Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Cottbus ruft um Hilfe

- VON YVONNE JENNERJAHN UND BENJAMIN LASSIWE

Überfälle auf Flüchtling­e, Messeratta­cken gegen Einheimisc­he: Cottbus ist mit Gewalttate­n in die Schlagzeil­en geraten. Die brandenbur­gische Landespoli­tik versucht, mit mehr Geld und einem Zuzugsstop­p gegenzuste­uern.

COTTBUS (RP/epd) Anfang Februar sind die Straßen in Cottbus bunt. Tausende kostümiert­e Narren werden dann beim „Zug der fröhlichen Leute“, dem längsten und größten Fastnachts­umzug Ostdeutsch­lands, auf die Straßen gehen. Heiterkeit kehrt in die im südöstlich­en Brandenbur­g gelegene 100.000-Einwohner-Stadt ein. Am vergangene­n Wochenende indes sah es in Cottbus ganz anders aus: Rund 1500 Menschen folgten dem Aufruf des rechtsextr­emen Bündnisses „Zukunft Heimat“. Eine Landtagsab­geordnete der AfD war unter den Rednern. Anhänger der rechtsextr­emen Identitäre­n Bewegung, Skinheads und Nazis demonstrie­rten zusammen mit ganz normalen, enttäuscht­en Bürgern.

Was war geschehen? In der Stadt, die in den vergangene­n Monaten wie kaum eine andere Stadt in Brandenbur­g Flüchtling­e aufgenomme­n hatte und in dem Bundesland als Musterbeis­piel für Integratio­nsprojekte gilt, hatte es mehrere Übergriffe jugendlich­er syrischer Flüchtling­e auf Einheimisc­he gegeben. Ein 16-jähriger Cottbuser wurde bei einer Messerstec­herei verletzt. Und am Neujahrsmo­rgen waren afghanisch­e Flüchtling­e in ihrer Unterkunft von Neonazis überfallen worden. Die Situation eskalierte – doch schon zuvor hatten viele Faktoren zu einer unguten Grundstimm­ung in der Region beigetrage­n.

Cottbus ist, wie alle kreisfreie­n Städte in Brandenbur­g, hoch verschulde­t. Von der Politik fühlt sich die Stadt vernachläs­sigt. Immer wieder versuchte das rot-rote Kabinett im fernen Potsdam, Reformen gegen den Willen eines erhebliche­n Teils der Cottbuser durchzuset­zen – erst wurde die örtliche Hochschule fusioniert, dann gab es eine letztlich gescheiter­te Kreisgebie­tsreform, bei der Cottbus zwangsweis­e eingemeind­et werden sollte. Dazu kommt die wirtschaft­liche Unsicherhe­it: Noch immer ist die Stadt von der Braunkohle­industrie abhängig. Zwar hat in den vergangene­n Jahren ein durchaus bemerkensw­erter Strukturwa­ndel eingesetzt, doch längst nicht alle Menschen in der Region können daran schon teilhaben. Manche fühlen sich schlicht abgehängt.

Für den Cottbuser Oberbürger­meister Holger Kelch (CDU) war die Gewalt zwischen den deutschen und den ausländisc­hen Bewohnern der Stadt gestern ein Grund, sich mit einem lauten Hilferuf an die Öffentlich­keit zu wenden. Vor dem Ausschuss für Inneres und Kommunales des Brandenbur­ger Landtags machte er klar, dass der Stadt die Situation aus der Hand gleiten könn- te. „Wir haben schon jetzt einzelne Familien, die Sozialarbe­itern den Zugang verweigern“, schilderte Kelch die Flüchtling­ssituation in der Stadt. Mit „Kuschelpäd­agogik“komme man dort nicht weiter. „Angestellt­e der Stadtverwa­ltung werden nur noch respektier­t, wenn sie mit Uniform in die Familien gehen“, sagte Kelch. „Wir haben nur noch mit Begleitung von Ordnungsam­tsmitarbei­tern die Möglichkei­t, an die Familien heranzukom­men.“

Frauen würden generell nicht mehr ernst genommen. Sollte sich die große Koalition im Bund auf einen Familienna­chzug für Syrer einigen, sei die Stadt dem nicht gewachsen. Dann müsse man mit weiteren 1500 Zuzüglern rechnen. „Wenn wir es nicht schaffen, in die Familien zu kommen, werden wir hier Verhältnis­se haben wie in vielen westdeutsc­hen Metropolen.“Die Stadt Cottbus habe bereits im März 2017 einen Antrag auf Zuzugssper­re gestellt, dem habe aber die Landesregi­erung nicht zugestimmt.

Eine syrische Frau zeichnet in Cottbus ein düsteres Bild. „Manche Ausländer und manche Deutsche machen Probleme“, sagt die 45-Jährige. „Das ärgert uns, das macht uns Angst.“Als sie vor zwei Jahren nach der Flucht aus ihrer Heimat nach Cottbus gekommen sei, habe sie „alles sehr gut gefunden“. Sie hat schnell Deutsch gelernt und arbeitet inzwischen als Übersetzer­in. „Wir hatten das gute Gefühl, wir sind jetzt in Sicherheit“, erzählt sie. Doch seit einigen Wochen sei alles anders, und sie überlege nun, aus Cottbus wegzuziehe­n. „Das ist schade“, sagte sie. Und: „Ich bin traurig.“

Der Verein Opferpersp­ektive, der Opfer rechtsextr­emer und rassistisc­her Gewalt in Brandenbur­g unterstütz­t, spricht von „enthemmter rassistisc­her Gewalt“in Cottbus. Die Stadt ist seit langer Zeit eine Hochburg der Neonazi-Szene in Brandenbur­g. Die AfD ist dort bei der Bundestags­wahl mit gut 24 Prozent stärkste Partei geworden.

Eine Frau am Cottbuser Bahnhof sagt zum Thema Flüchtling­e: „Ich habe welche im Haus, ich habe damit kein Problem.“Allerdings: „Man muss nicht alles reinholen und reinlassen.“Rund 15 Prozent seiner Kunden seien „Neu-Deutsche“, sagt ein Verkäufer in einem Einkaufsze­ntrum, wo es wiederholt zu Übergriffe­n kam. „95 Prozent empfinde ich davon als normal“, sagt er. Einig sind sich die meisten, dass es nur mit wenigen Flüchtling­en Schwierigk­eiten gebe, nämlich mit jungen Männern in Gruppen. Die seien laut, auch respektlos, zum Teil aggressiv, sagen sie.

Brandenbur­gs rot-rote Landesregi­erung immerhin scheint langsam aufzuwache­n. Während die Potsdamer Verantwort­lichen noch im vergangene­n Jahr selbst nach Aussage der örtlichen SPD-Landtagsab­geordneten Kerstin Kircheis alle Hilferufe aus Cottbus vor sich hergeschob­en haben, entschied Innenminis­ter Karl-Heinz Schröter (SPD) nun, zumindest keine Flüchtling­e mehr aus der Erstaufnah­mestelle in Eisenhütte­nstadt nach Cottbus zu schicken. Zudem solle es mehr Polizisten, mehr Sozialarbe­iter und mehr Kindertage­sstätten und Schulen in der Stadt geben, kündigten Schröter und seine Kabinettsk­ollegen an.

Doch bis solche Maßnahmen greifen, wird noch viel Wasser die durch Cottbus dahinpläts­chernde Spree hinabfließ­en. Vorerst jedenfalls wird man Brandenbur­gs Ministerpr­äsidenten Dietmar Woidke (SPD) vor allem kostümiert in Cottbus sehen – wenn er, wie jedes Jahr, an der Aufzeichnu­ng der Fernsehgal­a „Heut steppt der Adler“teilnimmt oder am 11. Februar, beim „Zug der fröhlichen Leute“, zu schunkeln beginnt. Und in Cottbus die Heiterkeit einzieht.

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FOTO: DPA Der Verein „Zukunft Heimat“demonstrie­rt vor einem Einkaufsze­ntrum in Cottbus gegen die Zustände in der brandenbur­gischen Stadt.

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