Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Schuhmacher Schellenberger sagt Adieu
56 Jahre lang führte Günther Schellenberger mit seiner Frau Luise den Schuhmacherfachbetrieb in Osterath. Seit gestern ist der 79-Jährige im Ruhestand. Die Leidenschaft für das Handwerk ist ihm nie abhanden gekommen.
Es braucht nicht viel Zeit, um festzustellen, mit welcher Leidenschaft Günther Schellenberger seinem Beruf als Schuhmacher nachgegangen ist. Seine Augen beginnen noch immer zu funkeln, sobald er über sein Handwerk spricht. Schuhe sind für ihn nicht bloß ein normaler Alltagsgegenstand. „Jeder Schuh ist eine kleine Wissenschaft für sich“, sagt er.
Während des Gesprächs mit dem Schuhmacher-Meister kommen immer wieder Kunden in den kleinen Laden, bedanken sich für seine Arbeit, wünschen alles Gute für die Zukunft. Ein Mann überreicht ihm eine Flasche Wein und eine Karte, als er seine Schuhe zum letzten Mal abholt. Eine Kundin hat ihm sogar einen anonymen Brief geschrieben, in dem sie sich für einen Streich, den sie ihm mit einer Freundin vor 30 Jahren spielte, nach all den Jahren entschuldigt. Gesten wie diese sorgen für Tränen in den Augen des 79-Jährigen und seiner Frau Luise. „Der Kontakt zu meinen Kunden war mir immer sehr wichtig, scheinbar haben die Kunden das wertgeschätzt“, sagt Schellenberger.
Doch nun ist Schluss. Nach 56 Jahren hat sich Günther Schellenberger gestern von seinem Schuhmacher-Fachbetrieb an der Kaarster Straße, den er zusammen mit seiner Frau Luise führte, in den Ruhestand verabschiedet. „Denn man kann nicht arbeiten, bis man umfällt“, sagt er.
Seine Geschichte beginnt am 1. November 1938. Günther Schellenberg wird im fränkischen Hammelburg geboren. Bei seinem Onkel geht er 1953 in die SchuhmacherLehre, drei Jahre später absolviert er seine Gesellenprüfung. „Schon zur Lehrzeit war es immer mein Traum, eines Tages mal einen eigenen Betrieb zu haben“, sagt er. Doch nach der Gesellenzeit geht er erst einmal auf Wanderschaft. „Weiterbildungsmöglichkeiten gab es damals ja nicht“, berichtet er. Also zog es den 18-Jährigen zunächst in die Nähe von Bad Dürkheim in die Pfalz. Sein Onkel wohnte in Düsseldorf, wo es ihm gut gefiel, wenn er zu Besuch war. „Deshalb war es immer mein Wunsch, auch mal in Düsseldorf zu arbeiten“, sagt der 79-Jährige.
Am Karnevalssonntag 1958 führt ihn der Weg schließlich nach Büderich, wo er eine Gesellenstelle bekommt. Im ersten Moment ein Kulturschock, „denn Karneval in dieser Form war etwas absolut Neues für mich“, sagt er. In Büderich lernt er 1960 auf dem Schützenfest auch seine Ehefrau Luise, die gebürtig aus Osterath stammt, kennen. Sie sehen sich jedoch erst nach zwei Jahren wieder, werden dann ein Paar.
1961 entscheidet sich der damals 20-Jährige, nach Hannover auf die Meisterschule zu gehen. „Denn da hatte ich bereits die erforderlichen fünf Jahre als Geselle gearbeitet.“Noch im selben Jahr hält er als jüngster Anwärter auf der Schule den Meisterbrief in den Händen. Und um sich für den Notfall noch ein zweites Standbein aufzubauen, legt er auch noch die fachärztliche Prüfung als Fußpfleger ab. Nach der Meisterschule ziehen Günther Schellenberg und seine heutige Frau nach Osterath, um sich den Traum vom eigenen Betrieb zu erfüllen. „Als wir ein passendes Ladenlokal in Osterath gefunden haben, gab es vom Vermieter nur eine Bedingung: Er wollte nur an ein Ehepaar vermieten. Also mussten wir schnell heiraten“, sagt der Schuhmacher-Meister. Schon wenig später, am 24. Februar 1962, läuteten die Hochzeitsglocken. Sie bekommen in den folgenden Jahren drei Kinder, die ihnen fünf Enkel und zwei Urenkel bescheren. Am 7. März 1962 geht Schellenbergers Traum schließlich in Erfüllung. Er eröffnet auf der Düsseldorfer Straße (heute Meerbuscher Straße) seinen Schuhmacher-Fachbetrieb. Damals ein großes Risiko, „denn ich war der neunte Schuhmacher im Ort“, berichtet er. „Die Leute haben uns für verrückt gehalten. Es wurde gemauschelt, wir seien nach ein paar Wochen sowieso wieder weg“. Sie täuschten sich. Nach fünf Jahren zogen sie in ein anderes Ladenlokal auf der Hochstraße um. „Natürlich gab es wie in jedem Betrieb sowohl gute als auch schlechte Zeiten. Als Schuhmacher ist man ja zum Beispiel abhängig von der Schuhmode“, sagt er.
1977 kauften sie das Haus auf der Kaarster Straße, in dem sie heute noch wohnen und in dem auch der Betrieb beherbergt ist. Wieder gab es vor dem Kauf eine Bedingung. „Es war ein altes Schuhmacherhaus. Der Eigentümer wollte es nur an uns verkaufen, wenn wir die Tradition fortsetzen“, sagt Schellenberger. Er hielt sein Versprechen. Sogar über den gestrigen Tag hinaus. Denn eigentlich wollte Schellenberger schon vor drei Jahren aufhören. „Doch ich habe erst jetzt einen Nachfolger gefunden“, sagt er. Das war ihm wichtig. Am 1. März wird Andreas Willms aus Korschenbroich den Betrieb übernehmen. Somit bleibt der einzige verbliebene Schuhmacher-Fachbetrieb Osteraths bestehen.