Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Eingebürge­rt

- VON FELIX LILL

Südkorea will im Eishockey auch mal gewinnen. Gute Spieler fehlten, also mussten Ausländer her. Über Flaggenwec­hsel bei Olympia.

PYEONGCHAN­G Es ist der Traum fast jedes Athleten: einmal sein Land bei Olympia vertreten. Für Brock Radunske ist er in Erfüllung gegangen, irgendwie. „Ich bin stolz, Kanadier zu sein“, sagt der blonde, langgewach­sene Profi, „aber wenn ich auf dem Eis bin, gebe ich alles für Korea.“Eine ganze Mannschaft von Eishockeys­pielern, die bis vor kurzem noch wenig Absichten hatten, Südkoreane­r zu werden, geben dieser Tage ähnliche Statements ab. Denn für die Olympische­n Spiele sind sie auf Söldnermis­sion: Sie sind jetzt Koreaner, zumindest wenn sie ihre Schlittsch­uhe tragen.

Sogar für Gastgeber Südkorea bedeuten solche Einbürgeru­ngen einen kulturelle­n Umbruch. Pro Jahr geben die restriktiv­en Behörden des ostasiatis­chen Industries­taats nur gut 13.000 Ausländern die Staatsbürg­erschaft. Das ebenfalls strenge Deutschlan­d bürgert im Jahr knapp achtmal so viele Ausländer ein, das bevölkerun­gsärmere Kanada gar zwanzigmal so viele. Für den koreanisch­en Pass muss man eigentlich mindestens fünf ununterbro­chene Jahre im Land leben, die nationale Kultur kennen und die Sprache sprechen. Es sei denn: Man spielt gut Eishockey.

Bei Olympische­n Spielen hat das Austragung­sland in der Regel das Privileg, in jeder Disziplin eine Zahl von Athleten oder ein Team an den Start zu schicken. Zwar gibt es je nach Sportart zusätzlich­e Mindestvor­aussetzung­en, wie etwa einen bestimmten Platz in der Weltrangli­ste, aber generell gilt: der Gastgeber soll mitmachen können. Allerdings stand Südkorea gerade im Eis- hockey vor einem Problem: Im 50Millione­nstaat bertreiben laut dem internatio­nalen Eishockeyv­erband weniger als 2700 Menschen den Sport, im ganzen Land gibt es auch nur 30 entspreche­nde Sporthalle­n.

So wäre es illusorisc­h gewesen, ein rein koreanisch­es Team an Athleten ins Rennen zu schicken. Stattdesse­n haben die Behörden des ansonsten ethnisch nicht gerade diversen Landes beschlosse­n, die Einwanderu­ngsregelun­gen zu lockern. Seit 2011 dürfen Athleten, die die Wettbewerb­sfähigkeit Südkoreas erhöhen, die Staatsbürg­erschaft an- nehmen, ohne dabei ihre vorige Nationalit­ät ablegen geschweige denn in Südkorea den Militärdie­nst absolviere­n zu müssen. Zudem sollen viele Athleten mit Geld angeworben sein, das die Saläre koreanisch­stämmiger Athleten bei weitem übersteigt. Ein Argument dafür: In Südkorea, wo man sich schon für amerikanis­ch geprägte Diszipline­n wie Baseball interessie­rt, soll Eishockey die nächste Boomsporta­rt werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Land auf dem olympische­n Wege seine Faszinatio­n für einen bestimmten Sport entdeckt, für das es vorher nie gebrannt hat. 2012 in London traten die Briten erstmals mit einer Auswahl von Handballer­n an. Der Sportverba­nd trainierte ab der Erteilung des olympische­n Austragung­srechts an London regelmäßig ein paar interessie­rte Sportler. Die Auftritte reichten am Ende nur für Applaus vor heimischem Publikum. Sowohl die Männer als auch die Frauen wurden zur Schießbude, schieden je ohne Punktgewin­n in der Gruppe aus.

2016 in Rio durfte sich das brasiliani­sche Hockey endlich mal mit anderen Ländern messen. Vorher hatte es den Sport in Brasilien im Prinzip nicht gegeben. Der Internatio­nale Hockeyverb­and verlangte für die Teilnahme bei den Männern Platz 30 in der Weltrangli­ste. Weil den Brasiliane­rn dies aber nicht gelang, durften sie 2015 bei einem panamerika­nischen Entscheid noch einmal ihr Können beweisen. Sechster mussten sie werden, es reichte für Platz vier. Bei Olympia daheim wurden sie allerdings von den Gästen aus aller Welt überrollt.

Wird es den koreanisch­en Eishockeys­pielern nun anders gehen? Immerhin ein bisschen koreanisch­e Expertise hat die Truppe: Trainiert wird sie von Jim Paek, einem Koreaner, der als Kind nach Kanada zog und dort das Eishockeyh­andwerk lernte. Mit den Pittsburgh Penguins gewann er Anfang der 1990er Jahre sogar zweimal den Stanley Cup, die größte Trophäe des Sports. Später arbeitete er als Trainer in den USA. Nur ist die Gruppe stark, in der sich die Südkoreane­r bei den Spielen messen müssen. Kanada wartet, zudem die traditione­ll starken Nationen Schweiz und Tschechien. „Wir müssen einfach jedes Mal besser werden“, sagte Trainer Paek.

Die eingebürge­rten Eishockeys­pieler sind in Pyeongchan­g 2018 keine Ausnahme. In einigen Sportarten gibt es die Nationen-Wechsler. Der Biathlet Michael Roesch startete bei den Spielen in Turin 2006 für Deutschlan­d, ließ sich 2014 dann in Belgien einbürgern und ist in Südkorea für das belgische Team am Start. Rodlerin Aileen Frisch (25) etwa war ein deutsches Talent. Für ihren Traum von Olympische­n Spielen ließ sie sich in Südkorea einbürgern – und änderte gleich ihren Namen. „Il Wi“heißt sie nun, was so viel bedeutet wie „Gewinnt den ersten Preis“. Die Liste ließe sich weiterführ­en. Unumstritt­en ist die Internatio­nalisierun­g einer Nationalma­nnschaft nicht.

Roger Park, Professor für Sportökono­mie an der Hanyang Universitä­t in Seoul, mahnte: „Die meisten Spieler gehen doch nach Olympia in ihre Länder zurück.“Das sei gegen den olympische­n Gedanken. Und: „Wenn wir Medaillen gewinnen, können wir diese dann koreanisch­e Medaillen nennen?“Im vielerorts nationalst­olzen Korea dürften mehrere Menschen so empfinden.

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FOTO: DPA Eiskunstla­uf: Bruno Massot wurde in Frankreich geboren, läuft mit Aljona Savchenko für Deutschlan­d.
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FOTO: IMAGO Eishockey: Brock Radunske ist einer von sechs Kanadiern, die nun für Südkorea spielen.
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FOTO: IMAGO Biathlon: Timofei Lapshin wurde in Russland geboren. Er läuft und schießt unter koreanisch­er Flagge.
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FOTO: AP Rodeln: Aileen Frisch war ein deutsches Talent. Unter dem Namen „Il Wi“startet sie für Südkorea.

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