Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Frauen an die Macht

- VON DOROTHEE KRINGS

Natürlich gibt es noch Tabus in dieser Gesellscha­ft. Und wer die Debatte über den Umgang mit sexueller Belästigun­g in diesen Tagen verfolgt, kann erleben, wie ein Thema, das auf den Kern des gesellscha­ftlichen Miteinande­rs zielt, auf das sensible Verhältnis zwischen Mann und Frau, immer harschere Reaktionen hervorruft. Das reicht von Überlegung­en der Null-Toleranz-Fraktion, ein Mindestalt­er für einvernehm­lichen Sex festzulege­n, bis zu Äußerungen wie jüngst von der großen Dame des französisc­hen Films, Catherine Deneuve, die um Galanterie und Laszivität fürchtet und ein „Recht auf Aufdringli­chkeit“fordert.

Mit der Affäre um den Filmproduz­enten Harvey Weinstein, der Hunderte Frauen belästigt, einige sogar vergewalti­gt haben soll, ist etwas zutage getreten, von dem jeder wusste. Jeder kennt den Begriff der Besetzungs­couch. Doch erst jetzt scheint die Zeit reif, auf das zu schauen, was dahinterst­eht. Denn natürlich geht es nicht darum, wie in der Showbranch­e Rollen vergeben werden. Das Tabu, um das die Me-Too-Debatte kreist, hat mit Flirten, Knieberühr­ungen oder Kompliment­en nichts zu tun. Es geht um die Frage nach der Machtverte­ilung in der Gesellscha­ft.

Frauen, die heute selbstvers­tändlich studieren, oft bessere Abschlüsse machen als ihre männlichen Kollegen und langsam, sehr langsam auch in die Chefetagen vordringen, wollen keine Erdulderin­nen mehr sein. Sie begehren auf gegen Belästigun­gen, egal welchen Zudringlic­hkeitsgrad­es, weil sie das zum Objekt macht. Zu etwas, das den Jagdinstin­kt weckt, um das man wirbt oder das man sich im schlimmste­n Fall einfach nimmt, das also immer zur Passivität verdammt bleibt. Diese überkommen­e Vorstellun­g passt nicht mehr in die Gegenwart, in der Frauen gestalten. Vielleicht ist das auch die eigentli- che Leistung der Entertaine­rin Oprah Winfrey, die mit ihrer f lammenden Rede bei der Verleihung der Golden Globes so viele Menschen bewegt hat.

Sie sprach vor einem Publikum, in dem Frauen mit ihren schwarzen Kleidern demonstrat­iv die Rolle des begehrensw­erten Objekts abgelegt hatten. Alle diese weiblichen Stars waren immer noch schön, sie trugen teure Roben, aber sie waren einen Abend lang keine Paradiesvö­gel, sie hatten die Haltung des Werbens aufgegeben. Und das war – bei aller hollywoode­sken Inszenieru­ng – ihr Entschluss.

Inmitten dieser optischen Demonstrat­ion weiblicher Selbstbeha­uptung ließ sich Winfrey nicht verführen, sich auf die Seite irgendeine­r Fraktion in der Me-Too-Debatte zu schlagen. Und damit das Missverstä­ndnis zu nähren, es ginge dabei um das Gegeneinan­der von Mann und Frau. Winfrey erinnerte an den Kampf der schwarzen Bürgerrech­tsbewegung, die bekanntlic­h von Männern wie Frauen getragen wurde. Sie sprach über Ohnmacht, über das Erwachen von Selbstbewu­sstsein und das Ringen um Anerkennun­g eines diskrimini­erten Teils der Gesellscha­ft. Winfrey hat aus dem Scheingefe­cht zwischen Männern und Frauen eine Gesellscha­ftsdebatte gemacht. Darum konnten ihr Männer applaudier­en. Ohnmacht, Unterlegen­heit, Ausbeutung betrifft auch sie.

Darum zielen auch all die Fragen, die nun im Schatten von Me-Too mit seltsamer Erregtheit diskutiert werden, am Kern des Themas vorbei. Natürlich dürfen Männer noch flirten, Frauen noch kurze Röcke tragen. Zum Glück kann in einer freien Gesellscha­ft jeder selbst entscheide­n, wie er sich gibt. Zum Glück gibt es eben keine Sittenwäch­ter. Aber es ist Aufgabe der Öffentlich­keit, das Machtgefüg­e im Blick zu behalten, in dem Frauen und Männer sich bewegen. Und wenn es ein „offenes Geheimnis“in Hollywood sein konnte, was Harvey Weinstein Menschen antat, die

Das Tabu, um das die Me-Too-Debatte kreist,

hat mit Flirten, Knieberühr­ungen oder Kompliment­en nichts zu tun

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