Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

INTERVIEW ULRICH MATTHES „Vielleicht kommt Hollywood noch“

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Der 58-jährige Schauspiel­er erklärt, warum er nicht an den Pazifismus glaubt, ein Leben in Krefeld für ihn nicht in Frage kam und was Hollywood mit seinem Bauch zu tun hat.

DÜSSELDORF Das Drama „Fremder Feind“feierte seine Premiere unter dem Titel „Krieg“bei den Internatio­nalen Filmfestsp­ielen von Venedig. Das Erste zeigt es heute (20.15 Uhr). Ulrich Matthes spielt darin einen Mann, dessen Sohn als Soldat stirbt und der sich in die Einsamkeit einer Berghütte zurückgezo­gen hat. Bis ein Eindringli­ng sein Haus verwüstet und ein Kampf auf Leben und Tod beginnt. „Fremder Feind“spielt in einer kalten, dunklen Welt in den Bergen. Wie hat die Atmosphäre auf Sie gewirkt? ULRICH MATTHES Der Ort war ganz bewusst ausgesucht, er entsprach der seelischen Situation des Protagonis­ten. Er hatte diese extremen Erlebnisse durch den Tod seines Sohnes, durch den Freitod seiner Frau. Diese absolut unwirtlich­e, wahnsinnig kalte und einsame Atmosphäre ist also angemessen. Hat sie das Drehen erschwert? MATTHES Natürlich hatten wir als Team auch großen Spaß und aufregende Erlebnisse, weil wir zum Teil gar nicht mehr sprechen konnten: Die ganze Gesichtsmu­skulatur war eingefrore­n. Es war schon extrem, und als Schauspiel­er sucht man solche Herausford­erungen. Ihrer Figur widerfährt das Schlimmste, das einem passieren kann. MATTHES Das stimmt. Und ich konnte ich mich nicht wie bei historisch­en Figuren vorbereite­n, indem ich recherchie­re. Stattdesse­n waren Empathie und Fantasie gefragt. Die Szene, in der der Geistliche und der Offizier vom Tod des Sohnes berichten – das war ein wahnsinnig­er Drehtag. Ich war auch privat ganz zittrig. Wenn man sich vorstellt, wie viele Eltern das in der Realität schon erlebt haben, oder Partner – furchtbar. Der Vater ist Pazifist. Würden Sie sich selbst als Pazifisten bezeichnen? MATTHES Nein, aber ich zögere immer kurz, denn ich denke, man wirkt sympathisc­her wenn man „ja“sagt. Aber spätestens der Kampf der Alliierten gegen die Nazis hat uns gelehrt, dass es einen Punkt gibt, an dem Pazifismus nicht mehr weiterhilf­t. Spätestens wenn ein Land angegriffe­n wird, muss es sich wehren. Ich fürchte, man kann auch in Zukunft nicht davon ausgehen, dass alle Gesellscha­ften friedlich sind. Würden Sie so auch die Verrohung des Vaters erklären? MATTHES Ich glaube, auch das hat uns die Vergangenh­eit gelehrt. Es schlummern im Menschen nicht nur gute Eigenschaf­ten, sondern eben auch dunkle Seiten, Aggression­en. Und es konnte, wenn man es auf die Spitze treiben will, jemand die „Winterreis­e“von Schubert hören und sich davon berühren lassen, und anschließe­nd seiner Tätigkeit als KZ-Kommandant von Auschwitz nachgehen. Eine bedeutende Rolle von Ihnen war die des Joseph Goebbels. Hängt Ihnen diese noch nach? MATTHES Es ist mir wahnsinnig auf die Nerven gefallen, dass ich in den Jahren danach, sobald ich irgendwo aufkreuzte, nach Goebbels gefragt wurde. Nach dem Tatort „Im Schmerz geboren“mit Ulrich Tukur hat sich das ein bisschen geändert. Die Rolle des Goebbels ist für mich Vergangenh­eit. Natürlich gehört sie zu meiner schauspiel­erischen Biografie dazu, ich bin dieser Arbeit gegenüber auch absolut loyal, aber irgendwann ist es auch mal gut. Die ersten Rollen Ihrer Karriere hatten Sie am Theater Krefeld/Mönchengla­dbach. MATTHES Genau! Und ich habe übrigens den Oscar der „Rheinische­n Post“für die Rolle des Conférenci­er in „Cabaret“in Krefeld gewonnen. Nicht nur deshalb habe ich sehr gute Erinnerung­en an meine Zeit in NRW. Ich fand es schön. Ich muss gestehen, dass ich in Krefeld nicht mein gesamtes schauspiel­erisches Leben verbringen wollte, aber ich habe die Zeit sehr genossen. Ich habe große Rollen gespielt, habe mich wohl gefühlt an dem Haus. Und dann ging es ans Düsseldorf­er Schauspiel­haus. MATTHES Auch eine gute Zeit. Unter dem Intendante­n Günther Beelitz habe ich in einem Jahr vier große Rollen gespielt. Es hat mich übrigens sehr geärgert, dass dieser amusische Düsseldorf­er Oberbürger­meister, Thomas Geisel, darüber nachgedach­t hat, das Schauspiel­haus, das ich architekto­nisch für eine absolute Perle halte, platt zu machen. Die Stadt sollte stolz sein auf das Haus. Sie haben Rollen in Hollywood abgesagt. Zwei Mal. Warum? MATTHES Es waren Bauchentsc­heidungen. Ich hätte beide Male am Deutschen Theater in Berlin für ein halbes Jahr kündigen müssen. Wenn es Superrolle­n gewesen wären, mit einem der Großmeiste­r, hätte ich wahrschein­lich versucht, das Ganze zu organisier­en. So aber hätte ich zu viel aufgeben müssen. Und in Zukunft? MATTHES Tja, vielleicht kommt Hollywood noch. Das ist auch Zufall, und ich kann mich ja nicht über meine Karriere beklagen. SASKIA NOTHOFER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: DPA Ulrich Matthes spielt Arnold Stein, der seinen Sohn verloren hat. Dann bedroht ein Unbekannte­r seine Existenz.

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