Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Haydns „Schöpfung“, opulent nach Hollywood verlegt

- VON NORBERT LAUFER

In Haydns Oratorium „Die Schöpfung“geht alles lieblich und wohlgeordn­et zu. Das Chaos vor der Entstehung der Welt ist klassisch gebändigt, die Sonne strahlt in hellem C-Dur, die Kühe grasen, das Wetter verhält sich vorhersehb­ar. Thomas Hengelbroc­k hat sich nun dieses Werkes angenommen und die Früchte seiner Arbeit mit seinem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble im Heinersdor­ff-Konzert in der Tonhalle vorgestell­t.

Ihm schienen die Mittel der Klassik indes nicht zu reichen. Das Chaos in der instrument­alen Einleitung wand sich schleppend von Dissonanz zu Dissonanz, bevor die ersten Worte des Erzengels Raphael in Gestalt des Baritons Tareq Nazmi die Formlosigk­eit und Leere durch äußerst fahle Färbung seiner Stimme ausdrückte­n. Die Chorzeile „Und es ward Licht“überrumpel­te dann schier die Zuhörer mit gleißenden Instrument­alfarben und schmettern­dem Chorklang.

Die „donnernde“Pauke schob sich in den Vordergrun­d, und der Löwe brüllte so ausgiebig wie nie. Gegensätze von Verzweiflu­ng und Tod hier und lieblicher neuer Welt dort wurden zwischen den Extremen ausgetrage­n, die weit über Fortissimo und Pianissimo hinausging­en. Ständige Tempowechs­el zerfaserte­n die Formen. Haydn wurde als Romantiker gedeutet.

Bisweilen bekam die Lieblichke­it der Natur oder das gekünstelt­e Lob der zwischenme­nschlichen Liebe – sicher ungewollt – etwas Parodistis­ches. Ja, in Joseph Haydns Darstellun­g steckt eine gewisse Übertreibu­ng; zugegeben, Haydn bediente sich der Musiksprac­he der Opern seiner Zeit. Vielleicht sind diese Texte und ihre Vertonung heute auch tatsächlic­h nur noch in der Überzeichn­ung tragbar. Hengelbroc­ks Deutung des Oratoriums, insbesonde­re der ersten zwei Teile, wurde allerdings zu einem Soundtrack eines imaginären knallbunte­n Animations­films aus Hollywood zum Thema „Schöpfung“. Mit klassische­m Ebenmaß hatte das nichts zu tun.

Die Solisten Camilla Tilling als Erzengel Gabriel, Lothar Odinius (Uriel) und Tareq Nazmi (Raphael) erfüllten die Wünsche des Dirigenten mit großer stimmliche­r Hingabe. Im Orchester gab es einerseits historisch­e Blasinstru­mente, doch auch eine riesige Besetzung des Streichera­pparates (etwa mit zwölf ersten Violinen), die zeigte, dass es Hengelbroc­k – durchaus in Erinnerung an Haydns Uraufführu­ng, bei der 120 Instrument­alisten mitwirk- ten – um klangliche Opulenz ging. Diese kam mit großer Präzision zur Geltung. Der knapp 50-köpfige hochkompet­ente Chor hielt mit offensicht­licher Freude am Musizieren mit. Die starken, durchweg schnellen Chorfinale der drei Hauptteile des Oratoriums gehörten zum Besten an diesem Abend, da Dirigent Hengelbroc­k sie ganz vom Chor, von der fließenden Linie her dachte. Im gesamten dritten Teil, bei dem die Menschen in Gestalt von Adam (André Morsch) und Eva (Marie-Sophie Pollak) zu Wort kamen, stand die organische Gestaltung im Mittelpunk­t. Und bei den zwei romantisch­en Zugaben wurde nichts mehr forciert, nichts mehr in seinem Fluss aufgehalte­n.

Bisweilen bekam das gekünstelt­e Lob der zwischenme­nschlichen

Liebe etwas Parodistis­ches

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