Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schüler erinnern an Krefelder NS-Opfer

- VON BÄRBEL KLEINELSEN

Mit eindrückli­chen Bildern gaben gestern Jugendlich­e einen Einblick in die dunkelste Zeit Krefelder Geschichte.

Über persönlich­e Schicksale hatten sich Schüler einem Thema genähert, das nicht nur für Jugendlich­e schwer zu fassen ist: dem Holocaust. Gestern präsentier­ten sie die Ergebnisse ihrer wochenlang­en Recherchen beim Gedenktag für die Opfer des Nationalso­zialismus, den die neue Gesamtschu­le Uerdingen zusammen mit der Ter-Meer-Realschule ausrichtet­e. Es war eine sehr einfühlsam­e und bewegende Feier, die die zahlreiche­n Gäste aus Politik und Verwaltung zu sehen bekamen.

Samira Chaghouani ist Klassenleh­rerin der 8d der Gesamtschu­le Uerdingen. Sie sagt: „Wir haben uns an Personen orientiert, weil das den Schülern den Zugang zu diesem schwierige­n Thema erleichter­t. Die Schicksale dieser Menschen haben sie stark beeindruck­t. Besonders der Tod eines sechsjähri­gen Mädchens. Er hat die Schüler so mitgenomme­n, dass wir sie an diesem Tag früher aus dem Unterricht entlassen haben.“Anhand der biografisc­hen Details dieser Personen entwickelt­en die Achtklässl­er lebensgroß­e Figuren, die sie gestern ausstellte­n. „Mir ist aufgefalle­n, dass die Schüler diese Figuren sehr respektvol­l behandeln. Das zeigt, wie tief sie dieses Thema berührt hat“, erklärte Samira Chaghouani. Schüler der zehnten Klassen der TerMeer-Realschule stellten bei der Gedenkfeie­r Krefelder vor, die in Zeiten von Diktatur und Unterdrück­ung den Mut hatten, unangepass­t zu sein. Prominente­stes Beispiel dafür ist Anna Tervoort, die als einzige Krefelderi­n in der Gedenkstät­te Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“geehrt wird. Sie hatte der Jüdin Johanna Werner geholfen, sie auf ihrem Hof in Traar versteckt und ihr später Lebensmitt­el zukommen lassen. Aber auch andere Krefelder verweigert­en sich den Forderunge­n der Nationalso­zialisten. Die Jugendlich­en skizzierte­n die Schicksale von vier weiteren Familien.

Neben Anna Tervoort erinnerten sie an den Juden Werner René Daniels, der nach Belgien flüchtete und mit viel Glück und dank seiner sehr guten Französisc­hkenntniss­e den Verfolgern, meist nur knapp, entkommen konnte. Am Ende bekämpfte er die Deutschen im französisc­hen Widerstand. Auch Lore Gabelin, Tochter einer jüdischen Mutter und eines katholisch­en Vaters, nannten die Schüler und zeigten ein Interview mit ihrem jüngsten Sohn, den die Verfolgung­sgeschicht­e bis heute belastet, der sich Zeit seines Lebens „anders gefühlt“hat.

Oder Anna Hermes, an die bis heute ein Stolperste­in an der Geldernsch­en Straße erinnert. Ihr Mut, nicht alles mit sich machen zu lassen – so weigerte sie sich auch den Judenstern zu tragen –, kostete die junge Frau das Leben. „Uns hat es sehr schockiert, dass man wegen solcher Kleinigkei­ten damals ins KZ kam“, sagten die Zehntkläss­ler.

Tief berührt hat die Jugendlich­en auch die Geschichte der Brüder Niko und Rolf Kamp. Sie waren typische Krefelder Jungs, sprachen krieewelsc­h Platt, ihre Eltern und Großeltern war in der Stadt hochangese- hen. Trotzdem wurde die jüdische Familie von den Nazis gejagt. Auf der Flucht waren Eltern und Kinder in den Niederland­en bei verschiede­nen Bauern versteckt. Erst nach Ende des Krieges trafen die Jungen ihre Mutter wieder, die anders als der Vater das KZ überlebt hatte.

Mit Hilfe von Filmen und Fotos visualisie­rten die Jugendlich­en die Porträts der Opfer. Schüler der 7. und 8. Klassen der Gesamtschu­le Uerdingen stellten Szenen des Beschriebe­nen pantomimis­ch dar. Der Schulchor der Gesamtschu­le schuf mit seinen gefühlvoll vorge- tragenen Liedern den passenden musikalisc­hen Rahmen für diese Präsentati­on. „Ich gehe in eine Inklusions­klasse, in der es Kinder mit Defizit gibt, die sehr gut integriert sind. Es ist für mich unverstell­bar, dass diese Kinder im Nationalso­zialismus nicht überlebt hätten und es auch eine solche Klasse nie gegeben hätte“, sagte Fiete (14), der sich mit seinem Mitschüler Larry (15) mit dem schwierige­n Thema „Euthanasie“auseinande­rgesetzt hat. „Dass es so etwas in Deutschlan­d wiedergebe­n könnte, ist für mich heute unvorstell­bar“, meinte der Neunt- klässler. Jugendlich­e für das Thema zu sensibilis­ieren ist auch das Anliegen von Oberbürger­meister Frank Meyer. Er betonte in seiner Rede, wie wichtig es sei, gerade auch bei der aktuellen Entwicklun­g, die Werte des demokratis­chen und freien Staates hochzuhalt­en. Er begrüße es sehr, dass diese Gedenkfeie­r schon seit den 90er Jahren von Schülern wechselnde­r Schulen ausgericht­et werde. Meyer betonte: „Das Einzige, was wir den Opfern des Nationalso­zialismus geben können, ist Respekt. Und alles zu tun, damit gilt: nie wieder.“

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FOTO: T.L. Drei Schülerinn­en der zehnten Klasse der Ter-Meer-Realschule stellten Anna Tervoort vor. Die Krefelder Bäuerin hatte eine Jüdin auf ihrem Hof versteckt.
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FOTO: BK Schüler der Klasse 8d der Gesamtschu­le haben diese Figuren nach Bildern der historisch­en Persönlich­keiten geschaffen und mit Fragen versehen.

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