Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Blockchain ist viel mehr als Bitcoin

- VON ANTJE HÖNING

Die Kritik an Bitcoins wächst. Doch die Technologi­e, die hinter der virtuellen Währung steckt, bietet viele Anwendunge­n. Sie kann Stromkonze­rne, Banken und Notare überflüssi­g machen.

DÜSSELDORF Jeden Tag sorgt Bitcoin für Schlagzeil­en: Mal steigt der Kurs rasant, dann stürzt er ab. Gestern startete Venezuela die Ausgabe einer staatliche­n Cyber-Währung: Jeder dieser „Petros“ist mit einem Barrel Rohöl aus den Reserven des Landes besichert. Zugleich warnen Ökonomen regelmäßig vor den Risiken, Zentralban­ken prüfen, ob und wie sie virtuelle Währung an die Kandare nehmen. Doch die Technologi­e, die hinter Bitcoin steckt, die Blockchain, ist fasziniere­nd und bietet Anwendunge­n in vielen Branchen. Mehr noch: Sie kann Stromkonze­rne, Banken und Notare teilweise überflüssi­g machen. Was ist eine Blockchain? Die Blockchain ist eine dezentrale Datenbank, in der alle Transaktio­nen penibel dokumentie­rt sind. Solche Transaktio­nen können Kontobeweg­ungen wie bei Bitcoin sein, aber auch Warenbeweg­ungen in der Logistik oder Stromverkä­ufe. Verschiede­ne Transaktio­nen werden dabei von Rechnern immer wieder zu Blöcken zusammenge­fasst, die verkettet sind (Blockchain heißt wörtlich „Kette von Blöcken“). Wichtig dabei: Die Informatio­nen sind nicht auf einem zentralen Computer gespeicher­t, sondern auf vielen Computern gleichzeit­ig. Und alle Beteiligte können jederzeit den aktuellen Stand einsehen. Was sind die Vorteile? „Nicht eine zentrale Instanz wacht über die Da- ten, sondern die Gemeinscha­ft aller Akteure“, sagt Marco Liesenjoha­nn, Blockchain-Experte des Branchenve­rbands Bitkom. „Das macht Anwendunge­n auf Basis der Technologi­e sicher.“Bei zentral verwaltete­n Daten bräuchten Hacker nur zentrale Punkte, um Daten manipulier­en zu können. Bei öffentlich­en Blockchain­s müsste dagegen das Netzwerk selbst angegriffe­n werden, alle angeschlos­senen Computer müssten von Änderungen der Hacker überzeugt werden. Ein weiterer Vorteil sei: „Nichts kann rückgängig gemacht werden, das schützt vor Fälschunge­n“, so Liesenjoha­nn. Welche Branchen können Blockchain nutzen? Die Technologi­e wurde ursprüngli­ch entwickelt, um digitales Bezahlen zu ermögliche­n. Doch längst gehen ihre Anwendunge­n darüber hinaus „Große Potenziale gibt es in der Logistik“, sagt Liesenjoha­nn. So hat die dänische Reederei Maersk mit dem US-Konzern IBM ein Blockchain-System entwickelt, das es jedem Beteiligte­n erlaubt, die Lieferung zu verfolgen - vom Verkäufer der Ware, dem Versichere­r, den Spediteure­n im Hafen bis zum Empfänger.

Auch Energiehän­dler wie Innogy suchen nach Anwendunge­n. „Im Energieber­eich kann ein Privatmann seinen Solarstrom an einen Nachbarn verkaufen, ohne dass ein Energiekon­zern oder Stadtwerk dazwischen­geschaltet ist“, sagt der Experte. Eine Revolution. Jahrzehnte lang war die deutsche Stromverso­rgung zentral organisier­t. Wenige Konzerne erzeugten Strom für alle. Künftig können viele Miniraftwe­rke in Firmen und Haushalten per Blockchain verknüpft werden.

Auch Versicheru­ngen, Zimmerund Auto-Vermittler können sie nutzen. So könnte ein geleastes Auto nur dann den Motor starten, wenn die Leasingrat­e eingegange­n ist, nennt die Finanzaufs­icht (Bafin) ein Beispiel. Es müsste nur eine Abfrage bei der Blockchain gestartet werden. Autoversic­herungen, bei denen bestimmte Konstellat­ionen hinterlegt sind, würden automa- tisch die Schadenreg­ulierung anweisen. Wer sind Gewinner und Verlierer? „Die Technik ist in allen Bereichen interessan­t, wo es heute noch Vermittler gibt“, sagt Liesenjoha­nn. Daraus ergeben sich auch Gewinner und Verlierer. Gewinner sind die Nutzer der Technologi­e: Sie können ihre Transaktio­nskosten erheblich senken. Bei Wettbewerb führt das zu sinkenden Preisen für Kunden. Verlierer sind dagegen die Vermittler, die überflüssi­g werden – also Beschäftig­te bei Banken, Versicheru­ngen, Mietwagenf­irmen, Internetpl­attformen wie Uber oder Energiekon­zernen. Sogar Notare könnten betroffen sein. „Ideal ist die Blockchain-Technologi­e auch für die öffentlich­e Verwaltung, etwa um Grundstück­s-Kataster zu führen. Auf Dauer kann sie bestimmte Tätigkeite­n von Notaren überflüssi­g machen“, so der Experte. In Entwicklun­gsländern, in denen es solche Kataster nicht gibt und in denen ungeklärte Eigentumsr­echte oft zu Konflikten führen, kann die Technologi­e dagegen ein Segen sein. Was ist mit dem Energiever­brauch? Bitcoin macht auch von sich reden, weil seine Herstellun­g viel Energie verbraucht. Das ist aber ein Problem von Bitcoin und nicht von Blockchain­s. „Jede Blockchain braucht ein Verfahren, mit dem Daten geprüft in die Blockchain abgelegt werden“, erklärte Liesenjoha­nn. Bei Bitcoins heiße das Verfahren „Proof of Work“. Dabei dürfen Prüfer mit mehr Rechenkraf­t öfter prüfen und werden dafür belohnt. So wird immer mehr Energie verbraucht. „Andere Systeme setzen auf andere Verfahren, etwa den ,proof of stake’“, erläutert er. Dabei dürfe jeder berechtigt­e Teilnehmer, Daten prüfen und in die Blockchain schreiben. Keine Abhängigke­it von Rechenleis­tung bedeute geringeren Energiever­brauch. Fazit: Der Energiever­brauch ist kein grundsätzl­iches Problem. Kein Wunder, dass Blockchain inzwischen als „neue Generation des Internets“gilt.

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