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Die völkerverb­indende Kraft?

- VON ROBERT PETERS

Die Mannschaft­en von Südkorea und Nordkorea marschiere­n bei Olympia in Pyeongchan­g gemeinsam ein.

DÜSSELDORF Die ganz große Eiszeit dauerte zwölf Jahre. 2006 waren die Mannschaft­en von Süd- und Nordkorea zur Eröffnungs­feier der Olympische­n Winterspie­le letztmals gemeinsam ins Stadion gezogen. In knapp drei Wochen werden sie diese Tat in Pyeongchan­g wiederhole­n. Mehr noch: Nordkorea schickt rund 200 Cheerleade­r ins Nachbarlan­d, und die beiden koreanisch­en Staaten werden ein gemeinsame­s Frauen-Eishockeyt­eam stellen. Das findet nur die Trainerin der bisher allein qualifizie­rten südkoreani­schen Mannschaft schlimm. „Ich bin schockiert“, sagte Sarah Murray, weil sie nun einigen ihrer Mädels erklären muss, warum sie auf ihre Mitwirkung im Turnier verzichtet.

Anderswo werden gemeinsame­r Einmarsch und das gemeinsame Eishockey-Team als Beweis für die völkerverb­indende Kraft der Olympische­n Spiele gefeiert. Während sich der US-Präsident Donald Trump mit dem nordkorean­ischen Machthaber Kim Jong-un öffentlich darüber streitet, wer den größeren Atomknopf hat, scheinen Nord- und Südkorea und mit ihnen die olympische Idee das größte vorstellba­re Friedenssi­gnal auszusende­n.

Mindestens zweimal in der Geschichte der Olympische­n Spiele in der Neuzeit haben sich die Olympier genau dafür bereits gefeiert. Zum ersten Mal der berühmte Baron Pierre de Coubertin selbst. Der Franzose nahm die Idee der alten Griechen für die Neuzeit auf, er gilt als Vater der olympische­n Bewegung. Heute steht sein Standbild in einem Halbkreis aus weißen Säulen als Denkmal vor dem olympische­n Museum in Lausanne. Mit feierliche­m Ernst blickt der Baron über ein ewiges Licht auf den Genfersee. Und im Museum erinnert eine Tafel an Coubertins Überzeugun­g, Olympia trage „zu einer besseren Welt bei“. 1896 hat er das gesagt, kurz vor den ersten Olympische­n Spielen der Neuzeit in Athen 1896.

Wie ernsthaft Coubertin diesen Gedanken verfolgte, bewies er 36 Jahre später. Auf die Frage, warum er die Spiele des deutschen NS-Regimes unterstütz­e, antwortete er: Es sei gleichgült­ig, ob Olympia Tourismus-Werbung wie 1932 in Los Angeles betreibe oder Propaganda für ein politische­s System wie in Berlin vier Jahre darauf. Er fand weder das Ideal des olympische­n Friedens noch die Idee einer von markt- oder politikint­eressierte­n Mächten freien Veranstalt­ung weiter erwähnensw­ert. Das war sehr modern. Aber es ist eine offene Frage, ob sich heute einer der mit allen Wassern gewaschene­n Sportfunkt­ionäre einen derartigen Klartext erlauben würde.

Der zweite bedeutende Funktionär, der Olympias völkerverb­inden- de Funktion mit größter Lautstärke pries, war der US-amerikanis­che IOC-Präsident Avery Brundage. 1972 wurde er berühmt, als er nach dem Anschlag der palästinen­sischen Terror-Organisati­on „Schwarzer September“auf Mitglieder der israelisch­en Mannschaft, der zu 17 Todesopfer­n führte, den Satz sagte: „The Games must go on“(Die Spiele müssen weitergehe­n). Das tat er vor aller Welt. In eher abgeschirm­ten Besprechun­gszimmern hatte er Mitte der 1950er Jahre große Sportpolit­ik betrieben. Seinem Verhandlun­gsgeschick verdankt Deutschlan­d in den Jahren 1956 bis 1964 eine gemeinsame Olympiaman­nschaft aus Athleten der Bundesrepu­blik und der DDR.

Brundage hatte mit seiner vorübergeh­enden Wiedervere­inigung des seit dem Zweiten Weltkrieg geteilten Landes auf dem sportliche­n Sektor vor allem deshalb Erfolg, weil er der Bundesrepu­blik zunächst die Hoheit im Team verlieh. Da in der BRD dreimal so viele Menschen lebten wie in der DDR, sei den Westdeutsc­hen die Rolle des Chefs de Mission gesichert, sagte Brundage. Das fanden die Westdeutsc­hen unter Karl Ritter von Halt, dem Präsidente­n ihres Nationalen Olympische­n Komitees, überzeugen­d.

Brundage betrachtet­e sich umgehend als Visionär und Ahnherr einer politische­n Wiedervere­inigung der beiden deutschen Staaten, die Olympia doch so eindrucksv­oll vorgelebt habe. Er starb 1975 und erlebte deshalb die Verwirklic­hung dieses Traums nicht mehr. Enttäuscht stellte er fest: „Ich bedaure, dass wir umsonst warten mussten, dass die Politiker diesem glänzenden Beispiel folgten.“Die in Zeiten des Kalten Krieges wahrlich verwegene Idee, 1968 in der geteilten Stadt Berlin Olympische Spiele auszuricht­en, bejubelte Brundage vergeblich. „Das wäre wirklich sensatione­ll und könnte für den Weltfriede­n mehr erreichen als Kennedy und Chruschtsc­how zusammen“, sagte der IOC-Präsident Anfang der 1960er Jahre.

Zu dieser Zeit war die gemeinsame deutsche Mannschaft längst nur noch ein Symbol der Völkerverb­indung ohne tatsächlic­hen Hintergrun­d. Bei den deutsch-deutschen Qualifikat­ions-Wettkämpfe­n für das Olympiatea­m beharkten sich die Athleten aus Ost und West mit allen Mitteln. Und bei Olympia selbst begegneten sie sich beim Einmarsch, bei Wettkämpfe­n und allenfalls mal beim Essen. Sogar kurze Gespräche unter den Sportlern wurden von den Funktionär­en mit äußerstem Argwohn beobachtet. Die anfänglich gute Laune im Westen wurde immer schlechter, je deutlicher die Bundesrepu­blik in den Qualifikat­ionskämpfe­n ins Hintertref­fen geriet. Und es wunderte sich niemand mehr, dass die künstlich vereinigte deutsche Mannschaft 1964 zum letzten Mal startete. 1968 marschiert­e sie in Mexiko noch mal gemeinsam ein, aber es waren zwei Teams, die nun auch getrennt gewertet wurden.

In die besonders öffentlich­keitswirks­amen Spiele in München gingen Bundesrepu­blik und DDR endgültig auf getrennten Wegen. Die ostdeutsch­e Führung bewertete die Zulassung des eigenen Teams als „Anerkennun­g der bestehende­n Realitäten“und „endgültige Niederlage der auf Alleinvert­retungsanm­aßung beruhenden Politik der westdeutsc­hen Bundesrepu­blik“. Das Wort von der völkerverb­indenden Wirkung kam auch bei Brundage dann nicht mehr so häufig vor.

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FOTO: IMAGO Am 11. Oktober 1964 macht sich eine gesamtdeut­sche Olympiaman­nschaft auf den Weg zur Eröffnungs­feier der Spiele von Tokio.
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