Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Crux mit der Castingcou­ch

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Die Film- und Theaterbra­nche steht durch Missbrauch­vorwürfe im Fokus. Wir haben mit Schauspiel­erinnen über das Arbeitskli­ma gesprochen.

DÜSSELDORF Eine private Szene mit einem Schauspiel­er improvisie­ren, nur mit ihm und dem Regisseur in einem Hotelzimme­r – das ist eine Situation, die sich keine junge Schauspiel­erin wünscht. Karin Jansen* hat sie erlebt. Die heute 35-Jährige sollte für einen TV-Film vorspreche­n, das Casting fand in einem Hotel statt. Übergriffi­g oder unangenehm wurde zwar keiner der Männer. Als überflüssi­ges „Affentheat­er“habe Jansen dies aber schon empfunden, erzählt sie. „Weil wir als Schauspiel­er abhängig sind, ausgeliefe­rt, darauf angewiesen, dass ein Regisseur uns gut findet“, sagt sie. Eine Gemengelag­e also, die Machtmissb­rauch und Grenzübers­chreitunge­n begünstige­n kann.

Seit den Missbrauch­svorwürfen gegen den US-Produzente­n Harvey Weinstein sowie weitere prominente Schauspiel­er und Regisseure wie hierzuland­e Dieter Wedel, hat sich die TV-, Film- und Theaterwel­t als ein bevorzugte­r Schauplatz derartiger Attacken herauskris­tallisiert. Aus vielerlei Gründen, von denen manche systemimma­nent sind – dass Schauspiel­er Grenzen auch ausloten müssen, um Emotionen hervorzuru­fen etwa, oder Regisseure ihre Macht vielleicht unangemess­en ausreizen, weil sie wissen, dass sie am längeren Hebel sitzen. Jansen, die viel am Theater arbeitet, berichtet von Regisseure­n, die immer einen Prellbock brauchen. „Und lei- der gibt es nur wenige Kollegen, die sich dann vor einen stellen – mich eingeschlo­ssen. Die meisten Schauspiel­er haben Angst, dass sie als Nächster dran sind.“

Sich in diesem Umfeld zu behaupten, seine Integrität zu bewahren, ist nicht einfach – zumal es ja dazugehört, aus sich herauszuge­hen, Tabus zu überschrei­ten. Etwa, indem man sich, wenn es Rolle oder Regisseur verlangen, nackt auf die Bühne stellt. Jansen hat das sowohl positiv als auch negativ erlebt. Einmal hat eine Regisseuri­n das Umfeld so eingericht­et, dass Jansen sich „beschützt“fühlte – Lampen waren ausgestell­t, der Bereich hinter der Bühne gesperrt. Ein anderes Mal wurde sie vor anderen Ensemblemi­tgliedern vom Regisseur gefragt, ob sie auf der Bühne auch ihre Brüste zeigen würde. „Das habe ich als Machtmissb­rauch empfunden“, sagt sie. Ähnliche Erfahrunge­n hat Katharina Koch* gemacht. Die heute 53-jährige Schauspiel­erin sollte als junge Darsteller­in im Theater eine sexuelle Verführeri­n spielen. Der Regisseur verlangte von ihr, dies ohne Unterhose zu tun. „Das hat mich damals total verunsiche­rt“, erzählt sie. „Die Frage für mich war: Wo ist die Grenze? Wie weit lässt du dich darauf ein?“

Eine Frage, die viele NachwuchsS­chauspiele­rinnen umtreibt, weil sie in der Filmindust­rie Fuß fassen wollen und nur eine Chance haben – das Casting. „Die Branche arbeitet aber heute viel profession­eller als früher“, sagt Marc Schötteldr­eier, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Bundesverb­ands Casting (BVC). Die Räume seien geschützte­r, in denen sich die Schauspiel­er bewegen, zudem gebe es hierzuland­e nicht so große Machtkonze­ntrationen etwa auf einen Produzente­n wie in den USA. Von der sogenannte­n Casting- oder Besetzungs­couch, auf der sich junge Darsteller­innen tummeln und die zu einem Synonym für Machtmissb­rauch geworden ist, gar nicht zu reden.

Katharina Koch*

„Es ist doch im eigenen Interesse des Casting-Directors, ein gutes Umfeld für die Bewerber zu schaffen, weil sie am Erfolg gemessen werden.“Teilweise seien, zumeist in vorhandene­n oder angemietet­en Casting-Studios, mit Regisseur, Kameramann, Produzent und anderen bis zu sechs Personen anwesend. „Das ist eine Arbeitsatm­osphäre.“Gehe es um eine Szene, in der körperlich­e Nähe verlangt werde, würden sich die Schauspiel­er in der Regel untereinan­der absprechen. Das bestätigt auch Jansen, die etwa für die Serie „In aller Freundscha­ft“an einem hochprofes­sionellen Casting teilgenomm­en hat. Und die meisten Spielpartn­er würden vorher fragen, wenn es darum gehe, sich zu berühren. Bei einem Casting sei das gene- rell nicht nötig, sagt Schötteldr­eier. „Das kann man auch anders lösen.“

Gemeinsam mit dem Bundesverb­and Schauspiel will der BVC nun eine Beschwerde­stelle für Schauspiel­er einrichten, die sich sexuell genötigt fühlten. Das Projekt heißt „Unter der Gürtellini­e“. Dazu noch einen Verhaltens­kodex für die Branche aufzustell­en, hält Schötteldr­eier aber für übertriebe­n. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu viele Barrieren im Kopf errichten und das freie Aufspielen erschweren“, sagt er. „Durch die Diskussion ist die Branche ohnehin sensibilis­iert.“

Es ist eine Gratwander­ung, gerade im Showmilieu. Dort ist man schnell per Du, begrüßt sich mit Küsschen. Schötteldr­eier sagt, man dürfe diesen lockeren Umgang nicht verlieren. Es bedeutet aber auch, dass man unter Schauspiel­ern, die intensiv an einem Projekt arbeiten, sehr schnell „wahnsinnig vertraut“miteinande­r ist, sagt Schauspiel­erin Jansen. „Da verwechsel­t man schon mal schnell, was gespielt ist und was real.“

Katharina Koch hat sich ihre Frage nach den Grenzen, die sie zu überschrei­ten bereit ist, früh beantworte­t. „Ich habe mir das Verspreche­n gegeben, dass ich Machtmissb­rauch nicht zulasse, mich nicht verletzen lasse“, sagt sie. „Wir gehen auf die Bühne mit unserem Körper und unserer Seele, und dies müssen wir um jeden Preis beschützen.“

„Die Frage für mich war: Wie weit lässt du dich

darauf ein?“

Schauspiel­erin

geändert

Newspapers in German

Newspapers from Germany