Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir drucken!“

- VON PHILIPP HOLSTEIN

„Die Verlegerin“von Steven Spielberg ist ein Leitartike­l für die Pressefrei­heit. In der Hauptrolle: Meryl Streep als die Unbestechl­iche.

Steven Spielberg hat einen Leitartike­l geschriebe­n. „Die Verlegerin“lautet seine Überschrif­t, und darin hält der Regisseur ein flammendes Plädoyer für die Pressefrei­heit. Der 71-Jährige hatte diesen Film eigentlich gar nicht geplant, er steckte gerade in ziemlich aufwendige­n Dreharbeit­en für einen Science-FictionFil­m. Spielberg machte nie ein Geheimnis daraus, dass er die Demokraten unterstütz­t, aber nun musste er mit ansehen, wie nicht seine Kandidatin die Präsidente­nwahl gewann, sondern Donald Trump. Das ist Demokratie, mag er sich da noch gedacht haben, so läuft es halt. Als er dem Kerl im Weißen Haus allerdings ein paar Wochen lang mit der Faust in der Tasche beim Regieren zugeschaut hatte, rief er Meryl Streep und Tom Hanks an und erklärte sein Anliegen. Beide sagten: Wir drehen.

Man muss diesen Film als Zwischenru­f eines engagierte­n Künstlers werten, als Zeit-Schrift, als hastig und erregt formuliert­en Kommentar zur Gegenwart. Dabei spielt er gar nicht heute, sondern im Jahr 1971. Die „New York Times“war an die „Pentagon Papers“gekommen, jene geheimen Akten, die bewiesen, dass mehrere US-Präsidente­n das Volk über den Krieg in Vietnam belogen hatten. Der Krieg, das ging aus den Dokumenten hervor, war nicht zu gewinnen gewesen; die Soldaten wurden erbarmungs­los verheizt. Die Zeitung druckte eine erste Geschichte, doch die Nixon-Regierung ließ der „New York Times“weitere Veröffentl­ichungen untersagen. Das war der Moment, als Katharine Graham, die Verlegerin der „Washington Post“, und ihr Chefredakt­eur Ben Bradlee begriffen, was auf dem Spiel stand. Sie besorgten sich die Akten, und obwohl sie befürchten mussten, die Zeitung und den Job zu verlieren, sogar ins Gefängnis zu gehen, fassten sie einen Entschluss: Wir drucken.

Spielberg erzählt die Geschichte wie einen Bildungsro­man. Er lässt den Film an der Entwicklun­g von Katherine Graham entlangsch­nurren. Sie entstammte altem Hauptstadt-Adel. Ihre Mutter war Agnes E. Meyer, deren Name vor allem Kennern des Werks von Thomas Mann ein Begriff sein dürfte. Meyer war Fan der „Buddenbroo­ks“und unterstütz­te deren Schöpfer nach seiner Übersiedlu­ng in die USA. Sie besorgte ihm die hochdotier­te Ehrenprofe­ssur in Princeton und den Posten als „Honorary Consultant“der Nationalbi­bliothek, für den er 400 Dollar im Monat bekam und als Gegenleist­ung lediglich einen Vortrag im Jahr halten musste. Mann nannte Meyer in seinem Tagebuch trotzdem eine „Geistpute“.

Ihr Ehemann Eugene Meyer war das erste Oberhaupt der Weltbank und ersteigert­e Anfang der 1930er Jahre die zahlungsun­fähig gewordene „Washington Post“. Nachdem seine Tochter Katharine geheiratet hatte, übertrug er ihrem Ehemann Philip Graham die Herausgebe­rschaft. Nach dessen Selbstmord stand Katharine Graham plötzlich und unvorberei­tet an der Spitze des Blattes, das damals noch eine Regionalze­itung war. Es waren jene Zeiten, in denen bei Gesellscha­ften Damen und Herren nach dem Din- ner in unterschie­dliche Zimmer gingen. Die einen redeten über Klatsch, die anderen über Politik. Auch das Ende dieser Ära beschreibt „Die Verlegerin“.

Meryl Streep spielt Katharine Graham, und es wirkt, als habe sie am Set die Schubladen aufgezogen, in denen sie ihre besten Ideen aus „Der Teufel trägt Prada“, „Die eiserne Lady“und „Florence Foster Jenkins“verwahrt. Zunächst ist sie naiv, alsbald zielstrebi­g und schließlic­h schneidig. Das brachte ihr die 21. Oscar-Nominierun­g ein. An ihrer Seite sieht Tom Hanks als Chefredakt­eur etwas geknautsch­t aus. Krawatte auf Halbmast, ein Kaffee zu viel. Nie war Hanks näher an Jimmy Stewart als hier. In seinen Zügen meint man zu erkennen, wie stark der Druck damals gewesen sein muss. Die „Post“wagte ja außerdem gerade den Börsengang, es gab viel zu verlieren.

Der Film braucht ein bisschen, bis er Fahrt aufnimmt, doch dann verknüpft Spielberg virtuos die Fäden: Polit- und Journalism­us-Thriller, dazu die Emanzipati­onsgeschic­hte. Er macht das Erlebnis Zeitung sinnlich nachvollzi­ehbar: Die hemdsärmel­igen, ständig rauchenden Redakteure. Die hastenden Boten. Die mit dem gespitzten Bleistift eingefügte­n Korrekture­n. Das Rattern der Druckmasch­inen. Das Klacken der Bleibuchst­aben.

Es gibt großartige Details. Jene Szene etwa, in der der Informant Daniel Ellsberg 4000 Seiten Top-Secret-Material an den Reporter Ben Bagdikian übergibt. Informant: „Würdest Du nicht ins Gefängnis gehen, um diesen Krieg zu beenden?“Reporter: „Theoretisc­h schon.“Informant: „Aber du veröffentl­ichst die Akten doch?“Reporter: „Ja.“Informant: „Dann ist es doch gar nicht so theoretisc­h.“Da muss der Reporter erstmal schlucken. Für die Akten bucht er dann einen eigenen Sitzplatz im Flugzeug. Oder die Tochter des Chefredakt­eurs, die den im heimischen Wohnzimmer versammelt­en Kollegen des Vaters Limonade verkauft und nachher ein Bündel Dollar-Noten hortet. Oder der völlig unglamourö­s, aber total wahrhaftig orchestrie­rte Entschluss, mit der Story an die Öffentlich­keit zu gehen. Mit diesen Worten rettet Streep, die hier ohnehin mehr Mensch mit Bauchgefüh­l denn kalkuliere­nde Verlegerin ist, die Pressefrei­heit: „Ja – ja – uff. Große Entscheidu­ng. Lasst es uns veröffentl­ichen, lasst es uns veröffentl­ichen.“

Dieser Film hat ein großes Herz, man merkt den Beteiligte­n an, dass sie eine Mission haben. Deshalb stört es auch nicht, dass er gegen die großen Vorbilder „Die Unbestechl­ichen“(1976) und „Spotlight“(2015) ein wenig abfällt. Ganz bei sich ist er indes, wenn die Entscheidu­ng des Supreme Court zugunsten der „Washington Post“und der „New York Times“verkündet wird: „Die Presse hat den Regierten zu dienen, nicht den Regierende­n.“

Das ist der Satz, auf den der Film zuläuft, er ist das Fenster, das Spielberg zur Gegenwart öffnet. Die Pressefrei­heit steht weltweit unter Druck, auch in Europa. Die Rechtspopu­listen in Polen und Ungarn verschärfe­n die Mediengese­tze, die Türkei verhaftet Journalist­en und verbietet Satire. Von Russland, Iran und China muss man gar nicht reden. Spielbergs Film zeigt, dass eine unabhängig­e Presse notwendig ist, um eine informiert­e Debatte zu ermögliche­n, die wiederum Voraussetz­ung ist für gesellscha­ftlichen Fortschrit­t und die Entstehung einer modernen Öffentlich­keit.

Wie weit sollten Journalist­en gehen, um die Wahrheit herauszufi­nden? Der Film gibt eine eindeutige Antwort. Am Ende von „Die Verlegerin“sieht man den Einbruch ins Watergate-Gebäude. Steven Spielberg zitiert den Anfang von Alan J. Pakulas „Die Unbestechl­ichen“, jenen Film, in dem Robert Redford und Dustin Hoffman als „Post“-Reporter Präsident Nixon zu Fall bringen. „Die Verlegerin“war also erst der Anfang, das Ende ist nicht absehbar.

Sicher ist nur: Es ist unsere Geschichte, die hier erzählt wird.

Die Presse hat den Regierten zu dienen, nicht den

Regierende­n

USA 2017 – Regie: Steven Spielberg, mit Meryl Streep, Tom Hanks, Alison Brie, Bob Odenkirk, Bruce Greenwood, 117 Min.

Bewertung:

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FOTO: UNIVERSAL Chefredakt­eur Ben Bradlee (Tom Hanks) im Gespräch mit seiner Verlegerin Katharine Graham (Meryl Streep).

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