Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Theaterman­n fährt zur Berlinale

- VON DOROTHEE KRINGS FOTO: THE STORYBAY UG / CAROL BURANDT VON KAMEKE

Julian Pörksen war Assistent von Christoph Schlingens­ief, ist Dramaturg in Köln und Autor. Nun feiert sein erster Langfilm Premiere.

KÖLN Aussteiger könnte man ja auch so werden: Ein Mann taucht in das Leben anderer Menschen ein. Er ist plötzlich da, feiert ungeladen bei einer Party mit, wird Teil einer unbekannte­n Beerdigung­sgesellsch­aft, sitzt bei Fremden in der Küche, schlüpft in deren Welt. Für Paul Zeise ist das nicht nur ein verlockend­es Gedankenex­periment. Die Hauptfigur in dem Film „Whatever happens next“probiert den Lebenstaus­ch einfach aus, wirft sich ungeschütz­t in das Abenteuer des Seins.

„Man kann diesen Aufbruch in andere Leben, in die völlige Unbestimmt­heit, als totale Freiheit verstehen“, sagt Julian Pörksen, „aber Paul zahlt einen Preis, er verliert sein eigenes soziales Umfeld. Es gibt

Julian Pörksen also auch ein asoziales Moment, wenn man so losgelöst leben will.“Pörksen hat sich die Geschichte des Lebens-Surfers Paul ausgedacht und einen Film daraus gemacht. Der wird nun bei der Berlinale, die am 15. Februar in Berlin beginnt, seine Premiere feiern. Für Pörksen ist es die zweite Teilnahme bei den Filmfestsp­ielen. Vor sechs Jahren hat er dort schon einen Kurzfilm gezeigt. Auch eine Aussteiger­geschichte, nur dass sich die Hauptfigur nicht wie Paul ohne Absicherun­g ins Leben wirft, sondern ganz daraus zurückzieh­t. In „Sometimes we sit and think and sometimes we just sit“zieht ein 50-jähriger Mann freiwillig ins Altenheim. Er will mit dem Getriebens­ein da draußen nichts mehr zu tun haben, wählt den Rückzug total.

„Noch vor wenigen Jahren waren Lebensläuf­e stark normiert. Man lernte etwas, fand einen Arbeitspla­tz, arbeitete dort oft lange Zeit“, sagt Pörksen, „heute müssen Menschen ihre Biografien selbst bauen, sie haben scheinbar viele Möglichkei­ten, aber in Wahrheit gibt es un- endliche Zwänge, prekäre Jobs, Selbstverm­arktung, die Menschen sind in der radikalen Leistungsg­esellschaf­t auf sich selbst geworfen, und das erzeugt Druck.“

Pörksen selbst ist Dramaturg. Seit zwei Spielzeite­n gehört er fest zum Team des Schauspiel­s Köln. Neben der Theaterarb­eit schreibt er eigene Stücke, eins davon wurde in Köln uraufgefüh­rt. Auch in einem Sachbuch ist er der Frage nachgegang­en, wie das Wirtschaft­ssystem mit seinem Produktivi­tätsgebot Menschen nötigt, ihre Zeit gewinnbrin­gend zu verbringen. „Verschwend­e Deine Zeit“nannte er das Buch.

Er selbst ist jetzt 32 und hat bisher nicht viel Zeit verschwend­et. Julian Pörksen ist in Freiburg aufgewachs­en. Sein Vater ist Literaturp­rofes- sor, seine Mutter Übersetzer­in. Mit 17 ging er für ein Sozialprak­tikum nach Nepal, arbeitete dort mit Lepra-Kranken und traf bei einem rituellen Totenfest rein zufällig auf den Theatermac­her Christoph Schlingens­ief. Der lud ihn ein, bei seinem Opernproje­kt in Manaus mitzuarbei­ten. Drei Monate hat Pörksen am „Fliegenden Holländer“im brasiliani­schen Regenwald mitgearbei­tet. Danach wurde er Schliengen­siefs Assistent, leitete ein Jahr dessen Büro. „Schlingens­ief war ein Künstler, der nie in Routinen verfallen ist, mit jedem Projekt wollte er etwas probieren, mit dem er sich noch nicht auskannte“, sagt Pörksen. Diese Fähigkeit, sich Neuem radikal zu öffnen, nie in eindeutige, parolenhaf­te Kunst zu verfal- len, hat den Assistente­n tief beeindruck­t.

Sein Vorhaben, nach seiner Zeit bei Schlingens­ief in Berlin Philosophi­e zu studieren, gab er bald auf, wechselte für ein Dramaturgi­estudium nach Leipzig. Damals machte er die ersten Versuche als Filmregiss­eur. Die Idee für die Geschichte über einen Mann, der ins Altenheim aussteigt, kam ihm allerdings im Theater. Er sah eine Inszenieru­ng von Handtkes „Publikumsb­eschimpfun­g“, in der eine halbe Stunde gar nichts passiert. „Trotz- dem ist in diesen Minuten im Theater sehr viel geschehen“, sagt Pörksen. Dass aus dem Nichtstun eine kollektive Erfahrung werden konnte, habe ihn fasziniert. „Darum wollte ich einen Film über die Passivität drehen, ohne dass der Film mit Ereignislo­sigkeit nervt.“Er mietete ein Zimmer an, renovierte es mit Freunden, richtete es ein wie ein Zimmer im Altenheim – und drehte los. Die meisten Schauspiel­er kannte er vom Theater. Das Budget von 5000 Euro zahlte er selbst.

Weil gleich dieser Kurzfilm-Erstling bei der Berlinale viel Beachtung fand, konnte Pörksen bei seinem Langfilmde­büt schon profession­eller vorgehen. „Ich habe viel Zeit investiert, um die richtigen Darsteller zu finden“, erzählt er. Für die Figur des Paul wurde er wieder am Theater fündig. Am Schauspiel Dresden sah er Sebastian Rudolph als Faust und wusste sofort, dass dieser Schauspiel­er jene Mischung aus Charme und Dreistigke­it spielen könnte, die einer braucht, der einfach in fremde Leben eindringt. Und ein Weilchen bleiben will. Dann schickte er Lilith Stangenber­g sein Drehbuch. Die war damals noch nicht in der starken, eigenwilli­g-riskanten Hauptrolle des Dramas „Wild“im Kino zu erleben gewesen, aber bereits als Theatersch­auspieleri­n gefragt. Auch sie ließ sich für Pörksens Geschichte begeistern, und so reist der junge Filmemache­r nun mit einem bemerkensw­erten Cast nach Berlin.

Dort freut er sich vor allem darauf, die Reaktionen des Publikums zu erleben. „Die Stille im Kino während der Vorführung ist ja schwer zu deuten, aber bei der Berlinale gibt es auch Publikumsg­espräche und Reaktionen anderer Filmemache­r“, sagt Pörksen. Er selbst könne erst mit einem Jahr Abstand sehen, wie sein Film wirklich geworden ist, noch seien die Dreharbeit­en viel zu nah. Eines könne er aber schon jetzt sagen, und da lächelt der Filmemache­r zufrieden: „Der Film ist so geworden, wie ich ihn haben wollte.“

„Der Film ist so geworden,

wie ich ihn haben wollte“

Regisseur

 ??  ?? Sebastian Rudolph und Lilith Stangenber­g in „Whatever happens next“.
Sebastian Rudolph und Lilith Stangenber­g in „Whatever happens next“.
 ?? FOTO: PÖRKSEN ??
FOTO: PÖRKSEN

Newspapers in German

Newspapers from Germany