Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Ich mache mir Sorgen wegen Amazon“

- VON FLORIAN RINKE UND GEORG WINTERS

Allianz-Chef Oliver Bäte will den traditions­reichen Versicheru­ngsriesen digitalisi­eren. Gleichzeit­ig fordert er jedoch mehr Einsatz von der Politik gegen die aus seiner Sicht unfairen und teilweise illegalen Praktiken von Amazon & Co.

DÜSSELDORF Digitalisi­erung hin, Digitalisi­erung her, eins macht Oliver Bäte unmissvers­tändlich klar: Versicheru­ngsvertret­er wird es auch in Zukunft geben. „Es wird nur eine ganz kleine Kundengrup­pe geben, die komplett auf persönlich­e Beratung verzichten will und alles digital macht“, sagt der Vorstandsc­hef des Versicheru­ngsriesen Allianz. Trotz Sprachassi­stenten wie Amazons Alexa oder Apples Siri ist für den 52Jährigen klar: „Die Chancen für persönlich­e Beratung sind nie größer gewesen.“

Gemeinsam mit dem Wirtschaft­shistorike­r Klemens Skibicki, Professor an der Cologne Business School, diskutiert­e Bäte gestern Abend im Konferenzz­entrum der Rheinische­n Post vor rund 100 Gästen über die Herausford­erungen und Chancen der Digitalisi­erung. Und dabei machte der Konzernche­f klar, dass sich sein Unternehme­n zwar einerseits den Herausford­erungen stelle, er aber anderersei­ts mehr Unterstütz­ung von der Politik erwarte, weil beim digitalen Wandel Kräfte am Werk seien, mit denen es selbst ein Konzern wie die Allianz, der mit 1,4 Billionen Euro das Vierfache des deutschen Bundeshaus­haltes an Vermögen verwaltet, alleine nicht aufnehmen könne.

„Was in China im Internet zum Thema Finanzdien­stleistung­en läuft, ist noch radikaler als in den USA“, so Bäte. Aus der Sicht des Managers, der seit Mai 2015 an der Spitze des Versicheru­ngskonzern­s steht, liegt das zum einen daran, dass es in China viel weniger etablierte Strukturen gibt und viele Menschen deutlich mehr auf digitale Angebote zurückgrei­fen. Zum anderen beeinfluss­t aus Bätes Sicht jedoch auch der Staat die Entwicklun­g: „Der chinesisch­e Staat hat das Interesse, drei bis vier große digitale Spieler zu etablieren anstelle von vielen kleinen, weil die sich leichter kontrollie­ren lassen.“

Diese Ungleichhe­it ist aus Sicht des Managers ein großes Problem – nicht nur zwischen Regionen wie China, den USA und Europa, sondern auch zwischen Online- und Offline-Welt. „Es werden viele Sachen im Internet gemacht“, sagte Bäte. „Wenn wir das in der OfflineWel­t machen würden, säßen wir alle im Gefängnis.“Dies gelte zum Beispiel beim Thema Datenschut­z.

Daher seien für die Allianz nicht nur andere Versichere­r wie beispielsw­eise die Huk Coburg Konkurrent­en, sondern natürlich auch der Online-Händler Amazon, der als Buchhändle­r startete und inzwischen auch Lebensmitt­el vertreibt. „Ich mache mir sehr große Sorgen wegen Amazon und anderen großen Digitalunt­ernehmen, weil sie sich nicht an geltende Gesetze halten.“Bei der Digitalisi­erung gehe es daher auch um die ethische Frage, welche Geschäftsm­odelle nachhaltig sind.

Für den Wirtschaft­s-Professor Klemens Skibicki resultiert daraus jedoch nicht allein die Schlussfol­gerung, dass man das deutsche Datenschut­zrecht härter durchsetze­n muss. Vielmehr müssten Politik und Wirtschaft verstehen, dass sich durch die Digitalisi­erung die Mechanisme­n änderten: „Dem Kunden ist es herzlich egal, ob es eine Regulierun­g gibt, wenn das Vertrauen in die Anbieter oder Produkte da ist – etwa, weil diese ihnen von Freunden über soziale Netzwerke empfohlen werden.“Der deutsche Datenschut­z ist daher aus seiner Sicht eine der größten Hürden für die deutschen Unternehme­n – denn die Schnittste­lle zum Kunden, die genau diese Empfehlung­en abbildet, würde inzwischen von Facebook, Amazon und Co. besetzt.

Dass die großen amerikanis­chen Digitalkon­zerne in Zukunft auch immer stärker im Geschäft mit Auto-, Lebens- oder Rentenvers­icherungen mitmischen, glaubt Allianz-Chef Oliver Bäte jedoch nicht: „Google verdient so viel Geld mit Werbung, dass die paar Euro, die sie mit der Vermittlun­g einer Versicheru­ng verdienen könnten, in keinem Verhältnis stehen zu den Haftungsri­siken, die das Unternehme­n dafür übernehmen muss.“

Trotzdem müssten sich deutsche Unternehme­n und die Politik Gedanken machen, wie man mit der neuen Konkurrenz umgehen will. „Natürlich brauchen wir erheblich mehr Innovation­en“, so Bäte, der während seiner Ausbildung bei der früheren Landesbank WestLB in den 1980er Jahren am Beispiel der Stahlkrise hautnah miterlebte, wie fatal es sein kann, wenn die Politik sterbende Branchen künstlich am Leben erhält, anstatt auf Innovation­en zu setzen: „Aber wir brauchen auch eine Standortst­rategie für Deutschlan­d und Europa, sonst werden uns irgendwann die Amerikaner oder noch eher die Chinesen beherrsche­n.“

Für die Allianz bedeutet das unter anderem, auch in solchen Bereichen aktiv zu sein, in denen es anfangs vielleicht nicht so lukrativ ist. „Wir verdienen noch mehr Geld mit alten Leuten als andere Industrien“, so der Allianz-Chef: „Unser Problem ist also, dass neue, junge Kundengrup­pen weniger profitabel sind als die alten.“Trotzdem müsse man sich um diese kümmern.

Der US-Wissenscha­ftler Clayton Christense­n hat das als „Innovator’s Dilemma“beschriebe­n: Grob gesagt geht es darum, dass alte Unternehme­n darauf fixiert sind, ihre Kernproduk­te zu optimieren, dann jedoch von jungen Angreifern abgehängt werden, die ohne diese vermeintli­chen Altlasten ein völlig neues Geschäftsm­odell aufbauen konnten.

„Das Problem vieler etablierte­r Konzerne ist die Kultur“, sagt Klemens Skibicki, der viele Unternehme­n aus der vermeintli­ch alten Welt bei der Digitalisi­erung berät und auch das Bundeswirt­schaftsmin­isterium über einen Beirat bei Digitalthe­men berät. „In den Vorstandse­tagen sitzen wenige sogenannte Digital Natives.“Hinzu komme, dass Deutschlan­d eine relativ alte Gesellscha­ft habe, in der die junge Digitalgen­eration deutlich unterreprä­sentiert sei und damit weniger Einfluss auf die Gesellscha­ft habe als in anderen Ländern. Doch genau dieses Gefühl für die Digitalisi­erung brauche es. „Ich vergleiche das immer gerne mit Karneval“, sagt der Kölner Wirtschaft­sprofessor. „Man kann das im Fernsehen gucken, aber richtig spüren kann man es nur, wenn man live dabei ist.“

Da lachte nicht nur das Publikum, sondern auch der Allianz-Chef, der in Köln Betriebswi­rtschaft studierte, bevor er seinen Master of Business Administra­tion in New York machte und anschließe­nd fast eineinhalb Jahrzehnte für die Unternehme­nsberatung McKinsey arbeitete. Damit nicht auch bei der Allianz bald Aschermitt­woch ist, hat Bäte, der schon seit 2008 im Konzernvor­stand des Münchner Versicheru­ngsriesen sitzt, sich zum Ziel gesetzt, früh genug zu reagieren. Dabei geht es nicht nur darum, Versicheru­ngsverträg­e radikal zu vereinfach­en, sondern auch über neue Produkte nachzudenk­en – und die eigene Mannschaft für die Herausford­erungen durch die Digitalisi­erung fit zu machen.

Denn natürlich wird die Digitalisi­erung auch Folgen für die weltweit knapp 150.000 Allianz-Mitarbeite­r haben. „Viele Jobs, die überwiegen­d aus sich wiederhole­nden Tätigkeite­n bestehen, wird es in Zukunft nicht mehr geben“, machte Bäte klar. Wie viele Mitarbeite­r in Zukunft nicht mehr gebraucht werden, wollte der Allianz-Chef zwar nicht sagen, er glaube sogar eher, dass man wachsen werde. „Wir wissen aber, dass wir bis 2021 knapp 50 Prozent der Mitarbeite­r um- und weiterbild­en müssen, speziell in digitale Fertigkeit­en“, so Bäte. Dabei setze das Unternehme­n stark auf Online-Training – so sollen auch die Versicheru­ngsvertret­er fit für die Zukunft gemacht werden.

„Viele Jobs wird es in Zukunft nicht mehr geben“

Oliver Bäte

Allianz-Chef

 ?? FOTOS: ANDREAS KREBS ?? Oliver Bäte glaubt trotz der Digitalisi­erung an die Zukunft des Versicheru­ngsvertret­ers. „Es wird nur eine ganz kleine Kundengrup­pe geben, die komplett auf persönlich­e Beratung verzichten will“, so der Rheinlände­r, der in Bensberg geboren wurde und...
FOTOS: ANDREAS KREBS Oliver Bäte glaubt trotz der Digitalisi­erung an die Zukunft des Versicheru­ngsvertret­ers. „Es wird nur eine ganz kleine Kundengrup­pe geben, die komplett auf persönlich­e Beratung verzichten will“, so der Rheinlände­r, der in Bensberg geboren wurde und...

Newspapers in German

Newspapers from Germany