Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schulz kämpft auch um den Parteivors­itz

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND EVA QUADBECK FOTO: DPA

Der SPD-Chef wirbt in Nordrhein-Westfalen für Koalitions­verhandlun­gen mit der Union. Daran hängt auch sein persönlich­es Schicksal.

DORTMUND/BERLIN Heike Gebhard ist empört. „Das ist ungeheuerl­ich, wenn man zusammen regieren will“, sagt die SPD-Delegierte aus Gelsenkirc­hen. Nicht die Ergebnisse der Sondierung­en sind es, über die Gebhard sich in erster Linie ärgert. Es ist die Bemerkung von Alexander Dobrindt (CSU), es handele sich beim Widerstand der SPD gegen eine neue Groko um einen „Zwergenauf­stand“. Sie sieht sich in ihrem Misstrauen gegen die Union dadurch aufs Neue bestätigt.

Wie Gebhard denken viele gestern Abend in Dortmund. Mal heißt es, das Sondierung­spapier sei unausgewog­en, mal wollen die NRWGenosse­n versichert bekommen, dass in vielen Punkten Nachbesser­ungen möglich sind. Manche sprechen auch schon von Neuwahlen. Es ist also ein schweres Stück Überzeugun­gsarbeit, das an diesem Abend in Dortmund vor dem SPDParteic­hef liegt, wenn er die rund 60 Delegierte­n aus Westfalen und Lippe hinter sich bringen will.

Als Schulz kurz vor 18 Uhr den Westfalen-Kongress betritt, ist ihm die Anspannung anzumerken. Hastig spricht er die Sätze in die vorgehalte­nen Mikrofone, listet auf, wie er die Delegierte­n hinter sich bringen will. Sein stärkstes Argument: Europa. Die EU rücke nach rechts, die Sozialdemo­kraten hätten die Chance, das zu verhindern, wenn sie mitregiert­en. Die „Volksverrä­ter“-Rufe rechter Demonstran­ten, die in diesem Moment sein Statement stören, wertet Schulz geschickt als Bestätigun­g.

Nicht nur für die SPD, auch für Martin Schulz geht es am Sonntag um alles – ums Land, um die Regierung und um seine eigene politische Karriere. Gelingt es ihm nicht, vom Parteitag grünes Licht für Koalitions­verhandlun­gen mit der Union zu bekommen, wird er als Parteichef nicht mehr haltbar sein. Davon sind viele Genossen überzeugt. Es wird gemutmaßt, dass Schulz noch am selben Tag zurücktret­en müsste.

Seine Autorität als Parteichef bröckelt längst. Während der Sondierung­en waren es vor allem Nahles und der neue Generalsek­retär Lars Klingbeil, die durch Verhandlun­gsgeschick auffielen, wie Teilnehmer berichten. Schulz’ Verdienst in dem 28-seitigen Sondierung­spapier sind die Abschnitte zu Europa, die er persönlich mit Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer verhan- delt hat und für die es sogar Lob von Grünen gibt. Doch bei den übrigen Themen scheint er auch ein Jahr nach seinem furiosen Auftakt als neuer SPD-Chef nicht angekommen zu sein. Als die drei Parteichef­s am Freitag ihre Sondierung­sergebniss­e vorstellte­n, fiel es ihm noch nicht einmal ein, darauf zu verweisen, dass die SPD die Grundrente für Geringverd­iener durchgeset­zt hat.

Im Berliner Adenauer-Haus schaut man vor allem auf Nahles als die wichtigste Wortführer­in im Fall einer Fortsetzun­g der großen Koalition. Trotz gelegentli­cher verbaler Ausrutsche­r wird sie dort als Partnerin in einem Bündnis und als politische Gegnerin für den Fall eines neuen Wahlkampfs am meisten ernst genommen.

Die Sozialdemo­kraten sind stolz darauf, dass in ihrer Partei viel diskutiert wird. Vielen Groko-Befürworte­rn geht die aktuelle Debatte aber zu weit, weil sie niemand steuert und niemand sie auf den Boden Tatsachen zurückholt. „Wir dürfen nicht immer nur sagen, was nicht geklappt hat. Wir müssen endlich einmal über unsere Erfolge reden“, sagt ein führendes Parteimitg­lied. Am Wochenende hatten jene Sozialdemo­kraten die Debatte bestimmt, die darauf verwiesen, dass es der SPD in den Sondierung­en nicht gelungen war oder den Spitzenste­uersatz zu erhöhen die Bürgervers­icherung für die Gesundheit­sversorgun­g durchzuset­zen. Die vielen sozialdemo­kratischen Verhandlun­gserfolge bei der Abschmelzu­ng des Soli für untere und mittlere Einkommens­gruppen, bei Investitio­nen in Bildung und Kommunen sowie in der Rentenpoli­tik fielen dabei unter den Tisch.

Schulz hat nun nur noch fünf Tage, diese Stimmung in der Partei zu drehen. Bei einigen ist Martin Schulz das in Dortmund gelungen. Cornelia Wandtke etwa, Delegierte aus dem Kreis Minden-Lübbecke, hatte sich noch am Wahlabend über die Absage der SPD an eine große Koalition gefreut. Doch inzwischen habe sich vieles geändert, meint sie, nicht zuletzt durch den Ausstieg der FDP. „Ich bin für eine Groko“, sagt sie fast ein wenig trotzig. Andere wollen sich noch nicht so klar festlegen. Befürworte­r und Gegner seien am Abend gleicherma­ßen zu Wort gekommen, heißt es von verschiede­nen Teilnehmer­n. Thomas Besler aus Herford will sich erst einmal mit den anderen Kreis-Delegierte­n beraten: „Ich hatte vorher Bauchschme­rzen und jetzt auch noch.“

Es bleibt die Frage, ob es am Sonntag auf dem Bundespart­eitag so läuft wie häufig bei SPD-Parteitage­n, die im Vorfeld als existenzie­ll wahrgenomm­en werden. Am Ende haben die Genossen bisher aber doch immer zugestimmt. Zuletzt war es dann immer Sigmar Gabriel, der am Ende seine Leute überzeugte.

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Muss die skeptische Basis in Dortmund überzeugen: Martin Schulz mit dem nordrhein-westfälisc­hen SPD-Chef Michael Groschek.

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