Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
ANALYSE Die
Diskussion über Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten zeigt, dass die Aufklärung über den Völkermord neue Formen braucht. Die Orte der Shoa sind Zeugnisse dafür, das Unbegreifliche als Wahrheit sichtbar zu machen.
der Täter zumindest Mittäter blieben. In „Auschwitz und kein Ende“schreibt er 1979: „Ich glaube, man ist Verbrecher, wenn die Gesellschaft, zu der man gehört, Verbrechen begeht. Dafür haben wir in Auschwitz ein Beispiel geliefert. Keiner kann uns sagen, wie wir mit dem Bewusstsein der Täterschaft umgehen sollen. Zu welchem Teil und mit welchen Folgen sich einer als zugehörig fühlt, also zurechnungsfähig betrachtet, ist seine Sache. Darüber kann es wohl keine Vorschrift geben.“Später wird er über unser Verhältnis zu Auschwitz noch sagen: „Wir waren da alle drin.“
Die von Soldaten begleitete Führung der Bevölkerung 1945 ist keine Blaupause für unseren Umgang mit der Shoa heute. Aber sie gibt wenigstens einen Eindruck von der ungeheuerlichen Aura der Stätte des Massenmordens. Es ist der authentische Ort der Vergangenheit, der für die Opfer und die Zeitzeugen steht. Doch hegen wir mit Pflichtbesuchen der Schüler nicht vielleicht wieder eine nur naive Erweckungshoffnung und machen die Gedenkstätte zur „sensibilisierenden, kathartischen Anstalt“, wie es Jörg Skriebleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg, jüngst im „SZ“-Gespräch mutmaßte?
Zumindest gibt es Vorstellungen, was solche Besuche auf keinen Fall sein dürfen: irgendwie bloß verlängerte Schulstunden. Wenn die Shoa historisch unvergleichbar ist, dann darf auch jedes Lernen darüber keine Routine sein. Was zudem für eine Pflicht spricht – mit welchem Nachdruck auch immer –, ist die Kraft der Wahrheit, für die jedes KZ gewissermaßen grausam bürgt. „Wir sind der Beweis gegen Fake News“, sagt Skriebeleit.
Im Menasse-Roman wird Auschwitz gegen Ende noch einmal bedeutsam. Diesmal im Vortrag eines deutschen Historikers in Brüssel. Und dort wird der eine These aufstellen, die unrealistisch bleiben wird, aber ein Aufschrei ist und an das Fundament einer friedliebenden Union Europas erinnert: „In Auschwitz muss die neue europäische Hauptstadt entstehen, geplant und errichtet als Stadt der Zukunft, zugleich die Stadt, die nie vergessen kann.“