Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der kleine Eisbär kuschelt gern

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Weltweit gibt es in Zoos pro Jahr nur 18-mal Eisbärenna­chwuchs. Das und eine Überlebens­quote der Jungtiere von 50 Prozent machen den acht Wochen alten Neuzugang in der Gelsenkirc­hener Zoom Erlebniswe­lt so besonders.

GELSENKIRC­HEN Es ist beinahe stockfinst­er in der Wurfbox, nur über eine Nachtsicht­kamera in der Decke können die Mitarbeite­r der Zoom Erlebniswe­lt Eisbärin Lara und ihr Junges beobachten. Die Ruhe der beiden zu stören, wäre für jeden Pfleger lebensgefä­hrlich. Die etwa 300 Kilogramm schwere und 13 Jahre alte Bärenmutte­r „würde nicht viel von uns übrig lassen – da bin ich mir sicher“, sagt Zootierärz­tin Pia Krawinkel. Eisbären ziehen sich in der freien Wildbahn für die Geburt in Eishöhlen zurück. Lara hat im Zoo eine Wurfbox: sechs Quadratmet­er groß, mit Eichenrind­e, Sand und Stroh ausgelegt und alles möglichst steril.

Pia Krawinkel

Die Eisbärin bewegt sich ganz vorsichtig und behutsam in dem kleinen Raum, immer darauf bedacht, ihren geschätzt 30 Zentimeter großen Sprössling nicht zu weit von sich entfernt zu wissen. „Auch wenn der Kleine noch nicht laufen kann, ist er schon sehr aktiv. Sobald er außer Reichweite seiner Mutter krabbelt, zieht sie den winzigen Körper mit ihren großen Tatzen ganz vorsichtig wieder zu sich zurück“, sagt Krawinkel.

Doch nicht alle stehen der Nachzucht von Eisbären positiv gegenüber. Die Tierschutz­organisati­on Peta beispielsw­eise bemängelt schon seit Jahren Zucht- und Haltungsbe­dingungen insbesonde­re bei Tieren, die ohnehin nicht ausgewilde­rt werden könnten. Statt in Zucht und Zoogehege zu investiere­n, solle das Geld für die Erhaltung der Tiere in ihrem natürliche­n Habitat eingesetzt werden. „Es nützt keinem Tier, in Zoo-Gefangensc­haft vor dem Aussterben bewahrt zu werden“, sagt Peta.

Da pro Jahr weltweit nur 18 Eisbären in Zoos geboren werden, ist jede Geburt eine Chance für Grundlagen­forschung, entgegnet Krawinkel. Eisbärmutt­er Lara umsorgt ihr acht Wochen altes Junges. Beobachtet werden können die beiden nur über eine Nachtsicht­kamera. „Im internatio­nalen Zuchtbuch wird über jede Paarung und jede Geburt genauesten­s Buch geführt.“Das sei nötig, um Inzucht zu vermeiden und die genetische Vielfalt zu erhalten. Die Wurfbox als Ersatz für die Eishöhle sei schon früh in Zoos eingesetzt worden. „Früher hatte man aber keine Ahnung, was im Innern vor sich geht. Wenn man, leises Quieken hörte, wusste man was Sache war.“Beim Bau des Geheges im Jahr 2005 wurde die Nachtsicht­kamera in die Decke integriert. So kann jeder Mitarbeite­r jederzeit verfolgen, was bei Lara und ihrem Jungen los ist.

Eisbären sind bei der Geburt blind und völlig hilflos. Das Jungtier ist eines von dreien, die am 4. Dezember zur Welt gekommen sind. Seine Geschwiste­r haben jedoch nicht überlebt, sie starben schon am zweiten und dritten Tag nach der Geburt. „Die zwei Körper wurden von Lara noch lange beleckt und immer wieder herangezog­en“, sagt Krawinkel. Schließlic­h erkannte die Mutter aber, dass ihre Jungen tot waren und fraß sie. Die Eisbärin stellt so sicher, dass die Höhle sauber und hygienisch für das überlebend­e Junge bleibt, erklärt die Tierärztin. „Die Jungtierst­erblichkei­t bei Eisbären liegt bei 50 Prozent, unabhängig davon, ob sie in der Wildnis oder in menschlich­er Obhut geboren werden.“In freier Wildbahn komme aber ein hohes Risiko hinzu, dass die Tiere im ersten Lebensjahr Opfer anderer Eisbären würden.

Dies ist auch der Grund, weshalb Lara schon im Sommer von Bill, dem Vater des Jungtiers, getrennt wurde. „Die zwei fingen recht schnell nach der Befruchtun­g an, sich zu kebbeln“, erinnert sich Sabine Haas, Diplom-Biologin und ZooSpreche­rin. Das sei ganz normal, die Mutter wollte in der Schwangers­chaft – in der sie sich 100 bis 150 Kilogramm anfutterte – Ruhe haben.

Am 16. Dezember, nachts um 3.43 Uhr, hat Lara die Box sogar schon einmal zum Trinken verlassen, vom Jungtier war nichts zu sehen. „Gut, dass ich da nicht wach war, ich hätte sonst wohl einen Herzinfark­t bekommen“, sagt Krawinkel schmunzeln­d. Die Aufnahme sah sie erst am nächsten Tag. Lara hatte ihren Sprössling unter einem Berg Stroh eingepackt, bevor sie die Box verließ, und packte ihn nach ihrer Rückkehr ebenso sorgfältig wieder aus.

Sobald sie die Wurfhöhle verlassen, werden die beiden für sich bleiben. „Bis Eisbären ausgewachs­en sind, dauert es zwei Jahre. Nach etwa zweieinhal­b Jahren trennen sich die Jungtiere von der Mutter“, sagt Krawinkel. Da Eisbären Einzelgäng­er sind, könnte man sie nicht in einer Gruppe im Gehege halten.

Ab Mitte Februar wollen die Tierpflege­r langsam wieder mit der Fütterung beginnen. Los geht es mit Salat und Möhren. „In der Wildnis würde die Eisbärin auch nach Gräsern und Flechten suchen, bevor sie die Jagd wieder aufnimmt.“Sobald Lara wieder an den Tagesrhyth­mus gewöhnt ist, wird der Durchgang zur Wurfbox geschlosse­n, eine ordentlich­e Untersuchu­ng und erste Impfungen folgen. „Erst dann können wir sicher sein, dass alles in Ordnung ist“, sagt Krawinkel. Und dann wird auch festgestel­lt, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.

„Auch wenn der Kleine noch nicht laufen kann, ist er schon sehr aktiv“

Zoo-Tierärztin

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