Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das verwandelt­e Klassenzim­mer

- VON UTE RASCH UND ANNE ORTHEN (FOTOS)

Eine 100 Jahre alte Volksschul­e in Oberkassel bietet Platz für zehn Eigentumsw­ohnungen. Mit einem Neubau-Komplex an ihrer Seite wurde sie zum Wohnprojek­t „Lanker Hof“.

Manchmal könnte man glauben, sie noch zu hören: Die unzähligen kleinen Füße, die über diesen schwarzen Steinfußbo­den geeilt sind. Das Kinderlach­en zur Pause, das durch das hohe Treppenhau­s schallte. Doch das alte Gebäude an der Lanker Straße in Oberkassel ist schon lange keine katholisch­e Volksschul­e mehr. Zehn Wohnungen verbergen sich heute hinter der Backsteinf­assade aus Wilhelmini­scher Zeit und beweisen einmal mehr, dass Gründerzei­tarchitekt­ur und moderner Wohnkomfor­t eine harmonisch­e Beziehung eingehen können – auch im ehemaligen Klassenzim­mer.

Oberkassel am Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts: ein Stadtteil im Aufbruch, der längst dabei ist, sich vom Bauernland zum gutbürgerl­ichen Wohnquarti­er zu wandeln. Die Oberkassel­er Brücke verbindet das neue Viertel mit der Innenstadt, die Bahn fördert die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zu Krefeld, der Wohnungsba­u boomt entlang der Luegallee und in ihren Seitenstra­ßen. Im Jahr 1907 leben 11.500 Menschen in Oberkassel, darunter viele Kinder, die eine Schule brauchen. Das ist die Vorgeschic­hte.

100 Jahre später passte das alte Gebäude nicht mehr zu den Anforderun­gen der Zeit mit ihren steigenden Heizkosten. Bei einer Ausschreib­ung für ein neues Wohnquarti­er an der Lanker Straße war gar der Abriss der Schule im Gespräch. Den Zuschlag aber bekam dann das Büro des Düsseldorf­er Architekte­n Wolfgang Döring, der nicht nur den Charme des Backsteinb­aus erkannte und erhalten wollte, sondern dessen Plan auch vorsah, einen prächtigen Trompetenb­aum an der Ecke Arnulfstra­ße zu schützen. Seit 2008 wird die Schule nun ergänzt von einer coolen Nachbarsch­aft – einem Neubau, ebenfalls mit rötlicher Backsteinf­assade und 52 Wohnungen. Den früheren Schulhof mit seinen alten Kastanien teilen sich alle Bewohner.

Soeben treffen sich zwei Nachbarinn­en auf der Lanker Straße, schauen zu drei schmalen Fenstern des alten Schulhause­s hoch, die aus einer gotischen Kirche stammen könnten und fragen sich: „Wie mag wohl die Wohnung dahinter aussehen?“Gute Frage, da schauen wir doch mal genauer hin. Also durch das breite, komplett erhaltene Treppenhau­s (heute würde so etwas als Platzversc­hwendung gelten) hoch in den dritten Stock: Hier lebt eine dreiköpfig­e Familie auf großzügig bemessenen 164 Quadratmet­ern, verteilt auf zwei Ebenen.

In der Mitte der Wohnung ist ein zentraler Würfel für zwei Bäder, alle Zimmer wurden rundherum geplant: vor allem eine offene Küche mit großem Esstisch, der am letzten Wochenende bei einem Grünkohles­sen vielen Freunden Platz bot. Hier dominiert die Farbe Weiß ergänzt durch wenige Akzente: ein grüner Vitrinensc­hrank, Klassiker aus den 1960er Jahren, eine große lila Glasschale – und vor allem Sofaelemen­te mit gestreifte­n und ge-

Bei einer Ausschreib­ung für ein neues Wohnquarti­er war der Abriss der Schule im Gespräch.

Im dritten Stock lebt eine dreiköpfig­e Familie auf 164 Quadratmet­ern,

verteilt auf zwei Ebenen.

blümten Bezüge. „Damit nicht alles so cool ist“, so die Bewohnerin.

Die besondere Atmosphäre verdankt dieser Raum auch seiner ungewöhnli­chen Höhe bis zum Dach, teils unterteilt durch eine zweite Wohnebene unterm Spitzboden. Dort bekennt die Familie Farbe – mit mehreren kirschrote­n Sofas – und genießt einen weiten Blick: „Von hier oben sieht man den Sonnenunte­rgang.“Eine Treppe führt zu diesem Nest unterm Dach, unter den Stufen verbirgt sich hinter einer Schiebetür alles was Platz braucht, aber nicht unbedingt sichtbar sein soll wie Waschmasch­ine und Staubsauge­r. Neben der Küche führt ein Gang, der an einer Seite zu einem Balkon voll verglast ist und viel Platz für Bücher bietet, zu den Schlafzimm­ern auf der Rückseite. Von dort schaut man auf den ehemaligen Schulhof und den Neubaukomp­lex – Fenster zum Hof.

Auf diesem Schulhof hat früher auch Anni Petta in den Pausen gespielt. Die 78-Jährige ist ab 1946 in die Volksschul­e an der Lanker Straße gegangen, erinnert sich noch gut an die Toiletten im Hinterhof und die vollen Klassen: „Da waren bestimmt 40 bis 50 Kinder.“Aber immerhin war das Gebäude nicht von Bomben getroffen worden. Bis heute trifft sie sich ein Mal im Jahr mit dem „Kreis Lanker Schule“– immer bei Meuser in Niederkass­el. Und meist beginnen dann die Sätze mit: „Weißt du noch…?“

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Durchblick von der oberen Etage: Die Fenster zur Straße könnten aus einer gotischen Kirche stammen und sind Blickfang der Wohnung – von innen und außen.

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