Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schuhmache­r Schellenbe­rger sagt Adieu

- VON ADRIAN TERHORST

56 Jahre lang führte Günther Schellenbe­rger mit seiner Frau Luise den Schuhmache­rfachbetri­eb in Osterath. Seit gestern ist der 79-Jährige im Ruhestand. Die Leidenscha­ft für das Handwerk ist ihm nie abhanden gekommen.

Es braucht nicht viel Zeit, um festzustel­len, mit welcher Leidenscha­ft Günther Schellenbe­rger seinem Beruf als Schuhmache­r nachgegang­en ist. Seine Augen beginnen noch immer zu funkeln, sobald er über sein Handwerk spricht. Schuhe sind für ihn nicht bloß ein normaler Alltagsgeg­enstand. „Jeder Schuh ist eine kleine Wissenscha­ft für sich“, sagt er.

Während des Gesprächs mit dem Schuhmache­r-Meister kommen immer wieder Kunden in den kleinen Laden, bedanken sich für seine Arbeit, wünschen alles Gute für die Zukunft. Ein Mann überreicht ihm eine Flasche Wein und eine Karte, als er seine Schuhe zum letzten Mal abholt. Eine Kundin hat ihm sogar einen anonymen Brief geschriebe­n, in dem sie sich für einen Streich, den sie ihm mit einer Freundin vor 30 Jahren spielte, nach all den Jahren entschuldi­gt. Gesten wie diese sorgen für Tränen in den Augen des 79-Jährigen und seiner Frau Luise. „Der Kontakt zu meinen Kunden war mir immer sehr wichtig, scheinbar haben die Kunden das wertgeschä­tzt“, sagt Schellenbe­rger.

Doch nun ist Schluss. Nach 56 Jahren hat sich Günther Schellenbe­rger gestern von seinem Schuhmache­r-Fachbetrie­b an der Kaarster Straße, den er zusammen mit seiner Frau Luise führte, in den Ruhestand verabschie­det. „Denn man kann nicht arbeiten, bis man umfällt“, sagt er.

Seine Geschichte beginnt am 1. November 1938. Günther Schellenbe­rg wird im fränkische­n Hammelburg geboren. Bei seinem Onkel geht er 1953 in die Schuhmache­rLehre, drei Jahre später absolviert er seine Gesellenpr­üfung. „Schon zur Lehrzeit war es immer mein Traum, eines Tages mal einen eigenen Betrieb zu haben“, sagt er. Doch nach der Gesellenze­it geht er erst einmal auf Wanderscha­ft. „Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten gab es damals ja nicht“, berichtet er. Also zog es den 18-Jährigen zunächst in die Nähe von Bad Dürkheim in die Pfalz. Sein Onkel wohnte in Düsseldorf, wo es ihm gut gefiel, wenn er zu Besuch war. „Deshalb war es immer mein Wunsch, auch mal in Düsseldorf zu arbeiten“, sagt der 79-Jährige.

Am Karnevalss­onntag 1958 führt ihn der Weg schließlic­h nach Büderich, wo er eine Gesellenst­elle bekommt. Im ersten Moment ein Kulturscho­ck, „denn Karneval in dieser Form war etwas absolut Neues für mich“, sagt er. In Büderich lernt er 1960 auf dem Schützenfe­st auch seine Ehefrau Luise, die gebürtig aus Osterath stammt, kennen. Sie sehen sich jedoch erst nach zwei Jahren wieder, werden dann ein Paar.

1961 entscheide­t sich der damals 20-Jährige, nach Hannover auf die Meistersch­ule zu gehen. „Denn da hatte ich bereits die erforderli­chen fünf Jahre als Geselle gearbeitet.“Noch im selben Jahr hält er als jüngster Anwärter auf der Schule den Meisterbri­ef in den Händen. Und um sich für den Notfall noch ein zweites Standbein aufzubauen, legt er auch noch die fachärztli­che Prüfung als Fußpfleger ab. Nach der Meistersch­ule ziehen Günther Schellenbe­rg und seine heutige Frau nach Osterath, um sich den Traum vom eigenen Betrieb zu erfüllen. „Als wir ein passendes Ladenlokal in Osterath gefunden haben, gab es vom Vermieter nur eine Bedingung: Er wollte nur an ein Ehepaar vermieten. Also mussten wir schnell heiraten“, sagt der Schuhmache­r-Meister. Schon wenig später, am 24. Februar 1962, läuteten die Hochzeitsg­locken. Sie bekommen in den folgenden Jahren drei Kinder, die ihnen fünf Enkel und zwei Urenkel bescheren. Am 7. März 1962 geht Schellenbe­rgers Traum schließlic­h in Erfüllung. Er eröffnet auf der Düsseldorf­er Straße (heute Meerbusche­r Straße) seinen Schuhmache­r-Fachbetrie­b. Damals ein großes Risiko, „denn ich war der neunte Schuhmache­r im Ort“, berichtet er. „Die Leute haben uns für verrückt gehalten. Es wurde gemauschel­t, wir seien nach ein paar Wochen sowieso wieder weg“. Sie täuschten sich. Nach fünf Jahren zogen sie in ein anderes Ladenlokal auf der Hochstraße um. „Natürlich gab es wie in jedem Betrieb sowohl gute als auch schlechte Zeiten. Als Schuhmache­r ist man ja zum Beispiel abhängig von der Schuhmode“, sagt er.

1977 kauften sie das Haus auf der Kaarster Straße, in dem sie heute noch wohnen und in dem auch der Betrieb beherbergt ist. Wieder gab es vor dem Kauf eine Bedingung. „Es war ein altes Schuhmache­rhaus. Der Eigentümer wollte es nur an uns verkaufen, wenn wir die Tradition fortsetzen“, sagt Schellenbe­rger. Er hielt sein Verspreche­n. Sogar über den gestrigen Tag hinaus. Denn eigentlich wollte Schellenbe­rger schon vor drei Jahren aufhören. „Doch ich habe erst jetzt einen Nachfolger gefunden“, sagt er. Das war ihm wichtig. Am 1. März wird Andreas Willms aus Korschenbr­oich den Betrieb übernehmen. Somit bleibt der einzige verblieben­e Schuhmache­r-Fachbetrie­b Osteraths bestehen.

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Günther Schellenbe­rger und seine Frau Luise stehen in dem Ladenlokal auf der Kaarster Straße. Seit 1962 war er als selbststän­diger Schuhmache­r in Osterath tätig. Nun geht er in den Ruhestand.
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