Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Revolution strandet in Wien

- VON HENNING RASCHE

Im österreich­ischen „Tatort“geht es um das große Ganze – und noch etwas mehr. „Die Faust“ist trotzdem nicht schlecht.

WIEN Nun, dieser „Tatort“beginnt in einer Welt, in der sich der Arbeitnehm­er von heute auskennt. Vorne, auf einer mäßig ausgeleuch­teten Bühne, sitzen die Vorgesetzt­en, und erklären die dringend notwendige Reform, die man jetzt gemeinsam umsetzen müsse. „Kripo 2020“heißt das bei der Wiener Polizei, was im Jahr 2018 auch nicht mehr ganz so zukunftswe­isend klingt. Die Mitarbeite­r indes, allen voran die Kommissare Bibi Fellner (Adele Neuhaus) und Moritz Eisner (Harald Krassnitze­r), langweilen sich ob des Vortrages der Chefetage. Und so ist es durchaus hübsch anzuschaue­n, wie sich Fellner und Eisner in ein „Bullshit-Bingo“begeben. Abgedrosch­ene Wörter und Phrasen, die Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar) aufsagt, streicht Eisner von seinem Papier. Von Zukunftsfä­higkeit ist da die Rede, und natürlich vom „Kräfte bündeln“. Man kennt das.

Dieser „Tatort“beginnt also an einer etwas sinnwidrig­en Stelle. Denn anschließe­nd verlieren sich die Kommissare in leicht obskuren Ermittlung­en, in denen Revolution­en, Judas und die CIA gleichsam eine Rolle spielen. Nacheinand­er sterben drei Menschen, deren Leichen jeweils symbolisch in Szene gesetzt werden. Erst ein Mann, der an ein Kreuz genagelt wird; ein weiterer Mann, an dessen Füßen 30 Silberling­e liegen (für den Betrag hat Judas Jesus verraten) – und schließlic­h eine Frau, die wie eine Galionsfig­ur an einem Schiff befestigt ist. Alle drei haben gefälschte Pässe und kommen ursprüngli­ch, grob gesagt, aus dem Osten Europas. Eine weitere Verbindung erschließt sich dem Zuschauer zunächst nicht.

Der Täter wiederum ist gut zu sehen, er trägt einen Schutzanzu­g wie die Leute von der Spurensich­erung und eine Taucherbri­lle, die ihn als eine Art Killerbien­e erscheinen lässt. Er begeht alle drei Morde, das ist klar, nur wer unter diesem Schutzanzu­g steckt, kommt erst ganz am Ende heraus.

Dieser Film ist anspruchsv­oll, und vielleicht sind die Ansprüche für einen 90-minütigen „Tatort“sogar zu groß geworden. Drehbuchau­tor Mischa Zickler und Regisseur Christophe­r Schier wollen das große Rad drehen. Sie erzählen von den Revolution­en in der Ukraine, in Georgien, in Serbien. Sie erklären, dass die CIA die Proteste zu Beginn der 2000er Jahre unterstütz­t haben muss. Und sie zeichnen das Bild trauriger Gestalten, denen die Revolution­en missglücke­n – und die schließlic­h in Wien gestrandet sind.

Das alles ist etwas viel. Die große Aufklärung, also der Zeitpunkt, wo der Zuschauer zu verstehen beginnt, setzt spät ein. Doch das führt nicht zu Spannung, sondern die vielen Problemstr­änge zerfasern zwischendu­rch etwas. Man wünschte dem Drehbuch etwas mehr Schärfe, so dass der Zuschauer schneller versteht, worauf er achten muss. „Tatort“-Fans indes erahnen die Identität des Mörders schon dann, wenn sie ihn erstmals ohne Maske sehen.

Gewohnt stark sind Fellner und Eisner, die sich in ihren 17 Fällen zum Publikumsl­iebling hochgearbe­itet haben. Der Wiener Schmäh, Zitate fürs Poesiealbu­m, und eine kluge Spur Humor tun den Episoden aus Österreich überaus gut.

Die Reform „Kripo 2020“sieht übrigens vor, dass neben der bestehende­n Mordkommis­sion von Moritz Eisner eine weitere gegründet werden soll. „Die Faust“erzählt daher auch die Suche nach einem Vorgesetzt­en für die „MK2“. Auch hier ist der Film hübsch gesellscha­ftskritisc­h. Fellner kommentier­t das Verfahren an einer Stelle so: „Er erfüllt alle Kriterien für eine Polizeilau­fbahn: keine Ahnung, keine Skrupel, keine Titten.“

 ?? FOTO: ARD ?? Die erste Leiche hat der Mörder symbolisch an ein orthodoxes Kreuz genagelt. Was will er den „Tatort“-Kommissare­n Bibi Fellner (Adele Neuhaus) und Moritz Eisner (Harald Krassnitze­r) damit sagen?
FOTO: ARD Die erste Leiche hat der Mörder symbolisch an ein orthodoxes Kreuz genagelt. Was will er den „Tatort“-Kommissare­n Bibi Fellner (Adele Neuhaus) und Moritz Eisner (Harald Krassnitze­r) damit sagen?

Newspapers in German

Newspapers from Germany