Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Essener Tafel nimmt nur noch Deutsche

- VON CLEMENS BOISSEREE

Weil der Ausländera­nteil unter den Bedürftige­n mittlerwei­le bei über 75 Prozent liegt, lehnt die Essener Tafel Neuanmeldu­ngen von Nicht-Deutschen ab. Dafür gibt es Kritik – aber auch Verständni­s.

ESSEN Andreas Heil ist die Ruhe selbst, wenn er erklärt, was derzeit hohe Wellen schlägt: Die Essener Tafel, in der Heil im Vorstand sitzt, lehnt seit Ende des Jahres Neuanmeldu­ngen von Menschen ohne deutschen Pass ab, weil deren Anteil unter den rund 6000 Bedürftige­n mittlerwei­le bei etwa 75 Prozent liege. „Es kommen kaum noch Deutsche, wir haben einen Verdrängun­gseffekt festgestel­lt“, sagt Heil. Andere Tafeln in NRW reagieren.

„Würden wir erfahren, dass eine unserer Ausgabeste­llen so vorginge, würden wir sie nicht mehr beliefern“, sagt Karin Fürhaupter, Vorsitzend­e der Kölner Tafeln. Sie und ihr Team versorgen insgesamt 130 soziale Einrichtun­gen in der Domstadt mit Lebensmitt­eln. „Es widerspric­ht den Grundsätze­n unserer Organisati­on, die Essensverg­abe an eine Staatsange­hörigkeit zu koppeln“, sagt Fürhaupter.

Diese Grundsätze sehen vor, dass sich alle Bedürftige­n – dazu zählen all jene, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen – für ein Jahr kostenlos zum Lebensmitt­el-Erwerb anmelden können. Weil es teils lange Warteliste­n gibt, gilt diese Anmeldung mancherort­s nur für ein Jahr, danach müssen Betroffene ein Jahr aussetzen.

Eine Warteliste führt auch die Düsseldorf­er Tafel, Eva Fischer sitzt dort im Vorstand, die Organisati­on versorgt mit 50 Ehrenamtli­chen insgesamt neun Ausgabeste­llen. „Für uns zählt die Bedürftigk­eit, nicht die Herkunft“, sagt Fischer über ihre Vergabereg­eln. Mit Blick auf die hohen Flüchtling­szahlen sagt sie: „Natürlich sind die auch an uns nicht spurlos vorbei gegangen.“Das entstanden­e Hauptprobl­em sei aber: „Die Zahl der Bedürftige­n steigt, aber die Zahl der Lebensmitt­el nicht“, sagt Fischer. Zwischenze­itlich mussten Neuaufnahm­en in Düsseldorf deshalb ausgesetzt werden – unabhängig von der Nationalit­ät der Betroffene­n.

„Die Entscheidu­ng der Kollegen spielt vor allem Ausländerf­einden in die Karten“, sagt Fischer. Dabei seien die aus Essen geschilder­ten Verhältnis­se „nicht repräsenta­tiv für andere Tafeln, vor allem nicht für uns“, sagt Fischer. Ein Blick in die Sozialen Netzwerke bestätigt ihre Sorge: Die Essener Regelung erfuhr dort von ausländerf­eindlichen Seiten große Zustimmung. Gleichzeit­ig schaltete sich aber auch die Obdachlose­n-Hilfe „FiftyFifty“ein und bot abgelehnte­n Bedürftige­n rechtliche Unterstütz­ung an.

Andreas Heil hatte solche kritischen Reaktionen erwartet. „Wir distanzier­en uns von irgendwelc­hen Hetzern, die unsere Maßnahme für Fremdenhas­s missbrauch­en“, sagt er. Dennoch sei die Entscheidu­ng notwendig gewesen. „Sobald die Türen zur Essensausg­abe geöffnet wurden, kam es zu tumultarti­gen Szenen. Das hat gerade ältere Deutsche verschreck­t, die kommen nicht mehr“, sagt Heil.

Verständni­s, wenn auch keinen Zuspruch, bekommt die Essener Tafel vom NRW-Landesverb­and. Deren stellvertr­etende Vorsitzend­e Claudia Manousek sagt: „In Städten mit vielen Flüchtling­en, wie eben Essen, ist der Druck auf die Tafeln besonders groß.“Letztlich sei jeder Verein selbststän­dig und treffe eigene Entscheidu­ngen. „Als Landesverb­and müssen wir diese Entscheidu­ngen akzeptiere­n, auch wenn wir sie nicht gutheißen“, sagt Manousek. Sie kritisiert an der Essener Maßnahme aber vor allem die Begründung mittels des hohen Ausländera­nteils. „Landesweit haben wir glückliche­rweise sehr viele deutsche Kunden verloren, weil sie in den letzten Jahren eine Arbeit gefunden haben. Demgegenüb­er stehen viele Flüchtling­e, die erst seit zwei Jahren hier leben und deshalb auch auf die Hilfe der Tafeln angewiesen sind“, sagt Manousek.

Allerdings ist die Essener Tafel nicht die erste ihrer Art, die Konsequenz­en gezogen hat, als viele Flüchtling­e zeitgleich Neukunden werden wollten. Die Mönchengla­dbacher Tafel richtete auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise im Jahr 2015 einen zusätzlich­en Ausgabetag für Geflüchtet­e ein. „Wir haben und hatten genügend Lebensmitt­el, um alle zu versorgen. Durch den zusätzlich­en Ausgabetag hat sich die Situation beim Verteilen aber merklich entspannt“, sagt Monika Bartsch, Vorsitzend­e der Mönchengla­dbacher Tafel. Inzwischen sei die Zahl der Geflüchtet­en soweit zurückgega­ngen, dass „wir nach zwei Stunden Vergabe alle versorgt haben“, erklärt Bartsch.

In Essen hat sich die Situation seit Inkrafttre­ten des Vorstandsb­eschlusses Ende Dezember nur bedingt entspannt. „Die Entscheidu­ng wird von den meisten Ausländern akzeptiert“, berichtet Heil. Der Anteil deutscher Bedürftige­r sei allerdings noch nicht merklich gestiegen. Der Tafel-Vizechef stellte dennoch eine Rückkehr zum alten System in Aussicht: „Die Entscheidu­ng ist vor allem für kurz- und mittelfris­tige Veränderun­gen gedacht, aber nicht dauerhaft gültig.“Einen genauen Zeitraum will er aber nicht nennen. „Wir wollen unsere Kundenverh­ältnisse erstmal wieder ins Lot bringen.“

 ?? FOTO: DPA ?? Wer staatliche Hilfe bekommt, darf sich bei einer Tafel anmelden und kann dann meist ein Jahr lang kostenlos Lebensmitt­el beziehen. Nach einem Jahr muss in der Regel eine Neuanmeldu­ng erfolgen, oft müssen Betroffene auch aussetzen.
FOTO: DPA Wer staatliche Hilfe bekommt, darf sich bei einer Tafel anmelden und kann dann meist ein Jahr lang kostenlos Lebensmitt­el beziehen. Nach einem Jahr muss in der Regel eine Neuanmeldu­ng erfolgen, oft müssen Betroffene auch aussetzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany