Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Wahl der Qual

- VON HENNING RASCHE

DÜSSELDORF Wollte man die Lage der SPD beschreibe­n, so könnte man einfach auf einen Spruch von Andreas Brehme zurückgrei­fen. „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß“, sagte der Weltmeiste­r von 1990 einst. Was auch immer ein Sozialdemo­krat aufrichtet, wirft ein anderer herunter. Selbst das Mitglieder­votum über den Eintritt in eine große Koalition verläuft nicht reibungslo­s. Die einen werfen der Partei vor, den Wahlunterl­agen noch ein dreiseitig­es Werbeschre­iben für die Groko beigelegt zu haben, die anderen halten das Verfahren an sich für undemokrat­isch. Und dann schreibt die „Bild“, dass sogar ein Hund abstimmen könne. Das Springer-Blatt hatte einen Hund als SPD-Mitglied angemeldet und nun Wahlunterl­agen für „Lima“erhalten. Laut „Bild“ein Beleg für die leichte Manipulier­barkeit des Votums.

Man sollte das nicht zu ernst nehmen. Selbstvers­tändlich kann ein Hund nicht Mitglied der SPD sein. Die designiert­e Parteichef­in Andrea Nahles drohte der Zeitung sogar mit rechtliche­n Schritten. „Es wird kein Hund an dem Mitglieder­entscheid teilnehmen“, sagt sie. Mehr als eine Posse ist das nicht. Mit den übrigen Vorwürfen ist das nicht ganz so einfach. Auch wenn Sigmar Gabriel 2013 rechtliche Bedenken am Mitglieder­votum mit der Lakonie von Andreas Brehme als Blödsinn bezeichnet hat.

Der Hauptvorwu­rf gegen die SPD ist, dass das Votum der repräsenta­tiven Demokratie widersprec­he. Das Volk wählt Abgeordnet­e, die wiederum die Regierung wählen. Dazwischen, heißt es, schalte die SPD nun Parteimitg­lieder, deren Votum den Wählerwill­en verfälsche. Die Abgeordnet­en sind nach dem Grundgeset­z Vertreter des ganzen Volkes, in ihren Entscheidu­ngen frei und ausschließ­lich ihrem Gewissen unterworfe­n. Wenn nun einfache Parteimit- glieder bestimmten, wen die Parlamenta­rier zum Kanzler wählen, dann würde dieses Prinzip unterlaufe­n. Ein einfaches, nicht gewähltes Parteimitg­lied, lege das Wahlverhal­ten der Fraktion fest. Die SPD, so ist die Kritik zu verstehen, betrachte die Abgeordnet­en nicht als Abgeordnet­e des Volkes, sondern als Abgeordnet­e der Partei.

Vor vier Jahren hat das Bundesverf­assungsger­icht die Urabstimmu­ng der SPD zugelassen. Auch diesmal beschäftig­en sich die Karlsruher Richter mit dem Votum, einige Anträge haben sie bereits zurückgewi­esen. Es spricht wenig dafür, dass das Verfassung­sgericht die SPD aufhält. Das hat vor allem damit zu tun, dass das Gericht die Abstimmung nicht als einen staatliche­n Akt begreift. Es handele sich um eine innerparte­iliche Angelegenh­eit, schrieb es 2013. Die Abgeordnet­en seien nicht an das Votum gebunden. Martin Morlok, Parteienre­chtler aus Düsseldorf, sagt: „Ich habe keine verfassung­srechtlich­en Bedenken.“

Zugegeben, die Argumentat­ion des Gerichts klingt etwas weltfremd. Es ist unwahrsche­inlich, dass die SPD-Abgeordnet­en auf das Votum der Parteibasi­s pfeifen. Sie werden das Ergebnis, Groko oder nicht, wohl eher nicht als eins von vielen Argumenten in ihrer Abwägung begreifen, sondern sie werden sich – jedenfalls in der deutlichen Mehrzahl – daran halten. Das aber ist nicht schlimm. Denn, dass Mitglieder des Bundestage­s sich an ihrer Partei orientiere­n, ist parlamenta­rischer Alltag. Das ist auch schon deshalb nicht illegitim, weil sie auch wegen ihrer Parteizuge­hörigkeit gewählt werden.

In Artikel 38 des Grundgeset­zes steht, dass Abgeordnet­e nur ihrem Gewissen unterworfe­n sind. Die Vorstellun­g, dass sie deshalb ihre Entscheidu­ng nur mit sich selbst ausmachen, ist auch weltfremd. „Die Abgeordnet­en müssen nicht nur in ihre Brust hineinhöre­n“, sagt Martin Morlok. Überall sind Abgeordnet­e Einflüssen ausgesetzt. Sie spre-

„Die Abgeordnet­en müssen nicht nur in ihre Brust hineinhöre­n“

Martin Morlok

Staatsrech­tler aus Düsseldorf

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