Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wer es nur gut meint, meint es nicht ernst“

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Der österreich­ische Philosoph sieht in der politisch korrekten Sprache die Gefahr einer Spaltung und Polarisier­ung unserer Gesellscha­ft.

DÜSSELDORF Er gehört zu den spannendst­en Denkern unserer Zeit: der österreich­ische Philosoph Robert Pfaller, der mit seinem Buch über die „Erwachsene­nsprache“und ihr Verschwind­en aus Politik und Kultur eine breite Debatte angestoßen hat. Am Sonntag wird Pfaller bei den „Düsseldorf­er Reden“zu erleben sein – eine Veranstalt­ung des Schauspiel­hauses und der RP. Ihr Vortrag heißt „Sprecht wie Mimosen. Handelt wie Bestien“. Das klingt für mich nach Verstellun­g, aber auch nach forschem Aktionismu­s. PFALLER Ich habe mit diesen Formulieru­ngen nicht meine Ratschläge oder Appelle formuliert, sondern versucht, drastisch jene Diskrepanz wiederzuge­ben, die derzeit unsere Gesellscha­ft prägt: Auf der einen Seite erleben wir eine gewaltige Erosion des Sozialen; eine Prekarisie­rung und Brutalisie­rung der Verhältnis­se, die nicht allein die Unterschic­hten erfasst, sondern bis weit in die Mittelschi­chten hineinreic­ht. Anders als in den 1970er Jahren müssen viele Menschen sich plötzlich scheinbar selbstvers­tändlicher­weise wieder Sorgen machen um ihren Arbeitspla­tz, ihre Krankenver­sicherung, ihre Pension. Auf der anderen Seite – jener der Kultur – beobachten wir eine Propaganda der sogenannte­n Sensibilis­ierung, die uns nahelegt, immer mehr Empfindlic­hkeiten an uns selbst wie an anderen zu entdecken. In deren Zug glaubt man sogar, erwachsene Menschen vor „Erwachsene­nsprache“warnen zu müssen. Die kulturelle Sensibilis­ierung ist nicht eine kleine Wiedergutm­achung für die sich ver- härtenden ökonomisch­en und sozialen Verhältnis­se, sondern die Vollstreck­ungsgehilf­in, die Komplizin des Neoliberal­ismus. Welche Folgen fürchten Sie? PFALLER Die auf der Ebene der Sprache und der Symbole angesiedel­ten Politiken der Rücksicht auf vermutete Empfindlic­hkeiten privatisie­ren und zerstören den öffentlich­en Raum. Also jenen Raum, in dem mündige politische Bürgerinne­n und Bürger ohne Ansehen der Person Argumente austausche­n und gemeinsame Interessen erkennen können. Zudem bedeutet die Umdeutung von sozialer Benachteil­igung in sogenannte Verletzbar­keit eine Umverteilu­ng des Leids und seiner Anerkennun­g nach oben – hin zu den akademisch­en Eliten. Die sozial wirklich Benachteil­igten sind nicht die verletzbar­sten; sie haben viel ernstere und massivere Probleme; zum Beispiel, dass sie nicht wissen, wie sie ihren Kindern die Zahnspange oder den Schulausfl­ug bezahlen sollen. Schließlic­h führen die Symbolpoli­tiken der Empfindlic­hkeit zu einer massiven Schwächung der Linken: sie ermögliche­n es rechten Populisten wie Trump, mit Hilfe von ein paar gezielten Vulgariäte­n sich als die „Männer des einfachen Volkes“zu präsentier­en – auch wenn sie in ihrer ökonomisch­en Politik alles andere sind und tun. Sie attestiere­n unserer Gesellscha­ft damit auch, dass sie zunehmend kindischer zu werden droht. PFALLER In den USA bezeichnet der Terminus „adult language“etwas Anstößiges, Obszönes. Bei uns in Europa dagegen gilt Erwachsenh­eit derzeit noch als eine Tugend. Man kann zu seinem besten Freund ermutigend sagen, ,komm, benimm dich wie ein Erwachsene­r’. Es ist aber zu befürchten, dass Europa hier, wie in vielen Dingen, eher glaubt, von den USA lernen zu müssen als umgekehrt. Was wir beobachten, ist eine neoliberal­e Propaganda, die den Leuten nahelegt, Empfindlic­hkeiten an sich zu entdecken. Dies führt zu einer verblödend­en Moralisier­ung der Politik: der am meisten Verletzte soll demnach am meisten Recht haben. Als ob Verletzthe­it schon ein Erkenntnis­vorteil und eine moralisch überlegene Position wäre. Das hat zur Folge, dass Menschen sich plötzlich eine Empfindlic­hkeit zuschreibe­n, die auf dem Niveau eines Kleinkinde­s liegt. Sich selbst zu infantilis­ieren, bedeutet Entpolitis­ierung. Jeder will dann nur noch der am meisten Verletzte sein. Stattdesse­n könnte man aber kleine Widrigkeit­en wie Mikroaggre­ssionen von sich abprallen lassen und lieber vernünftig darüber nachdenken, wie man sich mit anderen so zusammensc­hließen könnte, um die großen Widrigkeit­en wirksam zu bekämpfen – etwa Verwerfung­en auf den Finanzmärk­ten. Mündet auch unser Versuch, politisch korrekt sein zu wollen, in eine Art kommunikat­iver Erstarrung? Alle meinen es dann nur noch gut, doch niemand meint es ernst? PFALLER Das könnte man wohl so sagen – und es wäre eine brauchbare Faustregel zur Unterschei­dung zwischen Moral und Politik. Im Hinblick auf die Kunst hat der großartige Horst Janssen einmal gesagt: „Kä- the Kollwitz meinte es gut; Goya war es.“Man kann es auch so formuliere­n: Wenn man Probleme der Ökonomie und der sozialen Ungleichhe­it nicht auf der Ebene der Ökonomie zu lösen versucht, sondern sie stattdesse­n auf das Gebiet der Moral und der Kultur verlagert, dann löst man sie nicht nur nicht, sondern verschlimm­ert sie dadurch noch. Hat die „political correctnes­s“in unserer Gesellscha­ft nicht aber auch Positives bewirkt und Mentalität­en gewandelt? PFALLER Man kann wohl ohne Übertreibu­ng sagen: für das rücksichts­volle, vorsichtig­e Sprechen der Mittelschi­chten haben die Unterschic­hten sich noch nie auch nur irgendetwa­s kaufen können. Was die PC tatsächlic­h bewirkt hat, ist eine Spaltung und Polarisier­ung der Gesellscha­ft: Sie dient als Distinktio­nskapital, ähnlich wie prestigetr­ächtige Markenarti­kel, womit die besseren Leute sich von den ihrer Meinung nach schlechter­en unterschei­den können. Die PC führt auch dazu, dass es zum Beispiel kaum noch eine rebellisch­e Studentenv­ersammlung gibt, die sich selbst nicht sofort mit den komplizier­testen Sprachrege­lungen von ihren zentralen Interessen abbringt und paralysier­t. Nach Ihrer Wahrnehmun­g hegt unsere Gesellscha­ft eine paranoisch­e Furcht vor Intimität. Eine Entwicklun­g, bei der sich persönlich­es Ungemach zum Trauma wandelt. Was heißt das für die Me-Too-Debatte? PFALLER Ich teile weitgehend die Einschätzu­ng, die eine feministis­che Gruppe unserer Initiative „Adults for Adults“dazu vor Kurzem in der Tageszeitu­ng „Der Standard“veröffentl­icht hat: Der „hashtag-Aktivismus“erzeugt kein gesellscha­ftliches Bewusstsei­n, sondern eine Stimmung. Darum nützt er nicht der Sache der Frauen, sondern ganz anderen Interessen (was übrigens selbst einen Fall von Missbrauch der Frauen darstellt). Durch das unterschie­dslose Zusammenwü­rfeln unterschie­dlichster Erlebnisse und Tatbeständ­e scheint plötzlich alles nach Vergewalti­gung zu riechen. Dann braucht man nur noch mit dem Finger auf irgendjema­nden zu zeigen, und schon ist der – oder auch die – in der Öffentlich­keit ruiniert. Bezeichnen­derweise richtet sich das regelmäßig gegen fortschrit­tliche Kräfte. In den USA, die da schon ein bisschen weiter sind, trifft es oft auch feministis­che Professori­nnen oder Studierend­e, wie Laura Kipnis in ihrem Buch „Unwanted Advances“gezeigt hat. In keinem einzigen Fall ging es um Vergewalti­gung. LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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