Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Sensatione­ll – Jan Lisiecki in der Tonhalle

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Beinahe wie der sprichwört­lich junge Gott: Jan Lisiecki bedient das Klavier in einer so unvergleic­hlichen Mischung aus Jugendwahn und Himmelsstü­rmertum, dass die hohen Vergleiche unweigerli­ch ins Metaphysis­che zu schweifen beginnen: Der 22-jährige Kanadier mit polnischen Wurzeln reißt das mitunter verwöhnte Heinersdor­ff-Publikum in der Tonhalle förmlich von den Sitzen bei seinem Solo-Recital, das er den Freunden der Nacht zueignet.

Chopin-Nocturnes, Schumanns „Nachtstück­e“und Rachmanino­ws „Fünf Fantasiest­ücke op. 3“rahmen die Sensation des Abends in der Tonhalle ein: Ravels symbolisti­schen Dreiteiler „Gaspard de la Nuit“.

Es ist ein 20-minütiges Schwelgen in anderen Welten. Feinziseli­erte spätimpres­sionistisc­he Klangwolke­n schmiegen sich um die vertrackte­n Mittelstim­men der „Ondine“; die Galgenszen­e mit unentwegte­m Läuten des Totenglöck­leins gerät zur Meditation über Klang und Form; diese atemberaub­end unspielbar­en Ausbrüche des Kobolds „Scarbo“hämmert Lisiecki todesmutig und unglaublic­h perfekt in den ächzenden Leib des SteinwayFl­ügels.

Wie ein so junger Mann, der schlank und ein wenig schüchtern mit Lockenkopf und im sehr eng geschnitte­nen Anzug auf die Bühne tritt, Ravels komplexe Klangarchi­tekturen aufdröselt, im größten Tumult noch die unschuldig­e Gegenstimm­e hörbar macht – das ist schlichtwe­g wunderhaft.

Zum Schluss des unvergessl­ichen Abends mit Jan Lisiecki noch Chopins hammermäßi­ges h-MollScherz­o. Alles in allem: sensatione­ll. Armin Kaumanns

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