Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
WOCHENENDE 20./21. JANUAR 2018
Ewiger Krieg
Gryphius) für ein paar Tage zusammenkommen. Dieses Treffen der Schriftsteller ist nichts anderes als ein Spiegelbild der Gruppe 47.
Das allein weckt noch kein Interesse an diesem Krieg, der so kindisch beginnt: Zornige böhmische Fürsten schmeißen im Mai 1618 drei Gesandte des Kaisers aus dem Fenster, weil der Monarch die einst gewährte Religionsfreiheit wieder rückgängig macht. Die drei überleben zwar, doch jetzt brennt die Lunte: Kaiserliche Truppen stehen der protestantischen Union gegenüber, ein Kampf um den wahren Glauben beginnt, bei dem es bald vor allem um Macht und Einfluss geht, um die Bewahrung von Dynastien und schließlich die Vormachtstellung in Europa. So vielgestaltig sind die Motive, dass bald auch viele mitmischen: Dänen und Schweden, Spanier und Franzosen, Bayern und Sachsen. Wie viele Menschen dabei sterben, weiß heute niemand. Es wird aber geschätzt, dass allein 40 Prozent der deutschen Landbevölkerung – das waren im 17. Jahrhundert etwa 16 Millionen Menschen – den Kämpfen und Seuchen zum Opfer fallen.
Das Monströse dieses Krieges erregt zwar unsere Neugier. Aber sein Wesen ist es, das nachdenklich macht. Der Dreißigjährige Krieg galt lange als das große Trauma der Deutschen: Mit ihm wurde die Glaubensspaltung zementiert und auch der Nationalstaat erst mit großer Verspätung möglich. Dies galt so lange, bis die beiden Weltkriege alles bisher Bekannte in den Schatten stellten. Damit ging auch ein Rollentausch einher: Die Deutschen wechselten von den Opfern zu den Tätern.
Aus dem sogenannten kollektiven Gedächtnis war das Völkermorden des 17. Jahrhunderts quasi von der Schultafel der Nation gewischt und bestenfalls eine Sache des Museums geworden. Dass es jetzt wieder auf den Lehrplan gelangt ist, hat mit den Konflikten des 21. Jahrhunderts zu tun. Einige Politologen und Historiker – unter ihnen Herfried Münkler – glauben im Dreißigjährigen Krieg eine Art Blaupause für die Auseinandersetzungen unserer Zeit zu erkennen. Wie damals ist die Wiederkehr sogenannter kleiner, oft religionsmotivierter Kriege auszumachen; Unbeteiligte werden zunehmende Opfer der Gewalt, Unterschiede zwischen Soldaten, Söldnern und Marodeuren sind eliminiert. Eine bedenkenswerte Parallele zu damals ist auch: Kaum eine der am Dreißigjährigen Krieg beteiligten Mächte hatte einer anderen offiziell den Krieg erklärt.
Offenbar ist das Jubiläum notwendig geworden, um jene Frage formulieren zu können, die uns das 17. Jahrhundert stellt: „Haben wir es heute mit einer Wiederkehr des Dreißigjährigen Krieges zu tun?“, so Münkler. Zumindest: Dient er als Analyserahmen für die gegenwärtigen wie auch die zukünftigen Kriege?
Es fällt immer schwer, die Ereignisse der Gegenwart in einen größeren Rahmen einzuordnen und zu verstehen. Und vielleicht ist uns durch die Ereignisse von Tag zu Tag auch gar nicht mehr bewusst, dass wir genau jetzt auch Geschichte erleben und als geschichtliche Wesen agieren.
Wollte man unseren Krieg der kleinen Kriege datieren – wie er vielleicht in späteren Geschichtsbüchern zu stehen kommt –, so könnte man die Terroranschläge des 11. September 2001 in Betracht ziehen. Sie wären unser Fenstersturz. Immerhin 17 Jahre währte dann Krieg unserer Zeit. Und nur weil diesmal Deutschland davon nicht direkt betroffen ist und momentan mit den Flüchtlingen nur die Ausläufer dieses Wütens vor Augen hat, heißt es nicht, dass es diese Kriege in zu vielen Ländern dieser Welt nicht gäbe.
Dass sich der Irrsinn der Welt über große Abstände hinweg zu wiederholen scheint und es offenbar keinerlei Lerneffekte gibt, mag deprimieren. Die Wiederkehr kann indes auch als Aufgabe verstanden werden. Frank-Walter Steinmeier bekannte vor zwei Jahren als damaliger Außenminister, dass man für den Nahen Osten einen neuen Westfälischen Frieden brauche – als ein Beispiel kluger Handlungsoptionen. Denn im Westfälischen Frieden von 1648 ging es nicht um Recht und Unrecht, um Wahrheit oder Lüge, sondern um innerstaatliche Machtbalance, um Eingriffs- und Souveränitätsrechte. Dann wäre nicht nur die Wiederkehr des Krieges eine Betrachtung wert, sondern vor allem die seiner Befriedung.