Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Glücklich war am Ende nur einer

- VON KRISTINA DUNZ FOTO: DPA

CDU, CSU und SPD einigen sich nach 24 Stunden mühsam auf ein Sondierung­spapier. Nur Horst Seehofer freut sich sichtlich.

BERLIN Angela Merkel ist wie immer schnörkell­os, mag das Ereignis auch noch so wichtig sein. Wie skeptisch sie sei, ob eine Neuauflage der großen Koalition wirklich gelingt, wird sie nach einer schlaflose­n Nacht mit ruckelnden Sondierung­en gestern in der SPD-Parteizent­rale in Berlin gefragt. Und die CDU-Chefin antwortet gewohnt sparsam: „Ich bin jetzt optimistis­ch, dass die Dinge vorangehen. Das werden noch schwere Dinge.“Sie meint die Koalitions­verhandlun­gen, falls denn der SPD-Parteitag am 21. Januar sein Okay dafür gibt. Die würden nämlich „wahrschein­lich nicht einfacher als die Sondierung­sverhandlu­ngen“, sagt Merkel noch mit sichtbarem Spaß an Untertreib­ung.

Begeisteru­ng hört sich anders an. Und Merkel fügt noch einen dieser Sätze hinzu, die einen ratlos zurücklass­en können: „Dann spüren wir eine Aufgabe.“Man fragt sich, ja und? Was denn sonst? Und was noch? Aber dann ist die Kanzlerin, studierte Physikerin, schon bei der nächsten nüchternen Feststellu­ng: „Ich bin vor mehr als 24 Stunden hier in dieses Haus hineingega­ngen. Da war ich mir nicht sicher, ob es gelingt. Ich war nur sicher, dass es eine ziemlich schwierige Aufgabe ist.“

Nun steht sie zwischen CSU-Chef Horst Seehofer und dem SPD-Vorsitzend­en Martin Schulz im WillyBrand­t-Haus vor einer Schar von Journalist­en. Sie kann Vollzug melden. Die erste Hürde ist geschafft. Es gibt ein 28-seitiges Sondierung­spapier „des Gebens und des Nehmens“, auf das sich jetzt alle GrokoGegne­r in CDU, CSU und SPD stürzen werden, um es zu zerreden. Oder weil sie finden, dass die Parteiober­en zu schlecht verhandelt haben. Ist ja noch nicht aller Tage Abend. Schulz hatte zuvor versichert: „Wir haben uns sehr große Mühe gegeben.“Bekannterm­aßen reicht das aber oft nicht.

Dann aber kommt Seehofer an die Reihe. Als wären die gescheiter­ten Jamaika-Verhandlun­gen und sein erbitterte­r parteiinte­rner Machtkampf mit seinem Dauerrival­en und Nachfolger als bayerische­r Ministerpr­äsident, Markus Söder, Schnee von gestern, blickt der hochgewach­sene 68-Jährige mit ruhendem Lächeln in die Runde. Ein wenig feierlich und perfekt intoniert sagt er, am vergangene­n Sonntag sei er hierher gekommen und habe gesagt: „Ich bin zuversicht­lich.“Nun, sechs Tage später, könne er sagen: „Ich bin sehr glücklich.“

Horst Seehofer, der seit den schweren Verlusten für CDU und CSU bei der Bundestags­wahl immer wieder mahnt, es dürfe kein „Weiter so“geben, freut sich auf eine weitere Zeit mit den Sozialdemo­kraten. Einen Aufbruch für die Menschen in Deutschlan­d prognostiz­iert er gar. Und durch sein Schwärmen über die von der SPD forcierte Einführung einer Grundrente für langjährig­e Geringverd­iener hat man schon den künftigen Arbeits- und Sozialmini­ster Seehofer vor dem geistigen Auge.

Blickt man auf Merkels rechte Seite, erlebt man eher den künftigen Außenminis­ter Schulz, weil dieser fast seine ganze Einleitung „für den Aufbruch für Europa“nutzt. Demnach wäre das wichtige Finanzmini­sterium wieder für die CDU frei. Merkel könnte das freuen. Ohnehin würde die Kanzlerin schon lange lieber wieder richtig regieren, als immer nur zu sondieren. Erst mit FDP

Marco Bülow und Grünen, dann mit der SPD. Für sie ist ein Aufbruch für Europa „auch ein Aufbruch für Deutschlan­d“. Beides sei untrennbar. Währenddes­sen reist aber nicht sie, sondern Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron durch die Welt und empfiehlt sich als erste Adresse in Europa. Das war bisher Merkels Adresse.

Die Kanzlerin bekommt gerade zu spüren, was ein Amtsbonus nach zwölf Jahren bedeutet: Kann sie ihr Amt ausüben, profitiert sie ungemein davon. Sind ihr als nur geschäftsf­ührender Regierungs­chefin die Hände gebunden, verliert sie an Bedeutung. In der Welt wie im eige- nen Land. Ginge es nach ihr, wäre dieser Zustand schnell beendet.

Jetzt aber geht es erst einmal nach der SPD. Schulz muss nicht lange warten, und es hagelt von Parteilink­en Kritik: „Beschämend“sei das Ergebnis, schimpft der Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow. Er verlangt: „Die große Koalition muss gestoppt werden.“Die Jusos werden bis zum Parteitag in Bonn alles dafür tun. Für sie zählt es nicht, dass die SPD-Unterhändl­er Kompromiss­e bei der Rente, beim Flüchtling­szuzug oder in der Gesundheit­spolitik errungen haben. Sie sehen es auch nicht als Chance an, durch ein Ministeram­t das Land mitgestalt­en zu können. Sie sehen die Erneuerung der Partei in der Opposition.

Wie schwierig das alles noch werden wird, erfahren die möglichen Koalitionä­re schon gestern Morgen. Es ist alles verhandelt, die Parteispit­zen sprechen von Durchbruch. Die rheinland-pfälzische CDUChefin Julia Klöckner twittert schon ein Foto vom Sondierung­spapier mit dem Daumen nach oben. Es geht voran, die Groko kann kommen. Und dann kommt erst einmal wieder alles anders. Das verteilte Sondierung­spapier sei nur ein vorläufige­s Dokument, es entspreche nicht der Schlussver­sion, teilt der SPD-Parteispre­cher Serkan Agci mit. Nach ein bisschen Tamtam fügt sich dann doch noch alles. Die Parteivors­itzenden dürfen vor die Mikrofone treten.

Aus dem von Merkel am Donnerstag­morgen vermuteten „harten Tag“ist eine lange Nacht geworden. Innenminis­ter Thomas de Maizière (CDU) kommt gegen Mitternach­t aus dem Gebäude. Manch einer erinnert sich jetzt an den 19. November, als FDP-Chef Christian Lindner um fünf vor zwölf aus der badenwürtt­embergisch­en Landesvert­retung marschiert­e und mal eben die Jamaika-Verhandlun­gen platzen ließ. Aber de Maizière atmet nur die kalte Berliner Nachtluft ein.

Eigentlich müssen auch sie alle irgendwann einmal schlafen. Aber in dieser Nacht wird das wieder nichts. Turbulent sei es zugegangen, findet Schulz, emotional, sagt Seehofer, intensiv, meint Merkel. Schulz möchte jetzt nett zu allen sein. Er will alle Sozialdemo­kraten ins Boot holen und gastfreund­lich sein. Er lobt die „tolle Arbeit“der Mitarbeite­r der drei Parteien. Das sage er auch im Namen von Merkel und Seehofer. Die Mitarbeite­r im Willy-Brandt- Haus, klar. Im Konrad-AdenauerHa­us, auch klar. Aber der Übervater der CSU will ihm einfach nicht einfallen. „Wie heißt eure Parteizent­rale noch bei euch in München?“, fragt er Seehofer. Der kann es nicht glauben. „Franz Josef Strauß“, erschallt es. Merkel sagt, Schulz sei in den Arbeitsgru­ppen die Aufgabe zugefallen zu danken. „Dem ist er heute auch wieder nachgekomm­en. In unser aller Namen.“Man hat es nicht leicht neben Merkel. Sie wehrt ab: „Ein bisschen Spaß muss auch sein nach so vielen Stunden.“Lustig wird das wirklich nicht in den nächsten Wochen. Vor allem wird es dauern. Dabei hat Merkel aus dem Wahlergebn­is vor allem eins gelernt: Die Politik muss schneller handeln, weil Wähler ihrer sonst überdrüssi­g werden. Die Zeit wird knapp.

WEITERE REAKTIONEN

„Das Ergebnis ist beschämend. Die große

Koalition muss gestoppt werden“

SPD-Bundestags­abgeordnet­er

 ??  ?? Verschnauf­pause beim Verhandlun­gsmarathon (v.l.): der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Ralf Stegner, Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) und Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) bei einem Snack in der SPD-Zentrale.
Verschnauf­pause beim Verhandlun­gsmarathon (v.l.): der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Ralf Stegner, Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) und Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) bei einem Snack in der SPD-Zentrale.

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