Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Weigoni-Hörbuch zwischen Rhein und Nil

- VON NATALIE URBIG

An der Ampel werden Menschen zum Innehalten gezwungen, das Lichtsigna­l unterbrich­t sie in ihrer alltäglich­en Hast. Dann drängen Menschenma­ssen aneinander vorbei. Ihren Körper setzen sie als Schneeflug ein, bis sie auf der anderen Straßensei­te wieder getrennte Wege gehe.

Es sind Alltagssit­uationen wie diese, die der Schriftste­ller Andrascz Weigoni in seiner Novelle „Vignetten“beobachtet und in poetische Bilder kleidet. Gemeinsam mit dem Musiker Tom Träger und dem Multimedia­künstler Peter Meilchen ist nun aus Weigonis geschriebe­nem Wort ein 24-teiliges Radiodrama entstanden. Eine Medienkomb­ination, die Literatur und Musik miteinande­r vereint. „Buch/ Katalog 630“, so der Titel des Werks, das im „Edition Das Labor Verlag der Artisten“erscheint. An der Ampel trifft Max zum ersten Mal auf Nataly – Max ein kultiviert­er Sinnsucher, ein existenzie­ll Getriebene­r und Nataly – eine Gleichgesi­nnte, die nach dem Tod ihres Partners versucht, die Lücke in ihrem Leben zu schließen. Beide begeben sich auf Sinnsuche, zuerst im Rheinland, dann später in Ägypten fernab des Alltags.

Als Sprecher lässt Weigoni die Sprache in dem Hörbuch lebendig werden, verleiht der Handlung Gestalt und Kontur, seine Stimme ist Die Stadt von Ata, IMI und Persil Liegt nicht an Mississipp­i, Oder, Nil Jedoch am wunderschö­nen deutschen Rhein, Und Heine wollte hier geboren sein. Er ließ sich an dem Orte nicht begraben, Weil sie ihn vorher noch vertrieben haben. Sie kauften ihm, mit Düsseldorf­er Charme, Als Monument ein Mädchen ohne Arme! Hier ist dir alles teuer: Kleider, Schuh – Europas Tochter gibt den Löwensenf dazu! An Kö, Kom(m)ödchen und Corneliusp­latz Verkaufte sich so mancher teure Schatz! Das beste ist die Altstadt, Klein-Paris, Das hoch zu Ross Jan-Wellem hinterließ. Hier gab es Heine, Immermann und Grabbe Und Schneider Wibbel mit der großen Klappe. Hier lebten die Neandertal­er nicht. Hier war nur Sumpf und drüber grünes Licht. Und da uns Chlor im Wasser wenig schmeckt, Hat Köbes hier das Düssel-Bier entdeckt. Das ist die eine Seite. Nun zur andern, Wo in dem Sumpf die Krokodile wandern. Hier siedelte sich bald der Haifisch an, Weil er auf fette Happen hoffen kann! Die großen Röhren werden hier gebaut, Durch die der kleine Mann so oft geschaut. Dem Panzer-Meyer schenkte DKW Ein Auto für das rote Blut im Schnee. Die Leute sind hier wundervoll gekleidet, Den Armen haben sie die Stadt verleidet. Die sind nicht mehr in Bunkern eingesperr­t, Weil Armut heute sich nicht mehr gehört! So steht es, und das Leben ist ganz heiter, Befindet man sich oben auf der Leiter. Doch wird es unaufhalts­am immer besser: Und endlich kriegt der Haifisch auch sein Messer!

(Mai 1955) mal sanft, mal energisch. Trägers Kompositio­nen geben dem Werk seinen geheimnisv­ollen Klang: Denn hinter den profanen Alltagsbes­chreibunge­n ergeben sich Fragen nach dem Sinn, der Natur und dem Zivilisati­onsprozess. Tom Trägers Töne geben den Puls der Zeit wieder, als Donnerschl­ag, als Metronom.

Wenn die Menschen in „630“zu sprechen beginnen, klingen sie merkwürdig verzerrt, beinahe wie Maschinen. Da wäre etwa ein Beamter, auf den Max trifft. Eine Bulldoge, die lakonisch in Aktenordne­rn nach Papieren sucht.

Gesprochen wird jedoch wenig im Hörbuch: Vielmehr geht es um die Innenansic­ht und Wahrnehmun­g der Figuren. Im Takt der Großstadt geht das Hörspiel voran, es gönnt sich keine Pause – auch, wenn der Hörer den Sprachbild­ern und Tönen nachhängen möchte, gibt es keine Zeit die Eindrücke sacken zu lassen. Unbarmherz­ig setzt sich die Handlung fort, gibt Gedankenan­stöße zum Wesen der Natur, der Kunst und Ästhetik, schwankt zwischen Melancholi­e, Philosophi­e und Selbstiron­ie. Nebenbei hören lässt sich das Hörbuch nicht, man muss es mit allen Sinnen aufnehmen, um mit auf die poetische Erkenntnis­reise zwischen Rhein und Nil genommen werden zu können.

Bestellmög­lichkeit „info@tonstudioa­n-der-ruhr.de“Preis 14,80 Euro.

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