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Gericht vertagt Urteil zu Fahrverbot­en für Diesel

- VON BIRGIT MARSCHALL

Das Bundesverw­altungsger­icht erwägt eine schrittwei­se Regelung: Zunächst könnten nur die älteren Euro-4-Modelle betroffen sein.

BERLIN/LEIPZIG Für Millionen Fahrer von Dieselauto­s geht die Zitterpart­ie weiter: Das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig vertagte gestern seine Urteilsver­kündung über mögliche Diesel-Fahrverbot­e in deutschen Städten auf kommenden Dienstag. Wie die Richter dann entscheide­n, ließ sich aus der rund vierstündi­gen Verhandlun­g in Leipzig kaum ablesen. Sowohl die Kläger, die Deutsche Umwelthilf­e, als auch die Beklagten, die Länder Baden-Württember­g und NordrheinW­estfalen, sahen Anhaltspun­kte für einen möglichen Erfolg in dem Rechtsstre­it. Allerdings rechnen beide Parteien damit, dass das Gericht kommende Woche eine Entscheidu­ng fällt – und sie nicht dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) überlässt. „Wir gehen fest davon aus, dass das Gericht selbst entscheide­n wird“, sagte Umwelthilf­eChef Jürgen Resch.

In 70 deutschen Städten, darunter Köln, Düsseldorf, Stuttgart, München, Hamburg und Berlin, werden die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte der EU bereits seit 2010 überschrit­ten. In dem Leipziger Verfahren geht es um die Frage, ob die betroffene­n Städte ohne ein entspreche­ndes Bundesgese­tz eigenmächt­ig Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge anordnen können, um für bessere Luft zu sorgen. Das Leipziger Gerichtsur­teil könnte also den rechtliche­n Weg zu Fahrverbot­en der Kommunen ebnen. Bis es tatsächlic­h dazu käme, könnten mehrere Wochen vergehen.

Die Verwaltung­sgerichte in Stuttgart und Düsseldorf hatten zuvor nach Klagen der Umwelthilf­e die örtlichen Behörden verpflicht­et, ihre Luftreinha­ltepläne so zu verschärfe­n, dass die Schadstoff­grenzwerte möglichst schnell eingehalte­n werden. Dabei hatte das Gericht in Stuttgart ausdrückli­ch auch Fahrverbot­e als wirksamste­s Mittel genannt. Das Düsseldorf­er Gericht urteilte milder, zog aber ebenfalls Fahrverbot­e in Betracht. Die Länder Baden-Württember­g und Nordrhein-Westfalen haben daraufhin mit einer sogenannte­n Sprungrevi­sion reagiert: Die höhere Instanz in Leipzig soll nach dem Willen der Länder die Urteile in Stuttgart und Düsseldorf aufheben.

In dem Verfahren spielt auch die EU eine wichtige Rolle. Wegen der jahrelange­n Überschrei­tung der europäisch­en Grenzwerte hat Brüssel gegen Deutschlan­d und neun weitere Staaten ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren eingeleite­t. Zudem erwägt die Brüsseler Kommission eine Klage gegen Deutschlan­d vor dem EuGH. In Leipzig betonte der Vorsitzend­e Richter Andreas Korbmacher, dem EuGH reiße wegen der anhaltende­n Grenzwert-Überschrei­tungen allmählich der Geduldsfad­en. Beispielha­ft dafür war gestern auch ein Urteil des EuGH gegen Polen, das seit Jahren zu wenig gegen die Luftversch­mutzung tut.

Ausführlic­h erörterten die Leipziger Richter die Verhältnis­mäßigkeit von Fahrverbot­en, die für die betroffene­n Autohalter erhebliche Einschränk­ungen und Wertverlus­te bedeuten würden. Richter Korbmacher brachte dabei ein schrittwei­ses Vorgehen ins Spiel. Denkbar sei, zunächst nur Diesel der Abgasnorm Euro-4 (galt von 2005 bis 2009) und dann erst Euro-5-Fahrzeuge (2009 bis 2014) mit einem Fahrverbot zu belegen. Die Behörden müssten sich mit Blick auf die Verhältnis­mäßigkeit Gedanken über die Zeitschien­e machen.

Auch die praktische Umsetzbark­eit und Kontrollie­rbarkeit von Fahrverbot­en spielte eine wichtige Rolle. Darauf verwiesen die Anwälte von Baden-Württember­g und Nordrhein-Westfalen. Fahrverbot­e seien nicht zu kontrollie­ren, sagten sie. Die Behörden müssten dazu Fahrzeuge anhalten und in die Papiere schauen. Das sei nicht praktikabe­l.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) forderte die Bundesregi­erung daher auf, die Einführung einer „Blauen Plakette“gesetzlich zu regeln: „Anders ist das nicht zu händeln.“Zuständig dafür sei der Bund: „Der ist für den Emissionss­chutz zuständig.“Plaketten seien kontrollie­rbar, mit wenigen Schildern umsetzbar und führten bundesweit zu gleichen Spielregel­n.

Die Grünen forderten die Bundesregi­erung auf, die Autoindust­rie auf kostenlose Hardware-Nachrüstun­gen der Dieselauto­s zu verpflicht­en. „Der Bundesverk­ehrsminist­er hat es jetzt in der Hand und muss die verpflicht­ende Weisung an die Autobauer erteilen, die betroffene­n Fahrzeuge auf eigene Kosten technisch nachzurüst­en“, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock: „Die Ängstlichk­eit der Bundesregi­erung vor der Autobranch­e darf nicht länger das politische Handeln bestimmen. Bei Fahrzeugen, die für den Export bestimmt sind, wurde ja bereits nachgerüst­et – unmöglich kann es ja nicht sein.“

Niedersach­sens Umweltmini­ster Olaf Lies (SPD) verlangte von Berlin, die Voraussetz­ungen für die Umrüstunge­n zu schaffen: „Es wird Zeit, dass der Bund rechtliche Fragen zu Zulassung, Gewährleis­tung und Kostenüber­nahme von HardwareNa­chrüstunge­n klärt.“Eine Expertengr­uppe hatte dem Bundesverk­ehrsminist­erium geraten, Nachrüstun­gen „ganz oder teilweise“aus Steuermitt­eln zu finanziere­n. Das hatte Empörung ausgelöst. Die Autoindust­rie weigert sich bisher standhaft, die Kosten für die Nachrüstun­gen zu übernehmen. Sie würden pro Auto zwischen 1500 und 3300 Euro kosten.

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