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Das Bauhaus und seine genialen Eigenbrötl­er

- VON BERTRAM MÜLLER

2019 wird die Schule der Kunst, des Designs und der Architektu­r 100 Jahre alt – der Jubiläumsr­eigen hat aber längst begonnen.

DESSAU Man soll die Feste feiern, wie sie fallen. Was der Volksmund rät, gilt kaum noch für große Kulturerei­gnisse. Nachdem dem Reformatio­nsjubiläum eine Lutherdeka­de vorgeschal­tet war, hat auch die Erinnerung an die Gründung des „Bauhaus“vor 100 Jahren schon lange vor dem Stichtag 12. April 2019 begonnen.

Ausstellun­gen in Bonn, Berlin, Dessau und Weimar wurden zwei Jahre zuvor eröffnet, das Pariser Kunstgewer­bemuseum feierte das Bauhaus bereits 2016. Und mitten in Dessau entsteht zurzeit für 25 Millionen Euro das neue Bauhaus-Museum, während am 23 Millionen teuren Bauhaus-Museum Weimar kürzlich Richtfest gefeiert wurde.

Warum ist das Bauhaus bis heute so bedeutend? Die Antwort kann nur lauten: Man blicke sich einmal um! Das 1979 vom Schweden Gillis Lundgren entworfene, mehr als 41 Millionen Mal verkaufte Billy-Regal von Ikea geht auffällig auf Marcel Breuers Bauhaus-Regal von 1926 zurück, wie sich auch sonst Designer der Nachkriegs­zeit gern an Vorbildern aus Weimar und Dessau orientiert­en.

Auf vielen Baustellen der Republik wachsen heute viele neue Wohnblöcke empor: quaderförm­ig, schlicht, mit Flachdach und sichtlich kostengüns­tig erstellt, gelegentli­ch allerdings auch mit ein wenig Schnicksch­nack, ganz wie in der Möbelbranc­he unserer Tage. Da hätte Bauhaus-Gründer Walter Gro- pius womöglich Einspruch erhoben.

Doch so streng, wie mancher es sich vorstellen mag, ist es im Bauhaus nicht zugegangen. Nirgends lässt sich das nachdrückl­icher erleben als in Dessau, jenem Standort, den das Bauhaus bezog, nachdem es in Weimar auf politische­n Druck hatte schließen müssen. Schon damals tat sich zwischen Lehre und Praxis oft eine Kluft auf.

Lehre – das war der Gedanke, die Kunst von der Industrial­isierung zu befreien und das Kunsthandw­erk wiederzube­leben. Außerdem sollte sich die Architektu­r mit den anderen Künsten verbünden, auf Ornamente verzichten, eine neue Formenspra­che entwickeln und solchermaß­en auch auf die Entstehung einer neuen Gesellscha­ft hinwirken. Hohe Ansprüche, die weit hinausgehe­n über das, was man heute verkürzend unter Bauhaussti­l versteht: Funktional­ismus, Schlichthe­it, Transparen­z.

Wer die Praxis kennenlern­en will, sollte sich im Bauhaus Dessau, diesem 1945 nach einem Luftangrif­f teilweise ausgebrann­ten, inzwischen vereinfach­t wieder aufgebaute­n Ensemble, das gleichfall­s rekonstrui­erte Büro von Walter Gropius anschauen. Zwar nehmen alle Möbel die kubische Form und den rechten Winkel des Raums auf, doch das schwarze Telefon-Ungetüm wirkt in diesem Umfeld wie ein respekthei­schendes Relikt der Vergangenh­eit. Und der vom Architekte­n selbst entworfene gelbe Sessel bildet kaum minder eine optische Blo- ckade im Raum als ein Ohrensesse­l des 19. Jahrhunder­ts.

Gropius hat auch in seinem Privathaus, einem der wenige 100 Meter entfernten „Meisterhäu­ser“, eine Ausnahme für sich beanspruch­t. Entgegen der architekto­nischen Forderung nach Transparen­z ließ er als Einziger der BauhausKün­stler um sein Haus eine Mauer errichten. Und in seiner Forderung an die anderen Meister, sie dürften sich keine Bilder an die Wände hängen, kollidiert­e er mit der Tatsache, dass Bauhaus nicht nur Architektu­r, sondern auch Malerei bedeutete.

Und was für eine! Kandinsky jedenfalls setzte sich über das Verbot großzügig hinweg und hing nicht nur Bilder in sein Haus, sondern bemalte zudem die Türrahmen seines Ateliers in Gold, der Farbe russischer Ikonen.

Kandinsky, der ebenso wie Paul Klee, Lyonel Feininger und Oskar Schlemmer neben Gropius wohnte, schottete sich ebenso ab wie dieser, denn vom Andrang der Touristen vor dem Haus fühlte er sich am Malen gehindert. Schlemmer wiederum befürchtet­e, dass vor seinem Meisterhau­s eines Tages Dessaus Obdachlose protestier­en und fragen könnten: Wo bleibt die Utopie der Bauhäusler von der gesellscha­ftlichen Gleichheit aller Menschen?

Auch im eindrucksv­oll schlichten Bauhaus-Gebäude selbst, diesem zentralen Ort der Lehre mit seiner charakteri­stischen Glasfassad­e und dem markanten senkrechte­n Schriftzug „Bauhaus“an einer Außenwand, funktionie­rt nicht alles so, wie es sich das Büro Gropius vorgestell­t hatte. Eigentlich, so erfährt man bei einer Führung, sollten bei Dunkelheit die oberen Geschosse von innen leuchten und damit scheinbar schweben, während der Sockel unbeleucht­et bleibt und die Illusion nährt. Spaziert man heute jedoch nach Sonnenunte­rgang am Gebäude vorüber, so ist in den Arbeitsräu­men oben längst das Licht erloschen, während im Keller Studenten bis tief in den Abend gut beleuchtet die Kantine bevölkern - verkehrte Bauhaus-Welt.

Unter dem Strich belegen derlei scheinbare Unzulängli­chkeiten und Widersprüc­he doch eher die schöpferis­che Vielgestal­tigkeit des Bauhauses. Es war eine Zeit des Aufbruchs, die nicht nur eine Fülle von modernen Klassikern des Designs und der Kunst hinterlass­en hat wie die Lampen von Wilhelm Wagenfeld und die wunderbare­n Kompositio­nen Kandinskys, sondern gleichzeit­ig ein hohes Maß an Ideen. Das Bauhaus wollte die Welt neu ordnen, indem es ihr eine neue Gestalt verlieh. Alles sollte zu allem passen, wie es schon das Ziel der mittelalte­rlichen Dombauhütt­en war, auf die sich das Bauhaus bereits in seiner Namensgebu­ng beruft.

Weltweit wurde es eine Erfolgsges­chichte, auch durch das New Bauhaus, das der ehemalige BauhausLeh­rer Laszlo Moholy-Nagy 1937 als Exilant in Chicago eröffnete, durch Josef Albers und Ludwig Mies van der Rohe, die gleichfall­s in die USA ausgewande­rt waren, und durch die Weiße Stadt, die vor den National- sozialiste­n geflohene jüdische Bauhaus-Architekte­n von den 1930er Jahren an in Tel Aviv errichtete­n.

In Dessau setzten derweil die Nationalso­zialisten dem eleganten, internatio­nal wirkenden BauhausGeb­äude ein wuchtiges deutsches Mietshaus entgegen. Es steht dort in seiner Belanglosi­gkeit noch heute.

Die Attraktion Dessaus sind die zahlreiche­n Bauhaus-Bauten, die sich zu einem großen Teil ebenfalls erhalten haben: die Ausflugsga­ststätte Kornhaus mit ihrer geschwunge­nen Glas-Architektu­r unmittelba­r an der Elbe, die vielbesuch­ten, mit Feingefühl restaurier­ten Meisterhäu­ser, die Bauhaussie­dlung Törten mit ihren Laubengang­häusern und im Mittelpunk­t das Bauhaus-Gebäude selbst, seit 1996 Weltkultur­erbe der Unesco und Wahrzeiche­n der Stadt.

 ?? FOTO: DPA ?? Eindrucksv­oll und zugleich schlicht ist das Bauhaus-Gebäude in Dessau. Charakteri­stisch für den Ort der Lehre ist die große Glasfassad­e und der markante senkrechte Schriftzug „Bauhaus“.
FOTO: DPA Eindrucksv­oll und zugleich schlicht ist das Bauhaus-Gebäude in Dessau. Charakteri­stisch für den Ort der Lehre ist die große Glasfassad­e und der markante senkrechte Schriftzug „Bauhaus“.

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