Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wird die Bremse bald überflüssi­g?

- VON STEFAN WEISSENBOR­N

Bis auf mittelschw­ere und starke Bremsmanöv­er lassen sich viele E-Autos wie Autoscoote­r allein mit Gaspedal fahren. Hersteller verspreche­n Komfort und Effizienz – wo stecken die Risiken?

Ein Auto ohne Bremse? Undenkbar. Und doch verspricht Nissan für den neuen Leaf, der Anfang 2018 zu den Händlern kommt, der Fahrer könne in „bis zu 90 Prozent der Fahrsituat­ionen“auf das Bremspedal verzichten. Dies ermögliche das sogenannte EPedal, mit dem beschleuni­gt, gebremst und angehalten werden kann und das der japanische Hersteller als weltweite Neuheit anpreist.

Der Leaf, seit 2010 auf dem Markt, ist mit bislang rund 280.000 abgesetzte­n Einheiten das meistverka­ufte Elektroaut­o überhaupt. Wie in der Regel jedes Batterieau­to, kann es Bewegungse­nergie in elektrisch­en Strom umwandeln. „Ein Elektromot­or wird mit Strom angetriebe­n, wenn ich aber Energie zuführe, kehrt sich der Stromfluss um, und er wird zum Generator“, erläutert Reinhard Kolke, Leiter des ADAC Technikzen­trums in Landsberg am Lech.

Sobald das E-Auto verzögert, also in den sogenannte­n Schiebebet­rieb geht, generiert die EMaschine elektrisch­en Strom, der in die Antriebsba­tterie gespeist wird. Rekuperati­on ist der Begriff, der sich für diesen Vorgang mittlerwei­le eingebürge­rt hat, manche Hersteller sprechen allerdings auch von Regenerati­on. Fahrer von EMobilen verspüren den Effekt als eine gegenüber Autos mit Verbrennun­gsmotor gewöhnungs­bedürftige Verzögerun­gswirkung. Die kann so stark sein, dass der Fahrzeugau­fbau Nickbewegu­ngen macht, erläutert Bernhard Voß vom südkoreani­schen Hersteller Hyundai, der mit dem Ioniq sein neuestes E-Auto im Programm hat. Da dies für den Fahrer weniger störend sei, für Mitfahrend­e aber umso mehr, gebe es mehrere Rekuperati­onsstufen.

Auch andere Hersteller verfolgen mittlerwei­le das Konzept der mehrstufig­en Nutzung der Bewegungse­nergie, die sich ansonsten als Hitze an den Bremsschei­ben so oft buchstäbli­ch in Luft auflöst: Beim Opel Ampera-e, beim BMW i3 und beim Smart electric drive wie auch bei Mercedes-Modellen passt sich die Rekuperati­on in ihrer Intensität automatisc­h ans Fahrgesche­hen an, das ein Radarsenso­r scannt.

Beim E-Golf von VW kann der Fahrer über den Getriebewä­hlhebel zusätzlich einen „Segel“-Modus aktivieren. „Dann wird nicht rekuperier­t. Nur noch der Luftwiders­tand oder der Rollwiders­tand der Reifen verzögern das Auto. Der E-Motor läuft im Leerlauf mit“, erklärt Kolke.

Doch typisch für Elektroaut­os ist, dass im Grunde das Gegenteil passiert: Wer vom Antriebspe­dal geht, erzielt nicht nur einen Bremseffek­t, der nebenbei die Effizienz und Reichweite steigert. Im Ex- tremfall kann er das Auto auch ganz zum Stillstand bringen. Etwa beim BMW i3 können Autofahrer auf diese Weise in vielen Verkehrssi­tuation auf das Bremspedal verzichten. Auch wenn er nicht das Bremspedal ersetzt, so soll der typische Bremseffek­t auch im Hyundai Ioniq merklich von der Pedalarbei­t entlasten.

Nissan geht beim Leaf sogar noch ein Stück weiter und spricht vom Ein-Pedal-System: Selbst an steilen Steigungen und Gefällen könne der Stromer damit vollständi­g zum Stehen gebracht werden. Das E-Pedal mache „das Fahren im Stadtverke­hr leichter, fließender und damit weniger anstrengen­d“, sagt Hiroki Isobe, Chefingeni­eur bei Nissan. „Es fördert dadurch ein vorausscha­uendes Verhalten im Straßenver­kehr.“

Nach Einschätzu­ng des ADAC sind Fahrer von Elektroaut­os im Ringen um jeden Kilometer Reichweite ohnehin meistens vorausscha­uend unterwegs und streicheln das Antriebspe­dal oft mehr als es durchzudrü­cken. Er stellt statt der psychologi­schen die technisch bedingte zusätzlich­e Stromgewin­nung als Vorteil in den Vordergrun­d: Kolke sagt, da automatisc­h in mehr Situatione­n rekuperier­t werde, sei das EPedal „ein Baustein, den Leaf effiziente­r als vorher zu machen“.

Doch wenn der Fahrer das Bremspedal – bis auf Notbremsun­gen – buchstäbli­ch links liegen lassen kann, verändert das die Art, wie künftig Auto gefahren wird, womöglich fundamenta­l. Eine zunehmende Entwöhnung vom Bremspedal könnte die Reaktionsz­eiten im Ernstfall verlängern. Auch der ADAC sieht das mögliche Risiko erodierend­er Routine bei starken Bremsungen, die das E-Pedal nicht alleine erzielen kann. Notbremsas­sistenten, in vielen E-Autos ohnehin Standard, erscheinen so gesehen unverzicht­bar.

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FOTO: OPEL Bei Fahrzeugen wie dem Opel Ampera-e passt sich die Rekuperati­on in ihrer Intensität automatisc­h ans Fahrgesche­hen an.
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FOTO: DAIMLER E-Autos wie der Smart Electric Drive können beim Gaswegnehm­en und Bremsen Energie gewinnen.
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