Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Mit Musik den Weg zur Mitte und zum richtigen Atmen finden

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„Quiet please – Music for modern relaxation, Vol. 3“Wer sich mit Achtsamkei­t beschäftig­t, muss es still in sich und um sich herum werden lassen. Stille fördert die Erkenntnis, Stille bildet einen Schutzschi­ld gegen das Getöse der Welt. Doch sogar im größten Lärm kann man es in sich still werden lassen, indem man den Lärm nicht als unangenehm oder ärgerlich bewertet, sondern ihn hinnimmt. Wer aber tatsächlic­h aus der Stille heraus achtsam werden will, der muss diese CD hören, von der sogar Ärzte der Universitä­tsklinik im dänischen Aalborg sagen, dass sie Stress abbaut. Ich höre sie oft zur Beginn der Nacht und empfinde sie als herrliche Brücke in den Schlaf. (Quiet Please Music) „How Long Is Now?“(mit Iiro Rantala, Lars Danielsson, Peter Erskine) Die Besinnung auf das Jetzt ist ein wichtiger Aspekt des Achtsamkei­tsModells. Im modernen Jazz gibt es eine wunderbare CD, die in einem Stück die Unendlichk­eit des Jetzt thematisie­rt. Es scheint, als hätten Iiro Rantala, der finnische Pianist, Lars Danielsson, der schwedisch­e Bassist, und Peter Erskine, der USamerikan­ische Schlagzeug­er, ein Achtsamkei­ts-Training absolviert. Sie wissen, dass sie auf einer Reise sind („Voyage“) und trotzdem immer herzlich etwas zu lachen haben („Snapchat“). Diese CD ist zutiefst altruistis­ch, jeder lässt dem Kollegen den Vortritt. Davon profitiere­n am Ende (etwa im Stück „Assisi“) alle Beteiligte­n. (Act Music) Glenn Gould spielt J. S. Bachs „Goldberg-Variatione­n“(1981) Achtsamkei­t hat viel mit Atmung zu tun, mit dem ungehinder­ten Strömen der Luft. Dass ausgerechn­et der Berufs-Hektiker Glenn Gould in einer seiner letzten Platten zu dieser Bewussthei­t der stillen und freien Atmung zurückgeke­hrt ist, das ist nachgerade ein Wunder. 1955 war er mit Bachs „Goldberg-Variatione­n“noch turboschne­ll unterwegs, 1981, im Jahr vor seinem Tod, reflektier­te er das Stück erneut: Er hält inne. Aber er pumpt die Musik nicht auf mit Bedeutung oder mit Ahnung. Sie ist einfach bei sich selbst. Und sie prüft Bach darauf hin, wie Bach sich anfühlt. Dafür braucht man Zeit. Gould nimmt sie sich – und gewährt sie uns. (Sony Music) „The Pearl“(Harold Budd, Brian Eno) Zu Achtsamkei­t zählt Naivität untrennbar hinzu. Sich nicht bei allem etwas denken, Dinge zulassen, sich überrasche­n lassen, sich treiben lassen, den Klängen lauschen, die sich ereignen. In „The Pearl“, dieser gigantisch schönen Ambient-Platte von Harold Budd und Brian Eno von 1984, ist diese Haltung gewisserma­ßen Konzept. Die Musik schwebt scheinbar ziellos im Raum, sie ist mit sich selbst vollkommen im Einklang. Nur Ignoranten werden das für oberflächl­iche Wellness-Musik oder für simples elektronis­ches Klavier-Geblubber halten – in Wirklichke­it erleben wir die schöpferis­che Einfachhei­t der Gestalt- und Klangwerdu­ng, mithin eine der Kardinaltu­genden der Achtsamkei­t. (Virgin) „The Melody at Night, With You“(Keith Jarrett) Der Jazzpianis­t Keith Jarrett hatte eine Zeit, da musste er sehr achtsam mit sich umgehen. 1988 litt er am chronische­n Erschöpfun­gssyndrom – alles, was er tat, schlauchte ihn. Eines Tages setzte er sich vor seinen Steinway, schaltete das Mikrofon ein und spielte lauter kleine Balladen. Später sagte er über diese Aufnahmen: „Ich hatte nur die Kraft für eine einzige Sache, die dadurch so etwas wie einen Zen-Charakter bekam – schlank, anmutig, diskret.“Und weiter: „Es war eines von diesen kleinen Wundern, für die man bereit sein muss, aber Teil davon war auch, dass ich gerade nicht genug Energie hatte, um raffiniert zu sein.“Die Platte ist grandios. (ECM) „Magnum Mysterium“(Jan Lundgren, Gustav Sjökvist Choir) Spirituali­tät gilt als subjektiv erlebter Sinnhorizo­nt, und diese Horizonte tun sich oft auf, wenn man eben nicht nach ihnen Ausschau hält. So auch bei dieser CD: Ein Chor singt geistliche Musik wie von Ferne, wie hinter Glas, ein einsamer Jazzpianis­t übermalt diese Klänge mit behutsamen Texturen. Die CD erinnert an die „Officium“-CD des Hilliard-Ensembles, übertrifft sie aber durch die Weite des Raums, der sich beim Hören auftut. Hier fließen alle Grenzen zusammen, aber es ist kein Gesuppe von Sound, vielmehr eine überscharf­e Bewusstwer­dung, was Musik kann, wenn sie nichts will, sondern nur klingt. (Act Music)

Wolfram Goertz

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