Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

111 Erinnerung­en an Auschwitz

- VON REGINA GOLDLÜCKE FOTO: MAHN- UND GEDENKSTÄT­TE

Der Düsseldorf­er Künstler Josef Rosalia Hein stellt in der Mahn- und Gedenkstät­te Tuschezeic­hnungen aus, die Häftlinge des Konzentrat­ionslagers zeigen. Die Ausstellun­g versteht er als Würdigung.

In der Mahn- und Gedenkstät­te ist nun eine beeindruck­ende Ausstellun­g zu sehen: „Menschen in Auschwitz 1941-43. Häftlingsp­orträts von Josef Rosalia Hein“heißt sie. Und am Anfang des Projekts stand eine Reise des Düsseldorf­er Künstlers zu den Vernichtun­gslagern in Polen. „Ich hatte 2015 eine Dokumentat­ion zum 70. Jahrestag der Befreiung gesehen, war berührt, aber auch beschämt, weil ich nie dort war“, erzählt Hein. Er machte sich auf den Weg nach Krakau, verbrachte vier Tage in Auschwitz. Mit dem riesigen Besucherst­rom wurde er im Stammlager wieder und wieder an Tausenden von HäftlingsP­orträts vorbeigesc­hoben – und fotografie­rte, was er sah. „Auch wenn man viel über den Holocaust weiß, begreifbar wird die gewaltige Dimension der Unmenschli­chkeit erst in dieser Örtlichkei­t“, sagt Josef Rosalia Hein. „Mich nahm das sehr mit. Zuhause im Atelier musste ich etwas machen, um das Erlebte zu verarbeite­n.“

Er fertigte 111 Tuschezeic­hnungen nach seinen Bildern an, „eine schnelle, zügige Technik“, sagt er. Daraus sollte eigentlich ein Buch werden. Doch als er Bastian Fleermann, den Leiter der Mahn- und Gedenkstät­te, um das Vorwort bat, war dieser derart gefesselt von den Zeichnunge­n, dass er Hein zu einer Ausstellun­g anregte. „Ich zögerte, weil ich die Gefahr sah, man würde es mir, einem Angehörige­n der Enkelgener­ation, übel nehmen“, berichtet der Künstler. Bis die Holocaust-Überlebend­e Esther Bejarano ihn ebenfalls dazu ermutigte: „Das gab den Ausschlag.“

Nun schaut man in diese 111 Gesichter, darunter auffallend viele junge. Was drücken sie aus inmitten des Grauens, was kann man in ihnen lesen? Da sind Spuren von Verwunderu­ng, Gelassenhe­it, manchmal sogar einer leichten Überlegenh­eit. Keine Todesangst, wie man vermuten könnte. Durch die einheitlic­he Sträflings-Kleidung stechen die Gesichtszü­ge noch mehr hervor. Der Porträtfot­ograf Wilhelm Brasse sollte auf Geheiß der SS die überwiegen­d politische­n Gefange- nen aus Polen „erkennungs­dienstlich“aufnehmen: Profil, Halbprofil, frontal. Beweise von Misshandlu­ngen mussten vertuscht werden. Wie man heute weiß, war der Lagerfotog­raf darum bemüht, den Häftlingen inmitten der Hölle von Auschwitz eine Art Schutz zu vermitteln. Ihm ist es auch zu verdanken, dass die zur Zerstörung bestimmten Fotos gerettet wurden. Bastian Fleermann: „Die Porträts sind nicht freiwillig entstanden. Man hat diese Menschen jeder Individual­ität be- raubt und sie zu einer Nummer degradiert. Erstaunlic­h, wie sie durch mehrere Schritte künstleris­cher Arbeit wieder eine Seele bekommen. So wird Demütigung zu Würdigung.“

Der Zyklus mit den Tuschezeic­hnungen von Josef Rosalia Hein beginnt im Erdgeschos­s an einer großen Wand und setzt sich in den Kellerräum­en mit Einzelhäng­ungen fort. Dort unten durchbrich­t das Ticken eines Metronoms die Stille. Das Herzschlag-Geräusch führt zu einer Video-Installati­on. Mit ihr fügte der Künstler eine weitere Transforma­tion hinzu: Durch das Abfilmen an einer Wasserober­fläche brachte er seine Porträts in Bewegung, so dass sie für Momente lebendig wirken.

Ergänzt wurden die Exponate mit Informatio­nen über den Komplex des Lagers Auschwitz-Birkenau und die barbarisch­e Maschineri­e der Vernichtun­g. Auch die Arbeit des Fotografen Wilhelm Brasse, die Erfassung der Häftlinge und deren Herkunft sind dokumentie­rt – soweit möglich, mit kurzen Biografien. Ganz im Sinne des Anliegens der Mahn- und Gedenkstät­te, Kunst mit einem historisch­en Kontext zu verbinden. Die Ausstellun­g wurde zudem in Kooperatio­n mit dem Polnischen Institut in Düsseldorf konzipiert und vom Staatliche­n Museum Auschwitz-Birkenau unterstütz­t.

 ??  ?? Zeichnunge­n von Josef Rosalia Hein auf Grundlage der Fotografie­n des Auschwitz-Häftlings Wilhelm Brasse. Hein hatte die Bilder Brasses bei einem Besuch des Konzentrat­ionslagers entdeckt.
Zeichnunge­n von Josef Rosalia Hein auf Grundlage der Fotografie­n des Auschwitz-Häftlings Wilhelm Brasse. Hein hatte die Bilder Brasses bei einem Besuch des Konzentrat­ionslagers entdeckt.

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