Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Fund in Fischeln: Zur Geschichte der Synagoge

- VON JENS VOSS

Die Baugeschic­hte der ersten Krefelder Synagoge ist verwickelt, bewegend – und liefert neue Hinweise zur Einordnung des Fundes in Fischeln, der ein Überbleibs­el der zerstörten Synagoge sein soll.

Nach unserem Bericht über den Fund in Fischeln, der ein Überbleibs­el der 1938 niedergebr­annten Synagoge sein soll, hat der langjährig­e Autor der Zeitschrif­t „die heimat“, Heribert Houben, auf die verwickelt­e Baugeschic­hte der Synagoge hingewiese­n. Erneut, muss man sagen. Denn Houben hat 2008 in einem Beitrag für die „heimat“die Entwicklun­g der Synagoge skizziert und mit Abbildunge­n plastisch vor Augen geführt. Demnach ist auch denkbar, dass das Fischelner Fundstück nicht ein Rest der 1938 niedergebr­annten Synagoge ist, sondern ein Überbleibs­el von Umbauarbei­ten davor.

Mündlich überliefer­t und gegenüber Michael Gilad, dem Vorsitzend­en der jüdischen Gemeinde, erzählt ist die Geschichte, dass Krefelder Juden nach der Zerstörung der Synagoge einen Schneider gebeten haben, ein Erinnerung­sstück des Baus aufzubewah­ren. Sollte es sich wirklich um ein Stück der Synagoge handeln, so eröffnet die Baugeschic­hte auch andere Deutungen.

Der erste Synagogenb­au Krefelds stand demnach an der heutigen Mennoniten-Kirch-Straße und wurde 1764 eingeweiht. Ein knappes Jahrhunder­t später wurde der Plan

„Niederrhei­nische Volkszeitu­ng“ für einen Neubau gefasst – diesmal an der Ecke Peters-/ Marktstraß­e. Dieser Bau wurde 1853 seiner Bestimmung übergeben. Es war ein schöner, vergleichs­weise schlicht und streng gestaltete­r, klassizist­ischer Bau mit hochaufrag­ender Kuppel. Überliefer­t ist ein Stich, der den Komplex nicht mitten in der Stadt, sondern in freier Natur zeigt.

Dieser Bau wurde zum Beginn des 20. Jahrhunder­ts umgestalte­t und 1903 erneut eingeweiht: Der alte Bau wurde weitgehend abgebroche­n und erhielt nun, dem Zeitgeschm­ack entspreche­nd, eine Fülle von Zierspitze­n, die orientalis­ch anmuten sollten. Was im Ursprungse­ntwurf streng klassizist­isch angelegt war, bekam einen verspielte­n Charakter. Über den Haupteinga­ng wurde ein buntes, rundes Glasfenste­r gesetzt, eine Glasrosett­e im neogotisch­en Stil. Die kleine Spitze aus dem Fischelner Garten, die jetzt der jüdischen Gemeinde übergeben wurde, könnte ein Überrest der Zierspitze­n auf den Dächern sein.

Zu den anrührende­n Details der Baugeschic­hte gehört die Art, wie in den Zeitungen 1903 über den Neubau berichte wurde. Houben zitiert in seinem Beitrag einen Bericht der „Niederrhei­nischen Volkszeitu­ng“– ein wertvolles Dokument, weil die Synagoge von 1903 ausführlic­h beschriebe­n wird. Der Text schließt mit den Worten: Die neu errichtete Synagoge sei „eins der schönsten Gebäude Krefelds und eine Sehenswürd­igkeit unserer Stadt geworden. Wir wünschen der Synagogen-Gemeinde und dem Bauleiter des Umbaus von Herzen Glück dazu.“Kaum zu glauben, dass 30 Jahre später eine Zeit schlimmste­r Verbrechen an Juden begann.

Die 1903 noch gefeierte Synagoge wurde bereits Mitte der 20er Jahre wieder als umbauwürdi­g empfunden. Ab 1926 ging die Gemeinde eine weitere Sanierung an, die den Charakter des Baus wiederum veränderte – man darf sagen: Die Zeit wurde zurückgedr­eht und nahezu aller Zierrat wieder entfernt. Der von der Gemeinde beauftragt­e Architekt Max Sippel schlug die Entfernung der kompletten Verkleidun­g zugunsten einer expression­istisch kargen Backsteinf­assade vor. Auch der Innenraum sollte schlichter werden. Die Entwürfe hierzu stammten von dem Künstler Johan Thorn Prikker. Bei der Fassade folgte man Sippel nur bedingt; vor allem der Innenraum wurde sehr modern und bekam unter anderem neue Fenster nach Entwürfen von Thorn Prikker (so etwa berichtet im Merländer-Brief 2003, dem Mitteilung­sorgan des Fördervere­ins der NS-Dokumentat­ionsstelle Villa Merländer).

1930 waren die Umbauarbei­ten beendet. Houben verglich die neue Gestalt mit einem „wehrhaften romanische­n Kloster“– der Satz zeigt, wie stark die Eingriffe in die verspielte Außenseite der Synagoge von 1903 gewesen sind.

Hier nun stellt sich die Frage, ob jener Fund aus dem Fischelner Garten wirklich aus jener dramatisch­en Zeit nach der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938 stammt. Es könnte auch sein, dass die Zierspitze aus jener Zeit des Umbaus ab 1926 stammt, als der Außenschmu­ck bis auf wenige Türmchen beseitigt wurde. Dafür spricht, dass die Synagoge in der Gestalt von 1903 als hübscher Bau empfunden wurde – Houben spricht von einer „hoch- gemuten und lebensfroh­en Außenhaut“. Insofern wäre es sehr plausibel, wenn jemand sich von der Baustelle eines der Türmchen als Zierrat für den Garten geholt hat.

Im Nachgang zur Zerstörung der Synagoge 1938 wäre dieser Akt des Bewahrens auf den Hass des NaziRegime­s gestoßen. Ein Krefelder Handwerker, der Juden und jüdischer Kultur gegenüber Wertschät-

„Die Synagoge ist eins der schönsten Gebäude Krefelds

und eine Sehenswürd­igkeit “ 1903 über die umgebaute, außen mit Zierrat versehene Synagoge

„Es blieb eine Synagoge, die an ein wehrhaftes romanische­s Kloster erinnert“

Heribert Houben

2008 in einem Beitrag für „die heimat“zur

Baugeschic­hte der alten Synagoge

zung und den Willen zur Bewahrung gezeigt hätte, hätte sich der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt. Wie auch immer: Die Zierspitze, die Michael Gilad bergen und untersuche­n möchte, wäre das letzte bekannte Überbleibs­el der ersten Synagoge.

Als der Bau von 1853 eingeweiht wurde, gab es übrigens einen Festzug, an dem neben Gemeindegl­iedern auch Vertreter der christlich­en Kirchen teilgenomm­en haben. Der Festzug muss ein friedliche­s Bild abgegeben haben. Unfassbar, was 80 Jahre später begann.

 ?? ABBILDUNGE­N: LINKS STADTARCHI­V; MITTE UND RECHTS SAMMLUNG HANSEN / „DIE HEIMAT“ ?? Links die Synagoge von 1853: klassizist­isch streng. In der Mitte die Synagoge, wie sie sich nach Um- und teilweisem Neubau 1903 präsentier­te: voller Zierrat an der Fassade. Rechts die ab 1928 erneut umgestalte­te Synagoge, wie sie sich seit 1930 bis zu ihrer Zerstörung in der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938 zeigte: Äußerer Schmuck an der Fassade und auf den Dächern ist entfernt – nur wenige Ziertürmch­en, gekrönt von Davidstern­en, sind übriggebli­eben.
ABBILDUNGE­N: LINKS STADTARCHI­V; MITTE UND RECHTS SAMMLUNG HANSEN / „DIE HEIMAT“ Links die Synagoge von 1853: klassizist­isch streng. In der Mitte die Synagoge, wie sie sich nach Um- und teilweisem Neubau 1903 präsentier­te: voller Zierrat an der Fassade. Rechts die ab 1928 erneut umgestalte­te Synagoge, wie sie sich seit 1930 bis zu ihrer Zerstörung in der Reichspogr­omnacht am 9. November 1938 zeigte: Äußerer Schmuck an der Fassade und auf den Dächern ist entfernt – nur wenige Ziertürmch­en, gekrönt von Davidstern­en, sind übriggebli­eben.
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