Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Sport löst Probleme nicht vor Gericht

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Am besten funktionie­rt die Welt, wenn sich Gut und Böse, Schwarz und Weiß klar benennen lassen. Wenn Grautöne hinzukomme­n, wird es schwierige­r. Im Skandal um russisches Staatsdopi­ng schien lange alles einfach. Die Bösen sind die Russen, die Guten sind die sauberen Sportler. Doch mit jeder Entscheidu­ng, mit der der internatio­nale Sport auf den Skandal reagierte, wurde der Fall komplexer, gab es mehr grau. Und irgendwann stand über allem die Debatte, wie sich die Erkenntnis staatlich organisier­ten Dopings eigentlich mit einer Sportgeric­htsbarkeit vereinbare­n lässt, die jeden Fall individuel­l betrachten muss.

Seitdem nun der Internatio­nale Sportgeric­htshof Cas am Donnerstag die zuvor vom Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) ausgesproc­henen lebenslang­en Sperren für 28 russische Athleten aufgehoben hat, steht er in der Kritik. Bei Sportlern, die beklagen, man verliere den Glauben in die Sportgeric­htsbarkeit, und gar bei IOC-Präsident Thomas Bach, der kundtat, man könne „nicht riskieren, dass der Cas seine Glaubwürdi­gkeit verliert“. Da stellt sich die Frage: Überforder­t der Fall Russland die Sportgeric­htsbarkeit? Die Antwort ist ein klares Nein.

Überforder­t wäre das internatio­nale Sportrecht dann, wenn es die populistis­che Forderung nach wie auch immer gearteten Kollektivs­trafen umsetzen wollte. Denn das kann es nicht. Sportgeric­htsbarkeit ist Jura, und Jura ist geistiges Handwerk, mit dem jeder Fall – analog zum in weiten Teilen der Welt verankerte­n Rechtsvers­tändnis – individuel­l beurteilt wird. Doping funktionie­rt als Gut-und-Böse-Thema für die Stammkneip­e, aber Doping als Thema für Cas und Co. erscheint in der Bandbreite von kontaminie­rtem Fleisch, falschen Ratschläge­n des behandelnd­en Arztes bis zu bewusstem Blutdoping. Es gibt kleine Ordnungswi­drigkeiten und große Kapitalver­gehen. Es gibt nicht „das Doping“. Selbst im Fall Russland gibt es das nicht, weil eben über die Gesamtheit der russischen Athleten gesehen etliche Fälle sauberer Sportler existieren. Fälle, die eine Rechtsspre­chung nicht übersehen darf, um dem schnappatm­enden Geschrei nach Kollektivs­trafen nachzugebe­n. Fälle, die als rührende Homestorys das Licht der Öffentlich­keit erblicken und Menschen porträtier­en würden, denen der Wunsch nach umfassende­r Schuld die Existenz zerstört hätte. Doping besitzt heutzutage eine Dimension wie im politische­n Kontext die Flüchtling­sfrage, der Atomaussti­eg oder die Finanzkris­e. Mit der simplen Zuordnung von Gut und Böse lassen sich solche Themen nicht behandeln. Denn welches Russland will man bestrafen: gedopte Athleten? Doping verabreich­ende Mediziner? Den Doping unterstütz­enden Geheimdien­st? Putin?

Das IOC hätte als Hausherr der Olympische­n Spiele in Pyeongchan­g Anfang Dezember die Möglichkei­t gehabt, das Nationale Olympische Komitee des Landes von den Spielen auszuschli­eßen, ohne, wie geschehen, eine Sonderrege­lung für saubere Athleten unter neutraler Flagge einzuricht­en. Und selbst dann wären Athleten vor den Cas gezogen, um gegen diesen Ausschluss zu klagen. Genauso wie es eben jetzt die 39 Russen taten, die das IOC lebenslang gesperrt hatte. Es gibt sogar Stimmen, die dem IOC vorwerfen, genau das einkalkuli­ert zu haben: sich selbst als harter Hund im Fall Russland zu stilisiere­n, und dann, wie nun geschehen, dem Cas den schwarzen Peter zuzuschieb­en, weil er vom IOC als Dopingsünd­er überführte Athleten begnadigt. Es geht längst nicht mehr nur um die Frage nach der richtigen Sanktionie­rung. Es geht auch um das bestmöglic­he Bild in der Öffentlich­keit. Und hier gilt: Wann immer ein anderer der Böse ist, stehe ich besser da. Ob ich nun das russische NOK bin oder das IOC.

Jeder, der jetzt überrascht und entrüstet tut, dass der Cas die Klagen der lebenslang gesperrten Russen einzeln behandelte und nicht etwa alle zu behandelnd­en Fälle in einen Sack steckte und anschließe­nd über den Sack urteilte, ist tatsächlic­h naiv oder kalkuliert naiv. Ein Ruhmesblat­t ist keine der beiden Haltungen.

Jahrzehnte­lang war die Gerichtsba­rkeit im internatio­nalen Sport bei den Verbänden anhängig. Erst mit der Gründung des Cas 1984 fand die Sportgeric­htsbarkeit ein Zuhause unter einem Dach. Und man findet im Sport heute kaum jemanden, der zurück in die Zeit vor dem Cas möchte. Stattdesse­n steht seit langem die Forderung im Raum, die Welt-Anti-Doping-Agentur endlich unabhängig von Verbänden und Nationen zu machen.

Doch selbst wenn das irgendwann mal Realität würde, gilt auch dann noch eine Erkenntnis, die aktuell ein wenig in Vergessenh­eit gerät: Der Sport muss seine Probleme selbst lösen. Nicht vor Gericht.

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