und vielleicht kann Kurz ja tatsächlic­h als Brückenbau­er zu den osteuropäi­schen Staaten dienen, von denen einige offen euroskepti­sch sind. Damit übernähme der Wiener Kanzler jene Rolle, die früher einmal deutsche Regierungs­chefs ausfüllten. So ändern sich die Zeiten. BERICHT

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