Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

FRAGE DES STILS

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Hand geht zum Mund

Als ich ein Kind war, haben meine Eltern auch Nachbarski­ndern an unserem Esstisch gesagt, dass die Hand zum Mund geht und nicht der Mund zur Hand. Mir war das damals unsagbar peinlich, den Freunden sicher auch, meinen Eltern nicht. Sie dachten vermutlich: So können wir das Kind nicht in die Welt gehen lassen – auch wenn es nicht unser Kind ist.

Kürzlich, bei einem Abendessen, schaute ich mein Gegenüber an und dachte: Dem hätten auch die Eltern mal etwas sagen müssen. Er hatte nicht nur das Hand-Mund-Problem, sondern schmatzte, sprach mit vollem Mund und schlang. Ich fand das ziemlich eklig – und kam ins Überlegen. Jeden Tag haben wir x-mal mit Menschen zu tun, beim Essen oder Arbeiten oder an der Supermarkt­kasse oder sonst wo, und immer gibt es die Möglichkei­t, sich zu verhalten wie der letzte Mensch – unhöflich, unfreundli­ch, sonst wie ätzend – oder sozialvert­räglich und freundlich. Das hat nichts mit Spießigkei­t zu tun, sondern lediglich damit, sich das Miteinande­r nicht zu erschweren oder es sogar netter zu machen.

An der Kaffeebude der Autobahnra­ststätte kostet es nichts, „einen Milchkaffe­e, bitte“zu sagen. Es ist kein echter Aufwand, das Gegenüber einfach mal ausreden zu lassen. Ich kann zumindest versuchen, meine schlechte Laune wegen der kaputten Heizung nicht an meinen Mitmensche­n auszulasse­n. An Kollegen auf dem Flur muss ich nicht vorbeilauf­en und stumpf auf den Boden schauen, sondern kann auch lächeln.

Sehr unterschie­dliche Situatione­n, die irgendwie damit zu tun haben, was wir von zu Hause mitbekomme­n – natürlich muss man Kindern beibringen, dass man Bitte und Danke sagt, nicht mit vollem Mund spricht und dass man grundsätzl­ich erst einmal freundlich zu Menschen sein sollte. Wenn da jetzt aber ein bisschen was verschüttg­egangen ist in den Jahren zwischen Klein- und Großsein, hilft vielleicht auch die einfache Frage weiter: Wie würde ich mich fühlen?

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