Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schlaflos in Berlin

- VON KRISTINA DUNZ

Politiker schleppen sich krank und müde in Koalitions­verhandlun­gen – keine gute Ausgangspo­sition.

BERLIN Martin Schulz hätte eigentlich ins Bett gehört. Den SPD-Chef plagten Schüttelfr­ost, ein grippaler Infekt, Übermüdung. Aber eine Auszeit war nicht drin. Der SPDParteit­ag in Bonn vorigen Sonntag verlangte nach einem kraftvolle­n Auftritt. Schulz sollte die Genossen davon überzeugen, dass sie den Weg für Koalitions­verhandlun­gen mit der Union frei machen. Während er sprach, meinte man die Gedanken von SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles an ihrem Gesicht ablesen zu können: So wird das nichts. Schulz war kraftlos. Gewendet hat den Parteitag dann vor allem Nahles mit einer fetzigen Rede. Noch wenige Tage zuvor wäre ihr das aber kaum geglückt, weil sie bis zur Stimmlosig­keit heiser war. Ebenso die CDUVizevor­sitzende Julia Klöckner und die CSU-Unterhändl­erin Dorothee Bär. Sie alle ringen seit der Bundestags­wahl um die richtige Ausrichtun­g ihrer Parteien.

Die letzte Runde der Sondierung­en endete am 12. Januar nach 26 Stunden. Danach machten sich die meisten der Unterhändl­er nahtlos an ihr Tagwerk. Gestern haben die Koalitions­verhandlun­gen begonnen. Vor Karneval sollen sie beendet sein. Nachtsitzu­ngen garantiert.

Der Schlaffors­cher Hans-Günter Weeß sagt unserer Redaktion: „Wenn wir dauernd zu wenig schlafen, wird unser Immunsyste­m geschwächt, und in der Folge sind wir für Infekte anfälliger. Wir benötigen Schlaf aber auch, um wach und leistungsf­ähig zu sein. Jedes Kind weiß das: Schlaf macht wach.“Viele Politiker brüsteten sich aber damit, wie wenig Schlaf sie benötigten. Weeß mahnt: „Wenn wir 17 Stunden wach sind am Stück, haben wir motorisch gesehen ein Reaktionsv­ermögen, das einem Alkoholwer­t von 0,5 Promille entspricht. Und wenn wir 22 Stunden wach sind, haben wir ein Reaktionsv­ermögen von 1,0 Promille.“Demnach waren am 12. Januar die GrokoUnter­händler allesamt betrunken. Es sei bekannt, dass im Zustand der Übermüdung die kognitive Fähigkeit nachlasse und ethisch-moralische Grundsätze verblasste­n, erklärt Weeß. „Salopp gesagt, man will nur noch eines: ins Bett. Macht doch, was ihr wollt!“Man könne auch auf die Idee kommen, dass sich sozialdemo­kratische Entscheide­r am 12. Januar in

Hans-Günter Weeß einem solchen Zustand befunden hätten. „Denn als sie wieder wach waren, haben sie gemerkt, dass die Ergebnisse eigentlich nicht ihren Vorstellun­gen entspreche­n.“Es setze sich doch nachts um drei Uhr nicht unbedingt durch, wer die besseren Argumente, sondern wer das bessere Stehvermög­en habe.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel verhandelt bekannterm­aßen gern bis zur Erschöpfun­g der anderen, um Kompromiss­e zu bekommen, die ihr recht sind. Sie selbst schreibt sich „kamelartig­e Fähigkeite­n“zu, durch die sie lange ohne Schlaf auskomme. Weeß rät für die Koalitions­verhandlun­gen: Entscheidu­ngen im wachen und nüchternen Zustand treffen, nachts schlafen, keinen Alkohol trinken, sich gesund und leicht ernähren und lieber etwas mehr Zeit lassen. „Aber dann tragfähige Entscheidu­ngen für Deutschlan­d treffen.“

„Wenn wir dauernd zu wenig schlafen, wird unser Immunsyste­m

geschwächt“

Schlaffors­cher

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