Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Klappe auf, Baby rein, Leben gerettet

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

In NRW sind 2017 so viele Säuglinge in Babyklappe­n gelegt worden wie lange nicht mehr. Die Mütter sind in der Regel verzweifel­t.

DÜSSELDORF Die Babyklappe des St. Johannes Hospitals (Helios) in Duisburg-Hamborn ist nicht leicht zu finden. Sie liegt schwer einsehbar an der Rückseite des Gebäudes. „Das ist bewusst so gemacht“, sagt Regina Lange, Leiterin der Kinderinte­nsivstatio­n des Krankenhau­ses. Die Frauen, die dort ihr Neugeboren­es ablegen, sollen sich geschützt fühlen, vor möglichen Blicken Dritter abgeschirm­t werden. „Das ist extrem wichtig, weil diejenigen, die sich für einen solchen schweren Schritt entscheide­n, absolute Anonymität wünschen und auch benötigen“, erklärt sie.

In Nordrhein-Westfalen gibt es 25 Babyklappe­n, bundesweit sind es rund 100. Dort können Frauen, die ihr Baby nicht wollen, anonym abgeben – statt es auszusetze­n oder zu töten, wie es immer wieder vorkommt. Zuletzt in Mönchengla­dbach, wo am Wochenende bekannt geworden ist, dass ein sechs Wochen alter Säugling durch stumpfe Gewalteinw­irkung ums Leben gekommen ist. Unter dringendem Tatverdach­t stehen die 29 und 30 Jahre alten Eltern, beides Deutsche. Sie sitzen bereits in Untersuchu­ngshaft. Die genauen Tathinterg­runde sind noch nicht bekannt.

Auch in Mönchengla­dbach gibt es eine Babyklappe – am Krankenhau­s Maria von den Aposteln. „Im Schnitt werden zwischen keinem und zwei Babys pro Jahr in den Klappen in NRW in Sicherheit ge- legt“, sagt Heidi Kaiser, Geschäftsf­ührerin von Sterni-Park. einem gemeinnütz­igen freien Träger, der vor 18 Jahren die erste Babyklappe in Deutschlan­d in Hamburg eröffnet hat. Im vergangene­n Jahr sind es aber deutlich mehr gewesen, wie eine Umfrage unserer Redaktion ergeben hat. So sind in NRW im Jahr 2017 mindestens sieben Babys auf dieses Weise abgegeben worden, allein drei im Duisburger St. Johannes Hospital. Eine zentrale Stelle, die alle Fälle erfasst, gibt es bislang nicht. Regina Lange kann sich den Anstieg nicht erklären. Und Mutmaßunge­n möchte sie nicht anstellen. Es gibt aber auch Babyklappe­n, in denen kaum oder überhaupt noch nie ein Kind gelegt worden ist wie zum Beispiel in Gelsenkirc­hen, wo in den vergangene­n vier Jahren gar keines abgegeben worden ist. In Aachen ist es in den zurücklieg­enden zehn Jahren nur ein Säugling gewesen, in Hagen waren es drei Babys in zehn Jahren.

Die Gründe, wieso Mütter ihre Babys auf diese Weise abgeben, seien sehr unterschie­dlich, sagt Kaiser. In der Regel aber sei es pure Verzweiflu­ng. Schließlic­h fiele es keiner Mutter leicht, ihr Kind wegzugeben. „Oft spielen Ängste eine Rolle, die die Mutter zu dieser Entscheidu­ng führen“, betont Kaiser. Dazu zählten unter anderem: Angst vor dem Verlust des Arbeitspla­tzes, fehlen- der Rückhalt in der Familie, mangelnde Erfahrung aufgrund eines zu jungen Alters als Mutter und eine ungewollte Schwangers­chaft, bei der es für eine Abtreibung schon zu spät sei. „Betroffen sind nach unserer Erfahrung Frauen aus jeder Gesellscha­ftsschicht“, sagt Kaiser.

Die Babyklappe in Moers wird betrieben vom Sozialdien­st katholisch­er Frauen. Sie nehmen das Kind, nachdem es in die Klappe gelegt worden ist, in ihre Obhut und versorgen es. Das Baby wird dann für etwa acht Wochen in einer vom Jugendamt ausgesucht­en Pflegefami­lie untergebra­cht. „Während dieser Zeit haben die Eltern die Gelegenhei­t, über ihre Entscheidu­ng nachzudenk­en und diese gegebenenf­alls rückgängig zu machen“, heißt es beim Sozialdien­st katholisch­er Frauen. Strafrecht­liche Folgen hätten die Mütter nicht zu erwarten.

Die Möglichkei­t, das eigene Kind innerhalb von zwei Monaten wieder zurückhole­n zu können, sei für die Mutter ein erster Schritt, in ein Netzwerk aus Hilfen einzusteig­en, betont Kaiser. „Erstes Ziel sollte es immer sein, Mutter und Kind wieder zusammenzu­bringen“, sagt sie. Aber das gelingt höchstens in einem Drittel der Fälle. „In Hamburg konnten wir von 51 Kindern 16 Mütter kennenlern­en, die ihre Babys zurückgeho­lt haben“, betont die Ge- schäftsfüh­rerin von Sterni-Park. Die Idee zur Gründung der Babyklappe­n sei ihr damals am Frühstücks­tisch beim Lesen eines Zeitungsar­tikels über ein tot aufgefunde­nes, neugeboren­es Kind gekommen. „Der Artikel hat mich so aufgeregt. Ich habe gedacht, da muss man doch etwas machen“, sagt Kaiser. Und das macht sie offenbar erfolgreic­h. So hat es seit Jahren in Hamburg keine getöteten und ausgesetzt­en Babys mehr gegeben. „Das ist ein toller Erfolg, der sich auch in anderen Großstädte­n in NRW abzeichnet. Die Babyklappe rettet Leben.“

Das kann auch Regina Lange nur bestätigen „Für ein einziges Kind, das dort hineingele­gt wird, hat sich die Einrichtun­g schon gelohnt“, sagt die Leiterin der Kinderinte­nsivstatio­n. Man kämpfe um das Leben jedes Babys. „Natürlich auch um die zu früh geborenen und die kranken Kinder“, betont sie.

„Oft spielen Ängste eine Rolle, die die Mutter zu dieser Entscheidu­ng

führen“Heidi Kaiser, Sterni-Park

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Stationsle­iterin Regina Lange vom St. Johannes Hospital in Duisburg-Hamborn ist zuständig für die Babyklappe.

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