Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
„Krankenkassen dürfen nicht manipulieren“
Der Chefkontrolleur der Kassen über Auffälligkeiten bei der AOK, Zusatzbeiträge und Vorstandsgehälter aller Kassen.
BONN Frank Plate ist wenigen bekannt und doch ein mächtiger Mann: Als Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA) verteilt er rund 300 Milliarden Euro und verwaltet etwa den Gesundheitsfonds. Der Boom füllt die Kassen. Sind alle gesetzlichen Krankenkassen gesund? PLATE Den Krankenkassen geht es zurzeit finanziell gut. Von den unter Aufsicht unterstehenden 65 Kassen erfüllen alle bis auf eine das Kriterium, dass sie mindestens ein Viertel einer Monatsausgabe als Reserve haben. Ist die eine die DAK? PLATE Nein, auch die DAK hat die nötigen Reserven. Nun sank der Durchschnittsbeitrag auf 1,0 Prozent. Wie geht es weiter? PLATE Von den der Aufsicht des BVA unterstehenden Kassen haben zum Jahreswechsel drei ihren Zusatzbeitrag erhöht. Das haben wir jeweils als angemessen genehmigt. Neun Kassen konnten ihren Zusatzbeitrag senken.
Wie geht es 2019 weiter? PLATE Ich gehe davon aus, dass im Laufe des Jahres 2018 der Zusatzbeitrag stabil bleibt. Wie es im Jahr 2019 weitergeht, wissen wir erst im Herbst, wenn unser Schätzerkreis eine neue Prognose vorlegt. Die Groko-Sondierer wollen die Parität zurück – Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen auch den Zusatzbeitrag teilen. Was sind die Folgen? PLATE Bei den pflichtversicherten Arbeitnehmern würden künftig die Arbeitgeber die Hälfte der Zusatzbeiträge zahlen, bei den Rentnern dürfte die Umverteilung zu Lasten der Rentenkasse gehen, bei freiwillig versicherten Selbstständigen würde sich keine Änderung einstellen. Es gibt noch mehr Personengruppen, für die die Beitragszahlung gesondert geregelt ist. Die genauen Auswirkungen, zum Beispiel auch auf das Verfahren des Einkommensausgleichs im Risikostrukturausgleich, können daher erst geprüft werden, wenn Details der Umsetzung bekannt sind. Ihr Amt führt den Risikostrukturausgleich (RSA) durch, der für einen finanziellen Ausgleich zwischen Kassen mit vielen und wenigen Kranken sorgt. Hat er sich bewährt? PLATE Der Risikostrukturausgleich ist ein Instrument, mit dem, vereinfacht gesprochen, Krankenkassen, die überdurchschnittlich viele Kranke versichern, finanziell gleichgestellt werden mit solchen Kassen, die besonders viele junge und gesunde Mitglieder haben. Und ja, der Risikostrukturausgleich hat sich bewährt, zumal er auch ein lernendes System ist. Bestehen nicht Fehlanreize, weil Kassen, die viele Kranke haben, besonders viel Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommen? PLATE Grundsätzlich ist es genau so gewollt: Kassen mit hoher Krankenlast sollen so viel Geld bekommen, dass eine gute Versorgung ihrer Versicherten gewährleistet wird. Nur dürfen sie nicht manipulieren. Was kann verbessert werden? PLATE Derzeit berücksichtigt der RSA 80 Krankheiten von Aids bis Schlaganfall. Um den Ausgleich zielgenauer zu gestalten und Fehlanreize zu vermeiden, wäre es besser, wenn alle Krankheiten einbezogen würden. Um die Gefahr von Manipulationen zu senken, brauchen wir zum Beispiel als einen wichtigen Schritt einheitliche Kodier-Richtlinien für alle Ärzte. Bei der AOK Rheinland/Hamburg gab es jüngst eine Razzia. Sie soll Ärz- te angehalten haben, Diagnosen nachträglich zu ändern. PLATE Die AOK Rheinland ist – wie andere Kassen auch – bei Plausibilitätsprüfungen aufgefallen. Wir haben den Fall geprüft und – wie auch bei anderen Krankenkassen – Korrekturbeträge festgelegt. Der Fall wurde öffentlich, weil die AOK zunächst gegen unseren Bescheid Klage eingereicht hat, diese aber zurückgezogen hat. Inzwischen hat sie sieben Millionen Euro zurückgezahlt, die mit diesem Bescheid gefordert wurden. Wie viel Geld haben Sie insgesamt zurückgefordert? PLATE 2015 haben die Kassen 13,5 Millionen Euro an den Gesundheitsfonds zurückgezahlt, im folgenden Jahr waren es 8,8 Millionen. 2017 wurden 22,2 Millionen Euro zurückgezahlt. Erwarten Sie weitere Rückzahlungen? PLATE Derzeit prüfen wir die Ausgleichsjahre 2012, 2013 und 2014. Ärzte berichten, dass noch immer Kodierberater in die Praxen kommen. Dürfen die Kassen das? PLATE Nein. Kodierberatung ist keine Aufgabe der Krankenkassen. Deshalb dürfen hierfür auch keine Beitragsgelder verwandt werden. Darauf habe ich Ärzte und Kassenärztliche Vereinigungen im Mai noch einmal hingewiesen. Das hat nicht allen gefallen. Stimmt es, dass AOKen nicht weiter fusionieren, weil dann nicht mehr ihre Länder, sondern das strenge BVA für die Aufsicht zuständig ist? PLATE (lacht) Das weiß ich nicht. Ohnehin gibt es derzeit kaum Fusionen, der wirtschaftliche Druck scheint nicht mehr da zu sein. Trotzdem versuchen einige Kassen, Dumpingpreise bei Hilfsmitteln durchzusetzen. Sparen diese zu Lasten der Versicherten? PLATE Barmer, DAK und KKH haben Beatmungs-, Atemtherapiegeräte und Material für Stoma-Patienten (künstlicher Darmausgang) ausgeschrieben. Wir prüfen derzeit, ob diese Ausschreibungen rechtlich zulässig sind. Warum sollten sie nicht zulässig sein? PLATE Eine Ausschreibung von Hilfsmitteln ist nur erlaubt, wenn sie zweckmäßig ist. Wir bezweifeln, dass dies hier der Fall ist. Denn es geht hier um Hilfsmittel, bei denen eine persönliche Beratung des Versicherten ganz wichtig ist. Zudem prüfen Sie die Verwaltungskosten. Wie sieht es aus? PLATES Der Anteil der Verwaltungskosten liegt bei etwa fünf Prozent der Gesamtausgaben. Hohe Verwaltungskosten sind nicht zwingend ein Zeichen für Verschwendung. Kassen, die viele Kranke oder ein großes Filialnetz haben, haben nun mal höhere Verwaltungsausgaben. Zu Ausgaben zählen auch Vorstandsvergütungen. Sind die angemessen? PLATE Wir haben die Vorstandsvergütungen von vier Krankenkassen nicht genehmigt. Die Kassen haben hiergegen geklagt. Mittlerweile haben die Landessozialgerichte Bayern und Baden-Württemberg die Klagen von drei Kassen abgewiesen. Gegen ein Urteil wurde Revision beim Bundessozialgericht eingelegt, über die im März entschieden werden soll. Vorstände werden aus Beiträgen bezahlt, Luxusgehälter darf es nicht geben.
ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.